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Klima

Wikinger: Von der Trockenheit vertrieben?

Kälte war nicht schuld am Verschwinden der Wikinger aus Grönland

Wikinger
Warum gaben die Wikinger ihre Siedlungen auf Grönland nach fast 500 Jahren wieder auf? © Anetlanda/ Getty images

Rätsel gelöst? Forscher könnten die wahre Ursache für den Rückzug der Wikinger aus Grönland gefunden haben. Demnach zwang nicht die Kälte sie vor rund 600 Jahren zur Aufgabe ihrer Siedlungen, sondern eine zunehmende Trockenheit, wie nun Sedimentbohrkerne aus dem einstigen Siedlungsgebiet der Wikinger nahelegen. Die Trockenheit könnte den Abbau von Viehfutter erschwert und so die Nahrungsversorgung der Wikinger gefährdet haben.

Die Wikinger waren nicht nur erfahrene Seefahrer, sie erreichten auch als erste Europäer schon vor gut tausend Jahren Grönland und Nordamerika. Einige Wikinger ließen sich dabei an der Südwestküste Grönlands nieder und gründeten Siedlungen, in denen bis zu 2.000 Menschen lebten, Vieh hielten und Walrösser jagten.

Qassiarsuk
Qassiarsuk am grönländischen Eriksfjord. An diesem Ort gründete Erik der Rote die erste Wikingersiedlung Grönlands. © Claire Rowland/ CC-by 2.0

Doch im 15. Jahrhundert gaben die Wikinger ihre Dörfer plötzlich auf und verschwanden für immer aus Grönland. Aber warum? Bisher wurde meist eine Abkühlung des Klimas durch die „Kleine Eiszeit“ dafür verantwortlich gemacht. An diesem Szenario wecken inzwischen allerdings einige Klimadaten erhebliche Zweifel. Was aber war es dann?

Probennahme am Wikingergehöft

Eine neue Erklärung für den Wikinger-Rückzug könnten nun Boyang Zhao von der University of Massachusetts in Amherst und seine Kollegen gefunden haben. Für ihre Studie haben sie erstmals direkt dort Daten gesammelt, wo die Wikinger früher siedelten – nahe einer ehemaligen Wikinger-Farm im Südwesten Grönlands. „Diesen Ort hat bisher noch niemand untersucht“, sagt Zhao. Stattdessen nutzten frühere Studien zur grönländischen Klimageschichte meist Eisbohrkerne, die mehr als 1.000 Kilometer nördlich gewonnen wurden.

„Wir wollten aber wissen, wie sich das Klima rund um die Wikinger-Gehöfte verändert hat“, erklärt Zhaos Kollege Raymond Bradley. Dafür entnahm das Forschungsteam mehrere Sedimentbohrkerne vom Grund eines Sees, der direkt neben den Ruinen eines alten Wikingergehöfts liegt. Das Gewässer ist zudem nur neun Kilometer von Qassiarsuk entfernt, einem Ort mit einigen der größten Wikingeranwesen der damaligen Zeit.

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Keine Hinweise auf eine lokale Abkühlung

In den Sedimentproben untersuchten die Wissenschaftler zwei Merkmale, anhand derer sie den Temperatur- und Niederschlagsverlauf der letzten 2.000 Jahre rekonstruieren konnten. Der erste Klimamarker waren Membran-Lipide von Bakterienzellen. Ihre Struktur erlaubt Rückschlüsse darauf, unter welchen Temperaturbedingungen die Mikroben diese Lipide einst erzeugten. „Wenn man genügend Vergleichsproben hat, dann kann man aus den sich verändernden Struktur der Lipide direkt auf die Veränderungen der Temperstur schließen“, erklären die Forschenden.

Die Analysen ergaben: Anders als in anderen Teilen Grönlands kühlte sich das Klima rund um die Wikingersiedlung offenbar kaum ab. „Während der Siedlungszeit der Wikinger sanken die Temperaturen nicht und es gibt auch keine Belege für eine ungewöhnliche Kälteperiode in der Zeit, in der die Siedlung aufgegeben wurde“, berichten Zhao und seine Kollegen.

Zunehmende Trockenheit

Für die Rekonstruktion der Niederschläge und Wasserverfügbarkeit analysierte das Team wachsartige Relikte von Pflanzenblättern, die im Sediment konserviert geblieben sind. Ihr Gehalt am schweren Wasserstoffisotop Deuterium verrät, wie feucht das Klima zur Wachstumszeit dieser Pflanzen gewesen ist.

Diagramm
Entwicklung der Temperaturen und Feuchtigkeit in Südwestgrönland (A+B) sowie Anteil von mariner Nahrung der grönländischen Wikinger und der Knochen von Meerestieren (D) in einem Gehöft. © Zhao et al/, Science Advances, CC-by 4.0

Das Ergebnis: Bevor die Wikinger auf Grönland eintrafen, herrschte im Südwesten Grönlands ein vergleichsweise feuchtes, niederschlagsreiches Klima. Diese Phase erstreckte sich etwa von 600 bis 950. „In den ersten Jahren ihrer Besiedlung erlebten die nordischen Bauern demnach noch Klimabedingungen, die für die Landwirtschaft in dieser Region durchaus günstig waren“, erklären Zhao und seine Kollegen. Doch dann wandelte sich der Niederschlagstrend und es wurde langsam immer trockener.

Mangel an Nahrung und Viehfutter

Für die Wikinger auf Grönland bedeutete dies, dass die Nahrung für sie und ihr Vieh immer knapper wurde. Denn um sich und ihre Tiere über die harten Winter zu bekommen, waren sie darauf angewiesen, im Sommer genügend zu ernten, um Heu und anderes Winterfutter einlagern zu können. Die Trockenheit verkleinerte jedoch die noch nutzbaren Weideflächen und damit auch die Ernte.

„Die mangelnde Wasserverfügbarkeit lässt sich auch an archäologischen Relikten von Bewässerungskanälen in Igaliku ablesen“, berichten die Wissenschaftler. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass sich auch die Ernährung der grönländischen Wikinger im Laufe der Zeit veränderte: Anfangs stand vor allem das Fleisch von Nutztieren auf dem Speiseplan, ergänzt durch pflanzliche Kost. Später jedoch aßen die Wikinger immer mehr Fisch und andere Meerestiere – möglicherweise, weil ihre Nutztiere und Felder nicht mehr genug hergaben.

Zur Aufgabe getrieben

Nach Ansicht von Zhao und seinen Kollegen deutet all dies darauf hin, dass die grönländischen Wikinger ihre Siedlungen nicht wegen der Kälte aufgaben, sondern aus Wassermangel. „Ihre Schwierigkeiten, mit den zunehmend trockenen Bedingungen zurechtzukommen, haben die Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaften geschwächt“, erklären sie. „Das führte wahrscheinlich auch zu sozialer Instabilität und letztlich zur Aufgabe der Siedlungen.“

Heute erlebt der Südwesten Grönlands wieder eine ähnliche Trockenphase und auch sie lässt die Heuernten und Silageerträge schwinden. „Während dies heute jedoch durch den Import von Heu ausgeglichen werden kann, hatten die Wikingersiedler diese Option damals nicht“, so die Forschenden. (Science Advances, 2022; doi: 10.1126/sciadv.abm4346)

Quelle: University of Massachusetts Amherst

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