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Neurobiologie

Warum wir im Kreis laufen

Erst äußere Orientierungshilfen ermöglichen geradeaus Laufen

Orientierungsexperiment im Bienwald (Rheinland-Pfalz). Die roten Punkte stellen die Startpunkte der Probanden dar, die farbigen Linien ihre Laufwege. Während sich die Probanden PS, KS und RF nicht am Sonnenstand orientieren konnten, schien bei SM kurz nach Beginn der Wegstrecke die Sonne. © Jan Souman, Google Earth

Laufen wir wirklich immer im Kreis, wenn wir uns verirren oder die Augen verbunden haben? Experimente Tübinger Forscher beantworten diese Frage ganz klar mit „Ja“: Mit verbundenen Augen schaffen wir noch nicht einmal 20 Meter geradeaus. Das liegt aber nicht etwa, wie oft angenommen, an unterschiedlich kräftigen oder langen Beinen.

Ohne Sonne immer im Kreis

Mithilfe von GPS-Empfängern untersuchten die Wissenschaftler Jan Souman und Marc Ernst vom Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen die Wege, die Probanden unter verschiedenen Bedingungen in einer natürlichen Umgebung einschlugen. Die Sahara in Tunesien und ein Waldgebiet im Rheintal dienten dabei als Versuchsgelände. Die Versuchspersonen – zunächst noch mit offenen Augen – erhielten dabei die Aufgabe, einfach immer geradeaus zu gehen.

Das Ergebnis: In beiden Umgebungen gelang es den Probanden nur dann, einen geraden Weg einzuschlagen, wenn sie sich am Sonnenstand orientieren konnten. War die Sonne von Wolken verdeckt, begannen sie, im Kreis zu laufen. „Es ist tatsächlich wie im Film: Einige unserer Versuchsteilnehmer haben mehrmals ihren Pfad gekreuzt, ohne es zu merken. Sobald Bewölkung am Himmel aufzog und die Sonne verdeckte, beschrieben sie mitunter scharfe Kurven und wichen vom geraden Weg ab“, sagt Jan Souman vom Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen.

Abweichungen in beide Richtungen

Dass Menschen im Kreis laufen, wenn sie die Orientierung verlieren, wurde bislang häufig auf Unterschiede zwischen linker und rechter Hirnhälfte oder auf unterschiedlich lange und kräftige Beine zurückgeführt. So würde ein Mensch mit einem schwächeren linken Bein eher nach links, mit einem schwächeren rechten Bein nach rechts neigen.

Die Max-Planck-Forscher konnten diese Erklärung in einem weiteren Experiment jedoch widerlegen: Aufgefordert, auf einem freien Feld mit verdeckten Augen geradeaus zu laufen, wichen die Laufwege der meisten Probanden mehr oder weniger zufällig von der angepeilten geraden Linie ab. Immer wieder durchliefen die Probanden enge Kreise – manchmal sogar mit weniger als 20 Meter Durchmesser.

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Sinneseindrücke fehlerhaft

„Fast jeder der Probanden lief aber manchmal links, manchmal rechts herum. Sie wichen also nicht immer in derselben Richtung vom geraden Weg ab. Fehlerhafte Informationen aus den Sinnesorganen summieren sich auf. Dadurch können die beobachteten Kreisbahnen entstehen“, erklärt Jan Souman. Unterschiedliche Beinlängen oder -stärken hatten in den Experimenten dagegen keinen Einfluss auf die Laufrichtung. Offenbar weiß das Gehirn von diesen Unterschieden und berücksichtigt sie bei der Berechnung des Weges.

Weniger als 100 Meter

Die sich anhäufenden kleinen Fehler in den Sinneseindrücken führen dazu, dass es Menschen mit verbundenen Augen kaum schaffen, mehr als 20 Meter geradeaus zu gehen. Die Wissenschaftler haben in ihren Experimenten festgestellt, dass sich ein Mensch mit verbundenen Augen und ohne äußere Orientierungshilfen im Durchschnitt nicht weiter als 100 Meter von seinem Startpunkt entfernt. Die Richtungsinformationen aus den Sinnesorganen sind ungenau.

„Wir können den Sinneseindrücken aus Augen, Ohren und Gleichgewichtsorganen nicht bedingungslos vertrauen“, so Souman. „Vielmehr nutzen wir zusätzliche äußere Orientierungshilfen, wie zum Beispiel Berge, Sonne oder Gebäude, mit denen unsere Wahrnehmung abgeglichen und gegebenenfalls korrigiert wird.“

Weitere Tests per Datenbrille

In weiteren Experimenten wollen die Wissenschaftler nun herausfinden, welche Rolle die verschiedenen Sinneseindrücke und Orientierungshilfen spielen. Künftig werden sie die Probanden dazu allerdings nicht mehr durch Wüsten und Wälder begleiten müssen, sondern können sie ganz bequem im Labor beobachten.

Moderne Computertechnik kann mithilfe einer Datenbrille virtuelle Landschaften vor dem Auge eines Probanden entstehen lassen. Ein neu entwickeltes Laufband („Cyber-Teppich“), das sich in alle Richtungen bewegen kann, macht es möglich, dass die Probanden virtuelle Umwelten durchwandern, ohne sich vom Platz zu bewegen. Dadurch lässt sich noch gezielter untersuchen, welche Faktoren die Orientierung beeinflussen.

(Max-Planck-Gesellschaft, 21.08.2009 – NPO)

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