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Archäologie

War Stonehenge ein komplexer Sonnenkalender?

Steinkreis könnte Monate, Wochen und Tage des Sonnenjahres markiert haben

Stonehenge
Der Steinkreis von Stonehenge könnte ein detaillierter Sonnenkalender gewesen sein. © nicolamargaret/ iStock.com

Erstaunlich komplex: Der Steinkreis von Stonehenge war möglicherweise ein fortgeschrittener Sonnenkalender – weit komplexer als bislang angenommen. Statt nur die Sonnenwenden könnten die Steine im Megalith-Monument ein komplettes Sonnenjahr von 365,25 Tagen samt aller Monate, Wochen und Tage abgebildet haben. Sogar für Schalttage könnte Stonehenge entsprechende Steinmarker besessen haben, wie ein Archäologe berichtet.

Der Steinkreis von Stonehenge im Südwesten Englands ist das berühmteste Megalith-Bauwerk weltweit – und das rätselhafteste. Denn bis heute ist strittig, welchem Zweck das vor rund 4.500 Jahren erbaute Monument diente. Zwar legen Funde nahe, dass dort Feste und möglicherweise auch Rituale stattfanden. Wegen der astronomisch bedeutsamen Ausrichtung der Steinkreis-Hauptachse wird jedoch auch eine Kalenderfunktion diskutiert.

Stonehenge-Schema
Anordnung der Sarsensteine und Trilithen von Stonehenge. © T. Darvill/ Antiquity

Welchem Zweck diente Stonehenge?

Allerdings: Welche Art Kalender Stonehenge damals darstellte, ist strittig. Einige Archäologen sehen in ihm nur einen Marker für besondere Termine wie den in vielen Kulturen religiös wichtigen Sonnenwenden. Andere sehen vor allem in der Anordnung der im Kreis stehenden 30 Sarsensteine und des inneren „Hufeisens“ aus Blausteinen eine Art „Mondcomputer„. Diese Stonehenge-Steine wurden schon in der zweiten Bauphase des Monuments aufgestellt und blieben später in ihrer Ausrichtung oder Anordnung unverändert.

Neue Funde rund um Stonehenge und der Vergleich mit anderen steinzeitlichen Kreisanlagen brachten nun Timothy Darvill von der Bournemouth University dazu, sich die Anordnung der Sarsensteine und der auch als Trilithen bezeichneten Blausteine noch einmal näher anzuschauen. „Das Ensemble der Sarsensteine in Stonehenge ist in Nordwest-Europa einzigartig – sein Design und seine Konstruktion ähnelt keinem anderen Steinmonument aus der Mitte des dritten Jahrtausends vor unserer Zeit“, erklärt der Wissenschaftler.

Genaues Abbild des Sonnenjahres

Nach Ansicht von Darvill legt die Struktur von Stonehenge und die Ausrichtung nach den Sonnenwenden nahe, dass seine Erbauer einem sonnenbasierten Kalendersystem folgten. Der Forscher hat daher untersucht, inwieweit das Monument darüber hinaus auch die einzelnen Tage und Monate des 365,25 Tage langen Sonnenjahres abbilden könnte – und wurde tatsächlich fündig. „Es spricht einiges dafür, dass dieses Bauwerk als Kalender diente und auf einem Jahr mit 365,25 Tagen basierte“, berichtet der Archäologe.

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Das Jahr in Stonehenge begann demnach wahrscheinlich mit der Wintersonnenwende, dem Tag, ab dem die Tage länger werden und die Sonne erstmals wieder einem etwas größeren Bogen am Himmel folgt. Im Jahresverlauf repräsentierte jeder der 30 Sarsensteine einen Tag des Sonnenmonats. Jeder Sonnenmonat war zudem in drei Wochen von jeweils zehn Tagen Länge unterteilt. Ihr Beginn war durch speziell gekennzeichnete Sarsensteine markiert, wie Darvill erklärt.

Ausgleichsmonat und Schalttage inklusive

Ein Sonnenjahr entsprach demnach zwölf Durchläufen dieses Steinkreises – dies ergibt zunächst nur 360 Tage. Um das Sonnenjahr von 365,25 Tagen zu vervollständigen, gab es zusätzlich eine Art Schaltmonat: „Dieser Ausgleichsmonat aus fünf Tagen wird von den fünf Trilith-Steinen im Zentrum von Stonehenge markiert“, erklärt Darvill.

Und sogar einen Zähler für den Vierteltag am Jahresende und den dadurch alle vier Jahre fällig werdenden Schalttag könnte es schon gegeben haben: Vier außerhalb des Sarsen-Steinkreises liegende Steinblöcke bilden ein Viereck und könnten als Merkhilfe für diesen Vierjahres-Rhythmus gedient haben.

Selbst erfunden oder von den Ägyptern abgeschaut?

Was relativ fortgeschritten und komplex für eine Steinzeit-Kultur erscheint, war zur damaligen Zeit jedoch keineswegs einzigartig: „Ein solcher Sonnenkalender wurde im östlichen Mittelmeerraum schon um 3000 vor Christus entwickelt und von den Ägyptern um 2700 vor Christus als Kalender übernommen“, berichtet Darvill. Diese Sonnenkalender existierten damit schon zu der Zeit, als Stonehenge erbaut wurde.

Das wirft die Frage auf, ob die Erbauer von Stonehenge von selbst auf die Idee kamen, ihren Steinkreis als Kalender anzulegen – oder ob sie dies möglicherweise von den Kulturen des Nahen Ostens abguckten. „Zentral dafür ist, ob der ägyptische Kalender oder eine Variante davon den Gemeinschaften im südlichen England damals bekannt gewesen sein konnte“, sagt Darvill. Früher hätte man dies bezweifelt, inzwischen jedoch habe sich die Sicht auf die damaligen Fernverbindungen gewandelt.

Kulturelle Fernverbindungen

Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass es schon zur Zeit von Stonehenge Kontakte über große Distanzen hinweg gab, darauf deuten sowohl Isotopendaten von Skelettfunden als auch DNA-Vergleich hin. Auch wurden in der Nähe von Stonehenge Gebeine von Steinzeit-Menschen aus dem Alpenraum gefunden. Einige Archäologen vermuten sogar, dass die gesamte Megalith-Kultur in Europa auf steinzeitliche Seefahrer zurückging, die entlang der Küsten des Atlantiks und Mittelmeeres segelten.

„Einen Sonnenkalender in der Architektur von Stonehenge repräsentiert zu finden, eröffnet eine ganz neue Sichtweise auf dieses Monument als einen Ort für die damals Lebenden“, sagt Darvill. „Es war ein Ort, an dem das Timing der Zeremonien und Feste eng mit den Bewegungen der Himmelskörper und damit dem Grundstruktur des Universums verknüpft war.“ (Antiquity, 2022; doi: 10.15184/aqy.2022.5)

Quelle: Bournemouth University

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