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Paläontologie

War der „Hobbit-Mensch“ krank?

Neue anatomische Studien unterstützen Microcephalie-Theorie

Schädelabguss und Abdruck der Schädelhöhle einer unter Microcephalie leidenden 32 –jährigen Frau mit dem Körper eines zwölfjährigen Kindes. © John Weinstein, The Field Museum

Seit ihrer Entdeckung im Jahr 2003 auf der indonesischen Insel Flores sorgen die Relikte von ungewöhnlichen kleinen „Hobbit-Menschen“ für heftigste Diskussionen. Die Entdecker hatten die fossilen Knochen zu einer neuen Hominidenart, „Homo floresiensis“ erklärt. Nun ist eine neue Studie im Fachmagazin „The Anatomical Record“ erschienen, in der Forscher die Meinung vertreten, der „Hobbit-Mensch“ sei ein Homo sapiens gewesen, der unter Microcephalie litt, einem durch einen abnormal kleinen Kopf gekennzeichnetes Krankheitsbild.

Das vollständigste auf Flores gefundene Relikt ist auf ein Alter von rund 18.000 Jahren datiert und besteht aus einem Schädel und Teilen des Skeletts, das nach den Zahnbefunden einem Erwachsenen gehört haben muss. Die aus der Länge des Oberschenkelknochens kalkulierte Größe von „LB1“ lag bei 106 Zentimetern. Auffällig war zudem die Abwesenheit eines ausgeprägten Kinns und der sehr geringe Schädelumfang. Zusätzlich zu LB1 wurden auch Fragmente von acht weiteren Individuen gefunden, gemeinsam mit fortgeschrittenen Steinwerkzeugen. Die Entdecker der Fossilien zogen aus diesen Merkmalen die Schlussfolgerung, dass es sich hier um eine eigene Art handeln müsse, eine Zwergform, die sich unabhängig vom Homo sapiens aus dem Homo erectus entwickelt hatte.

Krankheit oder eigene Art?

Doch genau diese Interpretation bleibt bis heute umstritten. In der aktuellen Studie analysierten Professor Robert D. Martin vom Field Museum in Chicago und Kollegen erneut die Anatomie der Relikte und kommen nun zu einem ganz anderen Schluss: Ihrer Ansicht nach handelte es sich bei den Knochenfunden um Vertreter des modernen Menschen, die an einer Skelett verändernden Krankheit litten. Diese Theorie war bereits unmittelbar nach Veröffentlichung des ersten Artikels über den Fund aufgekommen, dann aber verworfen worden, da die Skelettmerkmale nicht mit den typischen Eigenschaften der Microcephalie übereinzustimmen schienen.

Nach erneuter Untersuchung jedoch zeichnen die Autoren der Studie ein anderes Bild. Ihren Ergebnissen nach zeigt das Skelett viele Merkmale des Microcephalie-Syndroms, von dem es beim modernen Menschen mehr als 400 verschiedene Formen gibt. Den Ergebnissen nach würden Größe, Körpergewicht, Kopfumfang und andere anatomische Anormalitäten – vergliechen mit dem modernen Menschen – das Bild eines glaubhaften, wenn auch missgebildeten, modernen Menschen ergeben. “Alle diese Anormalitäten zusammen würden zur Diagnose einer schweren Kleinwüchsigkeit mit Microcephalie-Syndrom führen, obwohl die Daten nicht ausreichen, es einem der spezifischen bekannten Syndrome zuzuordnen“, erklärt Martin.

Übereinstimmungen mit Microcephalie-Syndrom

Die Forscher weisen zudem darauf hin, dass alle Microcephalie-Syndrome typischerweise von einem autosomalen rezessiven Gendefekt hervorgerufen werden und daher leicht mehrere Fälle in einer kleinen, durch Inzucht geprägten Population auftreten können, wie es auf einer isolierten Insel wie Flores der Fall ist. Die Wissenschaftler analysierten einige Syndrome der Microcephalie, die für den „Hobbit-Menschen“ in Frage kommen könnten. „Wir stellen fest, dass diese Gruppe von Syndromen mehrere Merkmale mit dem LB1-Fossil teilt, darunter die ähnlich kleine Statur, ein kleines, fliehendes Kinn und Anomalien in der Zahnstellung“, so die Forscher.

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In Bezug auf die Steinwerkzeuge, die bei den Skelettresten entdeckt wurden, äußerten die Wissenschaftler auch hier erneut Skepsis gegenüber der „Homo erectus-Theorie“: „Die Werkzeuge gehören eindeutig zu Typen, die mit dem Homo sapiens assoziiert werden und bisher noch niemals mit Homo erectus oder irgendeinem anderen Hominiden in Verbindung gebracht wurden“, so Martin. Sie bezweifeln daher auch, dass der Homo erectus jemals seinen Weg nach Flores fand, bevor die Insel vom Homo sapiens besiedelt wurde. Fazit des Artikels ist daher, dass „die Merkmale von LB1 am ehesten die Interpretation unterstützen, dass es sich hier um einen pathologischen microcephalischen Vertreter des Homo sapiens handelt.“

(Field Museum, John Wiley & Sons, Inc., 09.10.2006 – NPO)

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