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Vorsicht Kreationismus!

Interview: „Fundamentalchristliche Ideologien diffamieren Naturwissenschaft und Theologie gleichermaßen“

Michelangelos "Erschaffung des Adam" in der sixtinischen Kapelle. Diese Darstellung wird bis heute als Sinnbild des göttlichen Schöpfungsaktes gesehen. © public domain

Mensch und Affe haben gemeinsame Vorfahren und unser Sonnensystem ist 4,6 Milliarden Jahre alt – so sieht es die moderne Wissenschaft. Nicht so jedoch der Kreationismus, der die Evolutionstheorie ablehnt und die Schöpfungsgeschichte der Bibel wörtlich auslegt. Renommierte Wissenschaftler warnen nun davor, die fundamentalchristliche Weltanschauung zu unterschätzen. Denn diese gewinnt nicht nur in den USA sondern auch zunehmend in Deutschland an Einfluss.

In einem Interview nehmen drei deutsche Wissenschaftler Stellung zu den Ideologien des Kreationismus und Intelligent Design: Prof. Reinhold Leinfelder (Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde), Dr. Michael Gudo (Paläontologische Gesellschaft und Morphisto – Evolutionsforschung und Anwendung GmbH) und Dr. Holger Granz (Morphisto – Evolutionsforschung und Anwendung GmbH).

GeoUnion:

Was genau ist eigentlich Kreationismus?

Leinfelder:

Der klassische Kreationismus versucht, die Evolutionsgeschichte des Lebens mittels Bezug auf das erste Buch der Bibel, Genesis eins, zu widerlegen. Er wendet sich damit gezielt gegen unser wissenschaftlich geprägtes Weltbild. Demzufolge wäre die Erde zwischen 6.000 bis 10.000 Jahren alt. Auch evolutionären Wandel hätte es nicht gegeben. Stattdessen sei die Welt und das Leben durch einen göttlichen Schöpfungsakt entstanden – die Bibel wird gewissermaßen zum Naturgeschichtsbuch degradiert.

Das so genannte „Intelligent Design“ des Kreationismus sieht in der Komplexität und Zweckmäßigkeit der Lebewesen das Wirken eines intelligenten Schöpfers. Dieser ist zwar nicht weiter benannt, meint aber letzen Endes den christlichen Gott. Noch offene Fragen in der Evolutionsforschung und in der Paläontologie werden paradoxerweise als „Beweise“ gegen evolutionsgeschichtliche Zusammenhänge gewertet. Die Naturforschung erfüllt in dieser Ideologie lediglich den Zweck, das Staunen über die Zweckmäßigkeit und Komplexität der Evolution ans Tageslicht zu bringen, sozusagen als direkter Gottesbeweis.

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GeoUnion:

Welchen Zweck verfolgen die Anhänger?

Gudo:

Kreationismus und Intelligent Design sind fundamentalchristliche Weltanschauungen, die als langfristig geplanter Angriff gegen die europäisch abendländische Gesellschaftsstruktur gerichtet sind. Sie haben zum Ziel, bildungs- und machtpolitischen Einfluss zu gewinnen, vermutlich mit der Absicht einen religiös motivierten Irrationalismus in unserer Gesellschaft einzuführen. Die Infiltration verläuft über die Schule, das Internet, Fernsehen, DVD’s und den Buchhandel. Lange Zeit unbemerkt – und vielleicht auch nur unbeachtet – arbeiten und lehren solchen pseudowissenschaftlichen Weltanschauungen zugeneigte oder diese propagierende Personen sogar an namhaften Universitäten.

Die schrittweise Entstehung des Menschen von affenähnlichen Vorfahren lässt sich ohne Schwierigkeiten nach anatomischen Gesichtspunkten rekonstruieren. © Franzen/Senckenberg

GeoUnion:

Was ist Ihrer Meinung nach zu tun?

Leinfelder:

Vor dem Hintergrund dieser kulturfeindlichen Auffassung ist es angeraten, eine Gegenposition auf mehreren Ebenen zu beziehen: auf der naturwissenschaftlich-sachlichen Ebene, auf der methodologischen, wissenschaftstheoretischen Ebene und auf der theologisch-geistlichen Ebene. Es kann und sollte allerdings nicht darum gehen, eine atheistische Perspektive gegen eine christliche auszuspielen, sondern vielmehr ist zu zeigen, dass Evolutionstheorie und christlicher Glaube nicht in einem Widerspruch stehen. Vielmehr können sie in Form eines Dualismus nebeneinander bestehen – und aus kulturellen Gründen müssen sie dies auch.

Granz:

Es kann und sollte nicht Ziel sein, einen überzeugten Kreationisten oder ID-Anhänger vom Gegenteil zu überzeugen, sondern viel wichtiger erscheint es, auf breiter Front, dass heißt auf allen drei Ebenen diesen Ideologien zu begegnen und in politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Bereichen vorbeugend tätig zu werden. Dem Kreationismus kann leicht nachgewiesen werden, dass er von einem völlig falschen Verständnis von Wissenschaftlichkeit ausgeht, und dass es daher nicht legitim ist, ein „Schöpfungsparadigma“ einem „Evolutionsparadigma“ entgegenzustellen. Der Kreationismus hat eine falsche Auffassung davon, was wissenschaftliche Theorien sind, er sieht Fakten als „nackte Tatsachen“ die beliebig interpretiert werden können. So versteht er den Entropiebegriff und den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik nicht im Gesamtkontext des Zeitflusses im Universum und wertet zudem fehlende Fossilfunde fälschlicherweise als „Beweise“ gegen die Evolutionsbiologie. Diese Fehler sind aufzuzeigen und vor allem gegenüber denjenigen Personen zu verdeutlichen, die potentiell von Kreationisten beeinflusst werden können.

GeoUnion:

Und wie sieht es mit der Strömung des „Intelligent Design“ aus?

Leinfelder:

Das „Intelligent Design“ lässt sich ebenfalls relativ leicht ad absurdum führen, indem man zeigt, dass das ID nichts weiter ist als eine postmoderne Variante der Physikotheologie, eine Naturbetrachtung, die zu Anfang der Neuzeit Gott in der Natur gesucht und vermeintlich gefunden hat. Während der Aufklärung spielte sie noch eine Vermittlerrolle zwischen Religion und Wissenschaft, aber spätestens seit Widerlegung des physikotheologischen Gottesbeweises durch Immanuel Kant ist sie ad acta gelegt. In der Nachfolge Kants wird die Dringlichkeit einer Trennung von Theologie und Naturwissenschaften besonders deutlich.

Die Evolution der Tiere: Rekonstruktion der makroevolutionären Wandlungen der (wichtigsten) Baupläne des Tierreiches. Alle heutigen Organismen sind gleich weit von ihrem Ursprung, den ersten Vielzellern entfernt; sie haben eine viele millionen Jahre andauernde Geschichte. © Michael Gudo

Gudo:

Weil das ID nicht anderes ist, als eine postmoderne Physikotheologie, basiert die gesamte Argumentationsstruktur des ID auf einem auf pure Unbildung oder Ignoranz zurückzuführenden Verständnis der Naturwissenschaft. Das ID sieht zweckmäßige Strukturen und Komplexität als das Wirken eines intelligenten Planers oder Designers und übersieht dabei, dass die Begriffe falsch verwendet werden. Komplexitätsaussagen können schließlich nur im Vergleich von zwei Dingen hinsichtlich eines zu wählenden Kriteriums getroffen werden. Zudem sind die angeblichen Zwecke nichts weiter, als die von Wissenschaftlern erstellten und formulierten Beschreibungsmodelle für die Beantwortung naturwissenschaftlicher Fragen.

GeoUnion:

Das ist die Antwort der Wissenschaft, doch wie es auf Seiten der Theologie aus?

Granz:

Die Interpretation der Genesis als Tatsachenbericht wurde bereits von dem Kirchenlehrer Augustinus als absurd und peinlich bezeichnet. Eine von Theologen vor dem historischen Hintergrund der Niederschrift der Bibeltexte geführte Bibelexegese unterstützt diese Aussage von Augustinus und weist den Kreationisten ihre Unbildung damit auch auf der theologisch-geistlichen Ebene nach.

Die Genesis ist beispielsweise vor dem Hintergrund eines in Ägypten vorherrschenden Polytheismus geschrieben worden und hatte zum Ziel, dem Volk Israels seinen Gott nahe zu bringen. Die Schöpfungsgeschichte ist damit kein Tatsachenbericht über die Erschaffung der Welt, sondern sie ist eine Allegorie für die Befreiung eines Volkes vom Polytheismus und dessen Hinführung zum Monotheismus durch die den Geist und das Denken ordnende Hand Gottes.

GeoUnion:

Was können Sie als Fazit und Ausblick geben?

Gudo:

Das europäisch-abendländische Weltbild, unsere Kultur und Gesellschaftsstruktur, unser Bildungssystem und unser angesammeltes Wissen über die Welt und über uns bildet ein hohes Gut, das keinen fundamentalistischen Ideologien preisgegeben werden darf. Nur in einer naturwissenschaftlich-christlich-humanistischen Allianz kann es jedoch gelingen, dieses Kulturgut zu erhalten und weiter zu entwickeln.

GeoUnion:

Vielen Dank für das Gespräch.

Weiterführende Links:

Kreationismus und Evolution – Argumente zum Umgang mit Kreationisten (Querschnitte, Heft 3 – Materialien für Unterrichtsvorbereitung und Selbststudium)

Evolution und Kreationismus – die Paläontologische Gesellschaft informiert

AG Evolutionsbiologie im Verband deutscher Biologen (VdBiol)

(Reinhold Leinfelder (Museum für Naturkunde, Humboldt-Universität zu Berlin), Michael Gudo (Paläontologische Gesellschaft), Holger Granz (Morphisto – Evolutionsforschung & Anwendung GmbH), 14.11.2006 – AHE)

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