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Geowissen

Urozean: Sauerstoff-„Ping-Pong“ als Evolutions-Antrieb?

Mehrfache anoxische Phasen unterbrachen den Sauerstoffanstieg in den kambrischen Meeren

Leben im Meer des Kambrium © Ghedoghedo / CC-by-sa 3.0

Der Übergang von den sauerstoffarmen Urmeeren zu sauerstoffreichen Ozeanen war alles andere als gleichmäßig, sondern ähnelte eher einem Ping-Pong-Spiel: Mehrfach wurde der allmähliche Anstieg vor rund 500 Millionen Jahren durch anoxische, für viele Lebensformen tödliche Phasen unterbrochen. Das belegt eine jetzt in „Nature“ erschienene Studie. Möglicherweise waren es erst diese Fluktuationen des Sauerstoffgehalts, die die explosive Artbildung im Kambrium vorantrieben.

Ozeane und Atmosphäre unseres Planeten waren die ersten knapp vier Milliarden Jahre der Erdgeschichte relativ sauerstoffarm. Dies änderte sich nach gängiger Lehrmeinung vor 600 Millionen Jahren, im späten Ediacarium und ermöglichte erst den Aufstieg und die Entwicklung mehrzelliger Lebewesen. Doch jetzt hat ein Team von Wissenschaftlern verschiedener amerikanischer Universitäten herausgefunden, dass dieser Übergang im Ozean alles andere als glatt verlief. Stattdessen schwankten die Bedingungen mehrfach zwischen beiden Extremen, immer wieder traten Millionen Jahre lange anoxische Perioden auf.

Für ihre Studie untersuchten die Forscher die Isotopenverhältnisse von Kohlenstoff, Schwefel und Molybdän in Kalk- und Schiefergesteinen, die während des Kambriums abgelagert worden waren. Die Kombination dieser Isotopendaten erlaubt Rückschlüsse darüber, wie viel Sauerstoff im Meerwasser der verschiedenen Zeitepochen präsent gewesen ist.

Ping-Pong-Spiel der Sauerstoffgehalte

Die Daten enthüllten, dass die Meere der Erde nach einer ersten Phase der Oxygenierung mindestens einen, vermutlich aber noch mehrere, Rückfälle in sauerstoffarme Bedingungen erlebten. „Unsere Forschungen zeigen, dass der Ozean vor 499 Millionen Jahren zwischen den verschiedenen Sauerstoffzuständen hin- und herschwankte“, erklärt Timothy Lyons, Professor für Biogeochemie an der Universität von Kalifornien in Riverside. Sehr bald nach der Entwicklung der ersten mehrzelligen Tiere im Meer kippten die Bedingungen und das Meer blieb für zwei bis vier Millionen Jahre anoxisch. Solche Phasen der Sauerstoffarmut könnte sich auch in der Folgezeit noch mehrfach wiederholt haben, vermuten die Forscher.

Anoxische Phasen als Triebkraft der Evolution?

Nach Ansicht der Wissenschaftler könnten diese Schwankungen sogar der Antrieb für die explosive Artbildung im Kambrium gewesen sein, die bereits die Basis für die weitere Entwicklung der großen Gruppen der Organismen legte. „Solche Fluktuationen spielten eine wichtige, vielleicht sogar die dominante Rolle für die frühe Evolution der Lebewesen auf diesem Planeten. Denn sie lösten Aussterbeereignisse aus, die den Weg für neue Organismen ebneten.“

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Forscher Benjamin Gill auf kambrischen Gesteinsschichten © Steve Bates

„Das Leben und die Umwelt, in der es lebt, sind eng verbunden”, erklärt Benjamin Gill, Hauptautor der Studie von der Harvard Universität. Wenn sich die Sauerstoffverfügbarkeit im Ozean schnell ändert, wie damals der Fall, können sich einige Organismen nicht schnell genug anpassen. Gleichzeitig stört der veränderte Sauerstoffhaushalt auch weitere Stoffkreisläufe biologisch wichtiger Elemente wie Eisen, Phophor und Stickstoff. „Die Störung dieser Kreisläufe ist ein weitere Weg biologische Krisen auszulösen”, so Gill. „Daher kann ein Wechsel zu sauerstoffarmen Bedingungen im Ozean große Aussterbeereignisse nach sich ziehen.“

Schon früher hatten Wissenschaftler die Hypothese aufgestellt, dass die kambrische Artenexplosion durch schnell wechselnde Umweltbedingungen gefördert worden sein könnte. Denn das Aussterben von Spezies setzt ökologische Nischen frei und schafft neue Möglichkeiten der Entwicklung für die überlebenden Arten.

Ursache der Schwankungen noch unbekannt

Warum allerdings die Sauerstoffgehalte vor rund 499 Millionen Jahren ein solches Ping-Pong-Spiel durchmachten, ist bisher unklar. „Was wir bisher gefunden haben ist der Beweis, dass es passierte. Wir haben den Effekt, nicht aber die Ursache“, erklärt Gill. „Der anoxische Status blieb über zwei bis vier Millionen Jahre erhalten, wahrscheinlich bis das verstärkte Absinken organischen Materials in einer Art negativer Rückkopplung zu einer allmählich Sauerstoffanreicherung in Atmosphäre und Meer führte.“

Erkenntnisse auch für heutige „Todeszonen“

Nach Ansicht der Forscher tragen die neuen Erkenntnisse auch dazu bei, heutige Entwicklungen im Meer besser zu verstehen. „Heute sind einige Bereiche der Weltmeere ebenfalls sauerstoffarm geworden – die Chesapeake Bay und die so genannte Todeszone im Golf von Mexiko sind nur zwei Beispiele dafür“, so Gill. „Wir wissen, dass die Erde in der Vergangenheit ähnliche Szenarios durchmachte. Die Ursachen und Konsequenzen der damaligen Ereignisse zu verstehen kann uns daher entscheidende Hinweise geben, wie die Zukunft unserer Ozeane aussehen könnte.“

(University of California – Riverside, 06.01.2011 – NPO)

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