Die ältesten bisher bekannten Reptilienohren haben Wissenschaftler bei mehr als 260 Millionen Jahre alten fossilen Überresten der Art Bashkyroleter in Russland entdeckt. Sie besitzen überraschenderweise alle Eigenschaften eines modernen Gehörs und versetzen deshalb dessen Ursprung unerwartet weit zurück in die evolutionäre Frühzeit der Landwirbeltiere, so die Forscher in der Fachzeitschrift „PLoS One“. Der Fund aus dem Perm brachte aber auch erste Hinweise auf eine für die damalige Zeit revolutionäre Überlebensstrategie: Nachtaktivität.
Ursprünglich waren die ersten voll ans Landleben angepassten Vorfahren der Säugetiere, Reptilien und Vögel weitgehend taub und vertrauten hauptsächlich auf das Sehen, um sich in ihrer Umwelt zurechtzufinden. Heutige Landwirbeltiere besitzen jedoch einen so genannten Impedanz- wandelnden Gehörapparat, welcher Schallwellen aus der Luft über ein Trommelfell bündelt und über knöcherne Verbindungen zur Signalverarbeitung ins Gehirn weiterleitet. Obwohl das Hören in der heutigen Zeit enorm wichtig für den Beuteerwerb oder die Kommunikation ist, wurde bisher angenommen, dass dieses sich erst kurz vor dem Entstehen der Dinosaurier vor wenig mehr als 200 Millionen Jahren ausbildete.
Jetzt jedoch beweisen die neuen Fossilien aus Russland, dass modernes Hören schon wesentlich früher entstanden sein muss: bei allen für die Studie untersuchten Fossilien war die Schläfe offenbar von einem breiten Trommelfell bedeckt, und eine den menschlichen Gehörknöchelchen vergleichbare Knochenstruktur verband jenes mit dem Innenohr und dem Gehirn.
Nachtaktivität als Trumpf
Johannes Müller und Linda Tsuji vom Museum für Naturkunde der Humboldt- Universität Berlin verglichen die aus den fossilen Strukturen ableitbaren Hörfähigkeiten mit denen von modernen Wirbeltieren und kamen zu dem Schluss, dass die fossilen Reptilien aus Russland mindestens ebenso gut hören konnten wie zum Beispiel eine heutige Eidechse. Aber was war der Grund für die Entwicklung dieser Ohren? „Natürlich ist diese Frage nicht leicht zu beantworten“, sagt Müller, „aber wenn man sich heute lebende Tiere mit exzellentem Gehör anschaut, wie zum Beispiel Katzen, Eulen oder Geckos, dann fällt auf, dass diese Tiere allesamt nacht- oder dämmerungsaktiv sind. Vermutlich trifft das auch auf die fossilen Reptilien aus Russland zu.“
In der Tat zeigen alle untersuchten Fossilien nicht nur ein gut entwickeltes Gehörorgan sondern auch deutlich vergrößerte Augenöffnungen, was ebenfalls typisch für eine nachtaktive Lebensweise ist. Eine derartige Anpassung in diesem frühen evolutionären Stadium der Landwirbeltiere ist überraschend, denn wechselwarme Reptilien benötigen normalerweise viel Sonnenlicht um eine gesunde Körpertemperatur aufrechterhalten zu können. Daher war der erste Schritt ins Nachtleben sicher nicht einfach.
Neue Einblicke in die Evolution
Die Entdeckung eines modernen Gehörapparats bei permischen Wirbeltieren liefert unerwartet neue Einblicke in die Evolution der frühen festländischen Ökosysteme, welche weit weniger primitiv zu sein scheinen als bisher vermutet. Der ökologische Wettkampf zwischen den damals lebenden Arten war wahrscheinlich schon weitgehend mit den heutigen Verhältnissen vergleichbar, und evolutionäre Neuheiten waren notwendig, um sich im Überleben einen Vorteil zu verschaffen. Letztlich waren es diese Innovationen, die den Weg zu unserer heutigen Umwelt geebnet haben.
(idw – Humboldt-Universität zu Berlin, 14.09.2007 – DLO)