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Überlebenskünstler Kaltwasserkorallen

Riffe im Atlantik noch weitgehend unerforscht

Kaiserbarsch vor Kaltwasserkoralle © Ken Sulak, USGS

Das tropische Great Barrier Reef vor der Küste Australiens zählt mit seinen farbenprächtigen und artenreichen Riffen zu den faszinierendsten Naturlandschaften der Erde. Doch die Überraschung war groß, als vor wenigen Jahren auch im kühlen Atlantik ein riesiges Riffsystem entdeckt wurde, dass sich von Spanien bis zum Nordmeer erstreckt. Kaltwasserkorallen heißen die Baumeister, die allerdings im Gegensatz zu ihren tropischen Verwandten tief unterhalb der Meeresoberfläche siedeln. Doch wie schaffen es die Tiere, abseits von Wärme und Licht zu überleben?

Gerade einmal zwölf Jahre ist es her, dass Paläontologen der Universität Erlangen-Nürnberg eine sensationelle Entdeckung machten: An den Kontinentalrändern des kalten Nordatlantiks sowie der Barents-See fanden sie Riffstrukturen, die bislang nur aus den warmen und lichtdurchfluteten Flachwassermeeren der subtropisch-tropischen Klimazone bekannt waren. Von Norwegen bis nach Spanien erstreckt sich im lockeren Verbund ein Korallengürtel, der mit einer Länge von 4.500 Kilometern das bekannte australische Great Barrier Reef um weit mehr als das Doppelte übertrifft.

„Fleischfresser“ statt Sonnenanbeter

„Die Riffe sitzen häufig an topographisch erhabenen Positionen, an denen sich die Strömungen und somit auch der Nahrungsanteil konzentrieren“, erklärt Professor André Freiwald von der Universität Erlangen-Nürnberg. Der Paläontologe zählt zu den weltweit führenden Experten für Kaltwasserkorallen und war an ihrer Entdeckung Mitte der 90er Jahre maßgeblich beteiligt. „Nicht-symbiontische Korallen, wie Lophelia, ernähren sich von Zooplankton wie beispielsweise Ruderfußkrebsen“, fügt Freiwald hinzu. Zum Nahrungsfang strecken sie die mit Nesselkapseln ausgestatteten Fangarme aus und fischen so ihr Hauptnahrungsmittel – das Plankton – aus dem Wasser.

Kaltwasserkoralle Oculina varicosa © NOAA Oceanexplorer

Damit unterscheiden sich die beiden dominierenden Arten, Lophelia pertusa und Madrepora oculata, erheblich von ihren tropischen Verwandten. Denn diese sind auf das Sonnenlicht als Energielieferant angewiesen und siedeln daher stets in den wärmedurchströmten Flachwasserbereichen mit einer maximalen Wassertiefe von 100 Metern. Als „Fleischfresser“ können die Kaltwasserkorallen jedoch auch im ewigen Dunkeln abseits der Meeresoberfläche überleben – im Extremfall wie vor der Küste Neuenglands im Nordatlantik sogar noch in 3.300 Metern Tiefe.

Kinderstube für Hochseefische bedroht

Die bis zu 200 Meter hohen Riffe sind zugleich Anlaufstelle für zahlreiche Meerestiere wie Krebse, Muscheln, Schwämme oder Schnecken. Vergleichbar einer Oase in der Wüste wimmelt es hier nur so vor Leben. Wissenschaftler konnten bislang mehr als 1.000 verschiedene Arten registrieren, welche die Korallengärten als Nahrungs-, Brut- oder Fortpflanzungsrevier nutzen. „Bei den Tauchgängen fiel zudem stets der Fischreichtum innerhalb der Korallenareale auf“, berichtet Freiwald von seinen zahlreichen Forschungsfahrten. „Obgleich es zurzeit noch schwer zu quantifizieren ist, verdichten sich die Hinweise zur Bedeutung der Riffe als Kinderstube für viele Arten.“

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Doch möglicherweise gehören diese uralten tierischen „Wohngebiete“ schon bald der Vergangenheit an. Denn Meeresverschmutzung und die Hochseefischerei mit ihren schweren Schleppnetzen haben den Kaltwasserriffen bereits schwer zugesetzt. „Wir dürfen nicht vergessen, dass viele Riffgebiete im Einzugsgebiet der klassischen Hochseefischerei liegen“, erklärt Freiwald die potenzielle Bedrohung der Riffe. So werden etwa seit zwanzig Jahren in der Hochseefischerei zunehmend Bodenschleppnetze eingesetzt. Noch herrscht Unklarheit über die wahre Bedrohung der Korallenriffe, doch Schätzungen norwegischer Forscher gehen davon aus, dass womöglich die Hälfte aller nordatlantischen Korallenriffe bereits durch Schleppnetze beschädigt wurde.

HERMES bestätigt weltweite Verbreitung

„Tiefwasser-Riffe haben neben 'Schwarzen Rauchern' und Schlammvulkanen eine neue Runde der geo-biologischen Meeresforschung eingeleitet“, ordnet André Freiwald die wissenschaftliche Bedeutung der Kaltwasserkorallen ein. Besonders viel versprechen sich die Wissenschaftler dabei vom europäischen Großforschungsprojekt „Hotspot Ecosystem Research on the Margins of European Seas“ (HERMES). Seit April 2005 arbeiten Biologen, Biochemiker, Geowissenschaftler und Ozeanographen aus 15 Ländern und über 45 Forschungseinrichtungen gemeinsam daran, den Lebensraum der Kaltwasserkorallen zu erforschen.

Erste Erfolge zeichnen sich bereits ab. Denn seitdem die Forscher mit neuester Technik gezielt auf die Suche gehen, tauchen die Überlebenskünstler nicht nur im Atlantik sondern scheinbar überall auf: Egal ob Norwegen, Kanada, Neuseeland, Japan oder Südafrika – die Liste der Länder, vor deren Küste Kaltwasserriffe existieren, ist inzwischen auf mehrere Dutzend angestiegen. Was daher zunächst als Skurrilität galt, scheint vielmehr ein fester Bestandteil des Ökosystems Meer zu sein.

(GeoUnion, 15.08.2006 – AHE)

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