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Totes Meer: Rätsel der „Salzfinger“ gelöst

Salzkristall-Wachstum am Grund des Toten Meeres widerspricht nur scheinbar der Physik

Totes Meer
Im Toten Meer bilden sich dicke Salzkristall-Schichten nicht nur am Rand, sondern merkwürdigerweise auch in der Seemitte – wie und warum, haben Forscher erst jetzt herausgefunden. © David Leshem/ iStock.com

Physikalisches Mysterium: Eigentlich dürfte es die wachsenden Salzkristall-Formationen am Grund des Toten Meeres gar nicht geben – denn ihre Bildung ist physikalisch nur bedingt erklärbar. Doch jetzt haben Forscher das Rätsel gelöst. Demnach entstehen diese Kristalle, weil kleine Turbulenzen an der Wasseroberfläche immer wieder Finger aus salzigem, warmem Wasser in die Tiefe schwemmen. Diese „Salzfinger“ sinken ab, werden kalt und regnen dann Salzkristalle auf den Grund hinab.

Das Tote Meer ist eines der salzigsten Gewässer der Erde – und sein Salzgehalt nimmt immer weiter zu. Denn die immer stärkere Wasserentnahme aus dem Jordan, seinem Hauptzufluss, lässt kaum noch frisches Wasser einströmen. Gleichzeitig verdunstet durch die Hitze so viel Wasser, dass der Pegel des Toten Meeres um rund einen Meter pro Jahr fällt. Als Folge schrumpft der See, seine Ränder sind salzverkrustet und an seinen Ufern sind schon tausende Einsturzlöcher aufgerissen.

Salzkrusten
Auch Kabel und Messinstrumenten am Grund des Sees werden von einer dicken Salzkruste bedeckt. © Nadav Lensky/ Geological Survey of Israel

Rätselhafter Regen aus Salzkristallen

Doch es gibt noch ein Phänomen, das seit kurzem am Toten Meer auftritt: Seit Ende der 1970er Jahre beobachten Forscher, dass aus den mittleren Wasserschichten des Sees ein wahres „Schneegestöber“ aus Salzkristallen auf den Grund hinabregnet. Dort bildet das kristallisierte Salz eine Schicht, die pro Jahr um rund zehn Zentimeter wächst.

Das Merkwürdige jedoch: Eigentlich dürfte es diesen „Schnee“ aus Salzkristallen im Toten Meer gar nicht geben. Denn auf den ersten Blick widerspricht dies den Regeln der Physik. Der Grund: Das warme, durch Verdunstung besonders salzige Oberflächenwasser liegt auf einer rund zehn Grad kälteren, weniger salzhaltigen Wasserschicht. Wegen seiner höheren Dichte wirkt diese kalte Schicht als Barriere und müsste eigentlich das Absinken des salzhaltigeren Oberflächenwassers und damit auch das Auskristallisieren des Salzes verhindern. Doch das ist offensichtlich nicht der Fall.

Salzige Wasserfinger

Eine Lösung dieses Rätsels haben nun Raphael Ouillon von der University of California in Santa Barbara und seine Kollegen gefunden. Sie haben die Bedingungen im Toten Meer in einem physikalischen Modell nachgebildet und nach Mechanismen gesucht, die die Bildung der Salzkristalle im tieferen Wasser erklären könnten. Besonderes Augenmerk legten sie dabei auf die Prozesse an der Grenzschicht zwischen wärmerer und kälterer Wasserschicht.

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Es zeigte sich Überraschendes. Denn schon kleinste Turbulenzen könnten dazu führen, dass winzige „Finger“ aus warmem Oberflächenwasser in das tiefere Wasser hineinragen. „Anfangs sind diese Finger viel zu klein, um sie sehen zu können. Aber sie interagieren beim Absinken miteinander und formen so immer größere Strukturen“, erklärt Ouillon.

Parallel zu den warmen, nach unten wachsenden Wasserfingern steigen ähnlich feine „Finger“ vom kälteren, weniger salzigen Wasser Richtung Oberfläche auf. „Dadurch bilden sich warme, salzige Wasserfinger unterhalb der Grenzschicht und kältere, salzärmere Finger darüber“, berichten die Forscher.

„Einzigartiges System“

Der Clou dabei: Diese millimeterkleinen „Finger“ aus warmem Oberflächenwasser sind stark mit Salz angereichert. Wenn sie nun in die Tiefe sinken, gelangen sie in kältere Wasserschichten und kühlen sich dadurch allmählich ab. Weil jedoch kälteres Wasser weniger Salz lösen kann als warmes, beginnt das Salz in diesen Fingern auszukristallisieren – es entstehen kleine weißliche Salzkristalle, die zum Grund des Toten Meeres hinabsinken.

Das steckt hinter den rätselhaften Salzablagerungen am Grund des Toten Meeres.© AGU

„Diese Prozesse finden in sehr kleinem Maßstab statt, mit Salzfingern, die nur Millimeter bis Zentimeter dick sind“, erklären Ouillon und sein Team. Aber die schiere Menge solcher Salzfinger reiche aus, um im Laufe der Zeit große Mengen Salz in die kühlere mittlere Wasserschicht zu transportieren. Diese wird dadurch mit Salz gesättigt und das Salz kristallisiert aus. Erst das führt dazu, dass sich nicht nur entlang der flachen Seeufer dicke Krusten aus Salzkristallen bilden, sondern auch in seinem tiefen Zentrum.

„Dies macht das Tote Meer zu einem einzigartigen System“, sagt Koautor Nadav Lensky vom Geologischen Dienst Israels. Denn es ist der einzige tiefe, geschichtete Salzsee weltweit, in dem auf diese Weise Halitkristalle abgelagert werden.

Erklärung auch für urzeitliche Salzablagerungen?

Die neuen Erkenntnisse erklären aber nicht nur, warum die Salzschicht am Grund des Toten Meeres im Laufe der Zeit immer dicker wird. Sie liefern auch Hinweise darauf, wie die hunderte Meter dicken Salzschichten vieler Steinsalzvorkommen einst entstanden sind. So führte beispielsweise die allmähliche Austrocknung des Mittelmeeres vor knapp sechs Millionen Jahren dazu, dass sich stellenweise kilometerdicke Salzschichten ablagerten.

Nach Ansicht der Forscher könnte damals im extrem salzigen Restwasser des Mittelmeeres ein ähnlicher Prozess abgelaufen sein wie heute im Toten Meer. „Denn eine grundlegende Eigenschaft solcher Evaporit-Becken ist es, dass die Salzgesteinsschichten zur Mitte hin dicker werden“, erklären sie. Genau dies aber sei typisch für die Kristallisation durch die „Salzfinger“. Weil es an den Rändern solcher Gewässer keine kältere Tiefenschicht gibt, kommt es dort auch nicht zur geballten Auskristallisation der salzigen Wasserfinger.

Damit ist das Tote Meer zwar heute das einzige Salzgewässer, das diese „Salzfinger“ besitzt. Im Laufe der Erdgeschichte aber könnte es Meeresbuchten, Lagunen und Seen mit ähnlichen Bedingungen gegeben haben. Das Tote Meer eröffnet uns damit auch einen Einblick in die Prozesse, die unseren Planeten vor Jahrmillionen prägten. (Water Resources Research, 2019; doi: 10.1029/2019WR024818)

Quelle: American Geophysical Union

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