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Umwelt

Tauende Gletscher als Quecksilber-Schleudern

Schmelzwasser aus Grönlandgletschern enthält so viel giftiges Schwermetall wie Asiens dreckigste Flüsse

Gletscherwasser
Das Schmelzwasser aus Gletschern im Südwesten Grönlands enthält überraschend viel Quecksilber – teilweise genauso viel wie die am stärksten verschmutzten Flüsse Asiens. © Jade Hatton/ University of Bristol

Unerwartete Kontamination: Das Schmelzwasser grönländischer Gletscher enthält überraschend viel giftiges Quecksilber, wie Messungen enthüllen. Die Konzentrationen liegen höher als in den meisten Flüssen weltweit und werden nur von den schmutzigsten Flüssen Asiens übertroffen. Insgesamt könnte allein der Gletscher-Ausstrom aus dem Südwesten Grönlands für zehn Prozent der weltweiten Einträge von Quecksilber ins Meer verantwortlich sein, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Geoscience“ berichten.

Das Schwermetall Quecksilber ist hochgiftig: Vor allem in seiner biologisch aktiven Form Methylquecksilber kann es das Nervensystem schädigen, Enzyme blockieren und durch schleichende Anreicherung zu schweren Gesundheitsschäden führen. Quecksilber kommt zwar natürlich vor, beispielsweise in bestimmten Mineralen, es gelangt aber inzwischen vermehrt durch anthropogene Prozesse in die Umwelt, unter anderem aus der Kohleverbrennung, Müllfeuern, Waldbränden oder der Zementherstellung. Vor allem in den Ozeanen und der Arktis sind viele Organismen inzwischen stark mit Quecksilber belastet.

So viel Quecksilber wie in den am schlimmsten verschmutzten Flüssen Asiens

Eine unerwartete Quelle der Quecksilberbelastung haben nun Jon Hawkings von der Florida State University und seine Kollegen entdeckt. Für ihre Studie hatten sie das Schmelzwasser von drei großen Gletschern im Südwesten Grönlands und das Wasser der angrenzenden Fjorde auf den Gehalt an verschiedenen Substanzen, darunter auch an Quecksilber hin untersucht. Denn angesichts der zunehmende Eisschmelze wollten sie wissen, welche Elemente und Verbindungen mit dem Gletscherwasser ins Meer fließen.

Dabei zeigte sich Überraschendes: Entgegen den Erwartungen wies das Schmelzwasser hohe Konzentrationen an gelöstem und partikulärem Quecksilber auf. „Die Konzentrationen an gelöstem Quecksilber sind die höchsten je in natürlichen Gewässern gemessenen Werte“, berichten Hawkings und sein Team. „Die Quecksilberwerte dieser Einströme sind mit Werten von 521 bis 3.300 Millimol pro Quadratkilometer und Jahr hundertfach höher als für arktische Flüsse üblich.“

Und auch beim partikulären, an Feststoffe gebundenen Quecksilber waren die Konzentrationen hoch: „Sie reichen an die höchsten je in der Literatur dokumentierten Konzentrationen heran“, konstatieren die Forschenden. Nur die am schlimmsten verschmutzten Flüsse und Flussmündungen in Asien erreichten noch höhere Quecksilberwerte.

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42 Tonnen Quecksilber pro Jahr

Dieser unerwartete Quecksilber-Einstrom mit dem Gletscherwasser ist auch im Wasser der Fjorde noch nachweisbar, wie Messungen belegten. Zudem wird ein beträchtlicher Teil dieses Eintrags in das biologisch aktive Methylquecksilber umgewandelt. „Die Methylquecksilber-Konzentrationen in den Fjorden waren zwar etwas geringer als im Schmelzwasser, aber weit höher als die normalen Werte im offenen Ozean“, so Hawkings und seine Kollegen.

Insgesamt gelangen ihren Berechnungen nach allein durch das Schmelzwasser der Gletscher im Südwesten Grönlands geschätzt bis zu 42 Tonnen Quecksilber pro Jahr ins Meer. Das entspricht rund zehn Prozent des globalen Quecksilbereintrags durch Flüsse in die Weltmeere. „Wir haben nicht einmal ansatzweise erwartet, dass das Schmelzwasser dieser Gletscher so viel Quecksilber enthält“, sagt Hawkings‘ Kollege Rob Spencer. Das könnte bedeuten, dass gerade die Nahrungsketten in den küstennahen Ökosystemen der arktischen Meere weit stärker belastet sind als bislang bekannt.

Woher kommt dieses Quecksilber?

Das weckt die Frage, wo dieses arktische Quecksilber herkommt. Wie die Forschenden erklären, sind die Werte viel zu hoch, um nur von Ablagerungen der Gletscheroberfläche zu stammen. „Es ist daher unwahrscheinlich, dass dieses Quecksilber in größerem Maße aus der anthropogenen Quecksilberverschmutzung der Luft hervorgegangen ist“, schreiben die Wissenschaftler. Stattdessen vermuten sie einen geologische Quelle.

Weil gerade das feine Gletschermehl – das vom Gletschereis zermahlene und mit dem Schmelzwasser weggeschwemmte Sediment – besonders viel Quecksilber enthält, spielt wahrscheinlich das Untergrundgestein der Gletscher eine entscheidende Rolle. Möglicherweise stamme das Quecksilber aus subglazialen Vorkommen von quecksilberhaltigen Mineralen wie Cinnabarit, aber auch Permafrostböden mit hohen Quecksilbergehalten seien denkbar, so das Team.

Indirekter Klimaeffekt

Nach Ansicht der Forschenden werfen ihre Ergebnisse ein ganz neues Licht auf die Bedeutung der zunehmenden Gletscherschmelze und des Schmelzwassers für die Umwelt vor allem der Arktis. Denn dieses Wasser bringt zwar Eisen und weitere wertvolle Nährstoffe in den arktischen Ozean, gleichzeitig aber werden offenbar auch hochgiftige Schwermetalle aus dem Untergrund mobilisiert und gelangen in die Umwelt.

„Alle Anstrengungen, die Quecksilber-Verschmutzung zu verringern, waren bislang darauf ausgelegt, die Emissionen anthropogener Aktivitäten wie der Industrie einzugrenzen“, sagt Hawkings. „Aber wenn nun Quecksilber auch vermehrt aus klimatisch anfälligen Umgebungen wie den Gletschern kommt, dann ist das eine Quelle, die weit schwieriger zu kontrollieren ist.“ (Nature Geoscience, 2021; doi: 10.1038/s41561-021-00753-w)

Quelle: Florida State University

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