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Ökologie

Stickstoff-Überdüngung reicht bis in unberührte Arktis-Seen

Mensch verändert chemische Kreisläufe seit mehr als hundert Jahren

Blick über den High Lake im äußersten Westen Alaskas: Selbst dieser tausende Kilometer von Feldern, Städten oder Industrieanlagen entfernte See zeigt Spuren des menschlichen Einflusses. © Patrick Walsh

Der Mensch hat selbst in den entlegensten Gebieten der Erde wichtige Stoffkreisläufe verändert: Forscher haben festgestellt, dass die Stickstoffwerte auch am Grund scheinbar unberührter Seen der Arktis und der Gebirge schon seit 1895 deutlich angestiegen sind. Diese Nährstoffzufuhr sei vom Menschen verursacht und über die Atmosphäre in die Seen gelangt, berichtet das internationale Forscherteam im Fachmagazin „Science“. Das belege, dass der chemische und ökologische Einfluss des Menschen bereits früher begonnen habe und weitreichender sei als bisher genommen.

Stickstoff ist ein wichtiger Pflanzennährstoff. Weil Pflanzen in fast allen Ökosystemen die Basis der Nahrungsketten bilden, beeinflusst die verfügbare Stickstoffmenge grundlegende Eigenschaften aller Ökosysteme der Erde. Bisher gingen Forscher davon aus, dass der Mensch erst seit einigen Jahrzehnten und nur in dichter besiedelten Gebieten in dieses Gleichgewicht eingreift – vor allem durch den Einsatz von künstlichem Stickstoffdünger in der Landwirtschaft.

Eingriff in biogeochemische Kreisläufe schon vor 115 Jahren

Doch diese Annahme haben Gordon Holtgrieve von der University of Washington und seine Kollegen nun widerlegt: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass vom Menschen in Umlauf gebrachter Stickstoff schon seit rund 115 Jahren und auch in den entlegensten Regionen der Nordhalbkugel nachweisbar ist“, schreiben die Wissenschaftler. Etwa zur gleichen Zeit, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, habe auch die Industrialisierung und vor allem die Verbrennung von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen stark zugenommen.

Offensichtlich habe der Mensch dadurch schon damals biogeochemische Kreisläufe unseres Planeten grundlegend verändert und damit das „Anthropozän“ – das Zeitalter des Menschen – eingeläutet. „In Bezug auf Stickstoff ist die Welt sehr viel kleiner als wir dachten“, sagt Mitautor Daniel Schindler von der University of Washington in Seattle.

Die Karte zeigt die Lage der untersuchten Seen in gemäßigten (grün), alpinen (blau) und arktischen (rot) Regionen der Nordhalbkugel; die Diagramme zeigen die Abnahme des Stickstoff-Isotops N15 in den Sedimenten zweier Seen und in einem grönländischen Eisbohrkern- dies gilt als Indiz für den zunehmenden Eintrag anthropogenen Stickstoffs. © University of Washington

Sedimentproben aus 36 unberührten Seen

Für ihre Studie hatten die Forscher den Stickstoffgehalt in den Sedimenten von 36 Seen in den USA, Kanada und Skandinavien untersucht. Die geografische Verbreitung der Gewässer reichte von gemäßigten bis in polare Breiten. Der vom Menschen in Umlauf gebrachte und am Seegrund abgelagerte Stickstoff hat eine andere Isotopen-Zusammensetzung als der natürlich verfügbare. Dadurch konnten die Wissenschaftler nicht nur den Nährstoffeintrag im Laufe der Zeit ermitteln, sondern auch, woher der Stickstoff stammt.

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Die Analyse zeige, dass das erste Signal des anthropogenen Stickstoffs etwa ab 1895 in fast allen untersuchten Seen zu finden sei, berichten die Forscher. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts nehme der Nährstoffeintrag noch einmal deutlich stärker und rasanter zu.

Erklärung für Algenblüten in entlegenen Bergseen

Nach Ansicht von Holtgrieve und seinen Kollegen könnte der weitreichende Eintrag von Stickstoff auch ein bereits vor einigen Jahren entdecktes Phänomen erklären: Mehrere Forscherguppen stellten damals fest, dass sich die Algen-Zusammensetzung in entlegenen Bergseen in den vergangenen 150 bis 100 Jahren zunehmend verändert.

Bisher seien diese ökologischen Verschiebungen meist auf den Klimawandel zurückgeführt worden. „Unsere Ergebnisse deuten nun auf einen wichtigen alternativen und möglicherweise verstärkenden Mechanismus hin“, sagen die Forscher. Die seit gut 100 Jahren steigenden Stickstoffkonzentrationen im Seewasser könnten das Algenwachstum ebenfalls verändert haben und so zu den beobachteten Veränderungen beigetragen haben. (Science, 2011; doi: 10.1126/science.1212267)

(Science, 16.12.2011 – NPO)

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