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Archäologie

Stonehenge-Vorgänger könnte in Wales gestanden haben

Steinkreisreste deuten auf "Generalprobe" für den berühmten Steinkreis hin

Stonehenge
Die ältesten Steine von Stonehenge könnten aus einem oder mehreren Vorgänger-Steinkreisen in Wales stammen. © nicolamargaret/ iStock.com

Prähistorisches Recycling: In Wales haben Archäologen Reste eines Steinkreises entdeckt, der eine Art „Generalprobe“ für das spätere Stonehenge gewesen sein könnte. Einige der Stonehenge-Blausteine könnten schon vor 5.500 Jahren zu diesem walisischen Steinkreis gehört haben. Doch dann wurde das Monument abgebaut und Steine und Menschen verließen die Gegend – um dann hunderte Kilometer entfernt in Stonehenge wieder neu anzufangen.

Stonehenge im Südwesten Englands ist eines der berühmtesten Megalith-Bauwerke weltweit. Schon vor rund 5.000 Jahren wurde die erste Version dieses Steinkreises aus rund 80 Blausteinen errichtet. Interessanterweise kamen sowohl die Steine als auch einige der frühen Erbauer von Stonehenge aus Wales. Erst vor rund 4.000 Jahren wurde der Steinkreis zu seiner heutigen Form umgebaut und bekam seine aus der Nähe von Stonehenge stammenden Sarsensteine.

Steinbruch
Aus diesem Steinbruch in den Peseli-Bergen stammen einige der Blausteine für Stonehenge. © ceridwen /CC-by-sa 2.0

Ein Steinkreis mit leeren Löchern

Doch wie sich jetzt zeigt, liegt nicht nur der Ursprung der Blausteine in Wales – der gesamte erste Steinkreis von Stonehenge könnte einst dort gestanden haben. Indizien dafür haben Mike Parker Pearson vom University College London und sein Team in Waun Mawn in den Preseli-Bergen in Wales entdeckt. Bereits 2010 waren dort vier im Bogen stehende Blausteine entdeckt, aber zunächst nicht weiter beachtet worden.

Erst 2018 haben die Archäologen Waun Mawn noch einmal mit Radar, Magnetometern und Leitfähigkeitsmessungen näher untersucht und auch Ausgrabungen durchgeführt. Dabei stießen sie auf sechs Löcher, in denen einst Blausteine gestanden haben müssen. Aus diesen und weiteren Funden schließen die Forscher: Hier stand einst ein Steinkreis. „Die sechs Löcher und vier noch stehenden Steine könnten ursprünglich einen Kreis aus 30 bis 50 Steinen gebildet haben“, berichten Parker Pearson und sein Team.

Das gesamte Monument in Waun Mawn hatte wahrscheinlich einen Durchmesser von 110 Metern.  „Waun Mawn ist damit der drittgrößte Steinkreis in Großbritannien, nach dem äußern Kreis von Avebury mit 331 Metern und Stanton Drew mit 113 Metern“, so die Forscher.

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Hunderte Jahre älter als Stonehenge

Doch wann wurde der walisische Steinkreis errichtet? Um das herauszufinden, unterzogen die Archäologen das Sediment sowie Kohlenreste in den Steinlöchern einer Radiokarbon- und einer Optischen Lumineszenz-Datierung. Letztere kann verraten, wann ein Mineral aus dem Untergrund ans Licht gelangte und damit, wann die Löcher gegraben wurden.

Das Ergebnis: Der Steinkreis von Waun Mawn muss etwa um 3.500 vor Christus errichtet worden sein. „Damit gehört Waun Mawn zu den ältesten Steinkreisen in Großbritannien“, berichten Parker Pearson und seine Kollegen. Und das Megalith-Bauwerk ist mehrere hundert Jahre älter als die erste Blaustein-Fassung von Stonehenge. Das belegt, dass die Preseli-Berge schon lange vor Stonehenge ein Zentrum der neolithischen Religiosität waren, so die Archäologen.

Rätselhaftes Verschwinden

Merkwürdig nur: Statt sich zu einem ganzen Komplex aus Heiligtümern weiterzuentwickeln wie später Avebury oder Stonehenge, stoppte die Entwicklung in Waun Mawn abrupt: Ab etwa 3.000 vor Christus gibt es keinerlei Spuren von Aktivität an diesem Steinkreis mehr. Und noch seltsamer: Um diese Zeit wurden offenbar die meisten Steine aus dem Steinkreis wieder entfernt.

„Es ist, als wenn sie einfach verschwunden wären“, sagt Parker Pearson. Und auch die Bevölkerung dieser Gegend könnte sich um diese Zeit stark ausgedünnt haben. „Die meisten dieser Menschen wanderten aus und nahmen offenbar ihre Steine – Symbole ihrer Identität und ihrer Ahnen – mit sich um an anderer Stelle neu anzufangen.“

Von Wales nach Stonehenge

Wohin aber verschwanden die Menschen von Waun Mawn und ihre heiligen Steine? An diesen Punkt kommt nach Ansicht von Parker Pearson und seinem Team Stonehenge ins Spiel. Sie vermuten, dass zumindest einige der Steine aus dem Kreis von Waun Mawn später für den ersten Steinkreis von Stonehenge verwendet wurden. „Es scheint, dass Stonehenge zum Teil oder ganz von neolithischen Einwanderern aus Wales errichtet wurde, die ihre Monumente als physikalische Manifestation ihrer Identität mit sich brachten und in der Ebene von Salisbury neu aufbauten“, so die Forscher.

Das würde bedeuten, dass einige der Blausteine von Stonehenge nicht nur aus den Steinbrüchen der Preseli-Berge stammen, sondern dass sie lange vor Stonehenge schon Teil anderer Steinkreise in Wales waren – sie wurden gewissermaßen recycelt. Zumindest bei einem Stein gibt es dafür starke Indizien: Einer der Blausteine von Stonehenge hat eine ungewöhnliche, kreuzförmige Grundfläche – und ein Loch der passenden Form und Größe findet sich auch in Waun Mawn.

Interessant auch: Die Abmessungen von Waun Mawn entsprechen ziemlich genau denen des äußeren Grabens in Stonehenge – der walisische Steinkreis ist das einzige prähistorische Monument mit genau diesem Durchmesser, wie die Archäologen erklären. Zudem waren die Blausteine beider Steinkreise so angeordnet, dass einer ihrer Eingänge den Sonnenaufgang zur Sommersonnenwende markierte.

Stonehenge-Steine aus mehrere Steinkreisen

Nach Ansicht der Archäologen könnte Stonehenge demnach nicht nur physikalisch, sondern auch spirituell seine Wurzeln in Wales gehabt haben. Seine Erbauer errichteten diesen Steinkreis möglicherweise als Manifestation ihrer Kultur und Religion, aber auch als Zeichen eines Neubeginns und der friedlichen Integration von Menschen verschiedener Herkünfte und Kulturen. Denn von den 43 in Stonehenge gefundenen Blausteinen stammen zwar viele aus Wales, aber nicht alle passen zu Waun Mawn und dem dort verwendeten Blausteintyp.

„Ich vermute, dass Waun Mawn nicht der einzige walisische Steinkreis ist, der zu Stonehenge beitrug“, erklärt Parker Pearson. Stattdessen könnten Steine aus mehreren neolithischen Monumenten nach Stonehenge gebracht und dort zu einem gemeinsamen Heiligtum vereint worden sein. „Diese Entdeckung ist die Krönung von 20 Jahren der Forschung – es ist eine der wichtigsten Entdeckungen, die ich jemals gemacht habe“, sagt Parker Pearson.

Warum verließen die Waliser damals ihre Heimat?

Warum jedoch die Menschen vor gut 5.000 Jahren so plötzlich ihre walisische Heimat verließen und nach Südengland zogen, ist rätselhaft: „Was waren die Treiber dieser Migration? Waren sie klimatisch, ökonomisch, sozial oder politisch – oder eine Kombination davon?“, fragen die Wissenschaftler. Und warum wählten die walisischen Migranten gerade die Ebene von Salisbury als neue Heimat für sich und ihre heiligen Steine?

Noch gibt es auf diese Fragen keine Antworten. Doch Parker Pearson und sein Team wollen in den Preseli-Bergen künftig weiter nach Hinweisen darauf suchen, was diese jungsteinzeitliche Auswanderung ausgelöst hat. (Antiquity, 2021; doi: 10.15184/aqy.2020.239)

Quelle: University College London

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