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Geowissen

Spezialkamera fliegt erstmals über dem Himalaya

Neues Aufnahmesystem soll 3D-Bilder katastrophengefährdeter Gebirgsregionen liefern

Schon bei ihrem ersten Testflug mit der 3D-Spezialkamera flogen die Wissenschaftler bis in die Nähe des 8.091 Meter hohen Annapurna (im Hintergrund). © DLR (CC-BY 3.0)

Überschwemmungsgefahr im Himalaya: In den abgelegenen und unzugänglichen Tälern Nepals ist es praktisch unmöglich, Gletscher und Gebirgsseen zuverlässig zu überwachen, und ausreichend detaillierte Luftaufnahmen gibt es bislang nicht. Deutsche Wissenschaftler haben nun ein neues fliegendes Kamerasystem getestet. Mit dessen hochauflösenden Bildern sollen in Zukunft Überschwemmungen rechtzeitig vorausgesagt werden können.

Im Himalaya verlieren immer wieder dutzende Nepalesen ihr Leben bei Hangrutschungen und Spontanüberflutungen. Ganze Dörfer und auch Infrastruktur wie Brücken und Straßen sind dadurch bedroht. Detaillierte Luftaufnahmen und 3D-Modelle verschiedener nepalesischer Regionen sollen es ermöglichen, solche Katastrophen künftig besser vorherzusagen. Bisher liefern allerdings ausschließlich Satelliten die Bilder dieser entlegenen Regionen – deren Auflösung ist nicht hoch genug für die nötigen Details. Ein neuartiges Kamerasystem soll nun deutlich bessere Bilder liefern: Im Rahmen des Mountain Wave Project (MWP) erproben Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine Kamera, die detaillierte Luftbilder von einem Motorsegelflugzeug aus aufnimmt.

„Am 23. Januar 2014 haben wir erfolgreich den ersten Himalaya-Flug mit unserer Kamera absolviert“, freut sich Projektleiter Jörg Brauchle vom DLR-Institut für Optische Sensorsysteme in Berlin. Aus einer Flughöhe von 6.400 Metern gewannen die Wissenschaftler multispektrale Aufnahmen mit einer Auflösung von bis zu 20 Zentimetern. Brauchle ist zuversichtlich: „Die Kamera liefert eine optimale Datengrundlage für die 3D-Modellierung von Gebirgsregionen.“ Erstmalig überhaupt fliegt in dieser anspruchsvollen Region solch ein digitales Luftbildkamerasystem.

Erfolgreiche Kamera für extreme Bedingungen

Bis es so weit war, musste die im DLR entwickelte und gebaute Spezialkamera MACS (Modular Aerial Camera System) einige Härteprüfungen bestehen: Schließlich soll das Kamerasystem über dem Himalaya bis in Höhen von 8.000 Metern und bei Temperaturen unter minus 40 Grad Celsius insbesondere Gletscher und Hänge fotografieren. Also muss die Kamera auch bei Unterdruck und extremer Kälte perfekte Bilder liefern.

Die im DLR entwickelte und gebaute Spezialkamera MACS (Modular Aerial Camera System) ist unter der Tragfläche montiert. © DLR (CC-BY 3.0)

„Dafür haben wir auch auf Erfahrungen beim Bau von Weltraumkameras zurückgegriffen“, so Brauchle. „Im All herrschen schließlich noch extremere Bedingungen.“ Die Aufnahmetechnik des Kamerasystems ist speziell auf die Besonderheiten von Hochgebirgsregionen ausgelegt. Drei seitlich zueinander geneigte Kameraköpfe ergeben einen Sichtbereich von 120 Grad. Damit ist es möglich, steile Hangstrukturen hochaufgelöst aufzunehmen.

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MACS ist in einem Behälter unter der Tragfläche eines Motorsegelflugzeugs des Typs Stemme S10VTX montiert. Einen ersten Testflug über dem Stubaier Gletscher in Österreich absolvierte das System bereits erfolgreich im August 2013. Nach einem zweiwöchigen Überführungsflug über Europa, Ägypten, die arabische Halbinsel, Pakistan und Indien nach Nepal stehen dem Team im Basislager in Pokhara am Rand des Annapurna-Gebiets nun zwei dieser Motorsegler zur Verfügung. Messflüge von dort aus sind zunächst im Annapurna-Gebiet und in der südlichen Everest-Region geplant.

Besondere Herausforderung für Piloten

Bei den Segelflügen im Himalaya sind die starken Höhen- und Fallwinde eine besondere Herausforderung für die Piloten. Aus dem Mountain Wave Project (MWP) bringen sie jedoch bereits nötige Erfahrungen mit. „Das Mountain Wave Project ist ursprünglich für die Erforschung von Wellensystemen in Hochgebirgsregionen und deren gefürchteter Wirbel mit horizontalen Rotationsachsen, den sogenannten Rotoren, gegründet worden“, erzählt der leidenschaftliche Segelflieger, Meteorologe und Projektgründer René Heise.

Ziel dieses Projekts ist es, besondere Luftströmungen an Hochgebirgen zu erforschen. Dazu gehören auch die sogenannten Leewellen: Diese Aufwinde können Segelflugzeuge enorm hoch und weit tragen. Piloten des MWP stellten im November 2003 bereits mit Hilfe solcher Wellen einen Langstreckenrekord in den Anden über 2.138 Kilometer mit einem Segelflugzeug auf. 2006 stießen sie, ebenfalls über den Anden, bis in die untere Stratosphäre in 12.500 Meter Höhe vor. Diese Erfahrungen kommen nun der Messkampagne im Himalaya zugute.

Mit den Aufnahmen der MACS-Spezialkamera entstehen am Computer detaillierte farbige 3D-Modelle der überflogenen Gebirgsregion. Hier ist der Stubaier Gletscher in den östereichischen Alpen zu sehen. Die Daten stammen von einem Testflug im Sommer 2013. © DLR (CC-BY 3.0)

Schwachstellen für das menschliche Auge kaum sichtbar

Die Wissenschaftler arbeiten am Annapurna eng mit den nepalesischen Behörden sowie einem internationalen Team von Wissenschaftlern aus der Himalaya-Region zusammen. Sie interessieren sich besonders für Gletscher und Gletscherseen in der Nähe der Täler: Sie sind oftmals der Schlüssel zu einer besseren Vorhersage von Überschwemmungen, die sich tiefer unten im Tal abspielen. In den kommenden Tagen wollen die Forscher das Seti-Tal im Annapurna-Gebiet überfliegen, das in dieser Hinsicht für Geologen und Glaziologen besonders interessant ist. Der Fluss Seti ist bereits mehrfach plötzlich und unvorhergesehen über die Ufer getreten. Grund dafür war ein Gletschersee, der durch seine natürliche Sperre gebrochen war.

Aus den Aufnahmen der Spezialkamera entstehen am Computer detaillierte farbige 3D-Modelle der überflogenen Gebirgsregion. Besonders wichtig ist dabei die präzise Darstellung der steilen Hangabschnitte. Die Forscher um Abteilungsleiter Frank Lehmann wollen den Gefahren steiler Bergflanken auf die Spur kommen: „Für das menschliche Auge sind sich anbahnende Hangrutschungen und Gerölllawinen kaum sichtbar“, erklärt Lehmann. Mit Hilfe des 3D-Modells lässt sich das Gefahrenpotential jedoch computergestützt unter Berücksichtigung von geologischen, hydrologischen sowie meteorologischen Daten analysieren.

Aeronautics Blog des DLR

(Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), 27.01.2014 – AKR)

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