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Archäologie

Rätselhaftes Massaker in der Kupferzeit

Tötung von 41 Menschen lässt sich nicht mit Krieg, Rache oder Ritualen erklären

Massengrab
In diesem 6.200 Jahren alten Massengrab liegen die Gebeine von 41 gewaltsam getöteten Männern, Frauen und Kindern. © Novak et al, 2021/ PLOS ONE, CC-by-sa 4.0

Mysteriöse Morde: Ein vor 6.200 Jahren in Kroatien verübtes Massaker gibt Archäologen Rätsel auf. Denn die 41 Männer, Frauen und Kinder wurden ohne ersichtlichen Grund getötet und in ein Massengrab geworfen. DNA-Analysen und Untersuchungen der Skelette liefern keine Hinweise auf einen Krieg, die gezielte Verfolgung einer Volksgruppe oder Familie oder eine religiöse Zeremonie. Damit könnte es sich um das älteste bekannte Zeugnis einer wahllosen Gewalttat handeln.

Die Geschichte des Menschen ist von Mord und Totschlag geprägt: Schon die Neandertaler schlugen einander die Köpfe ein und auch der Gletschermann „Ötzi“ kam gewaltsam zu Tode. Massengräber zeugen zudem davon, dass unsere Vorfahren schon vor mindestens 10.000 Jahren untereinander Kriege führten. Aber auch die Tötung Gefangener, Massen-Hinrichtungen und die Auslöschung ganzer Dorfgemeinschaften durch rivalisierende Clans sind aus der Jungsteinzeit vor rund 7.000 Jahren bekannt.

Schädel
Tödliche Verletzungen am Schädel einer jungen Frau aus dem Massengrab von Potocani. © Mario Novak/ Institute for Anthropological Research

Mord an 41 Männern, Frauen und Kindern

Ein weiteres Beispiel für urzeitliche Gewalt ist das Massaker, das vor rund 6.200 Jahren in der Nähe des heutigen Orts Potocani in Kroatien stattfand. Dort haben Archäologen in einem Massengrab die durcheinander liegenden Gebeine von 41 Männern, Frauen und Kindern entdeckt. Den Datierungen zufolge starben diese Menschen alle zur gleichen Zeit. 13 der 41 Toten zeigten schwere Verletzungen am Schädel, die auf eine absichtliche Tötung hindeuten.

„Auch wenn wir für die anderen Individuen keine klaren Hinweise auf die Todesursache haben, starben auch sie ziemlich sicher gewaltsam“, sagt James Ahern von der University of Wyoming. „Denn die Mehrheit der Tötungen hinterlässt keine klaren Belege für ein Trauma an den Skeletten. Diese Personen könnten stranguliert, erschlagen oder erstochen worden sein, ohne dass die Knochen beschädigt wurden.“

Keine Anzeichen für einen Kampf unter Kriegern

Um herauszufinden, warum diese Menschen massakriert wurden, haben Ahern, Erstautor Mario Novak vom Zentrum für Bioanthropologie in Zagreb und ihr Team die Skelette eingehend untersucht und sowohl DNA- als auch Isotopenanalysen der Überreste durchgeführt. Dabei bestätigte sich, dass unter den Toten alle Altersgruppen vertreten sind und Frauen wie Männer in nahezu gleichem Anteil getötet wurden. „Das zeigt das dieses Massaker nicht auf Kämpfe unter Männern zurückgeht, wie man es bei einem Krieg erwarten würde“, so die Forscher.

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Könnte es sich dann um die Tötung einer Minderheit, beispielsweise einer frisch eingewanderten Gruppe handeln? Die genetischen Analysen widerlegen auch das. Denn ihrer DNA zufolge gehörten die Toten keiner fremden Volksgruppe an – ihre Abstammung entspricht der ihrer Zeitgenossen in dieser Region. „Wir haben auch keine Hinweise auf einen größeren Populationswandel zu jener Zeit gefunden“, berichten Novak und sein Team.

Familienfehde unwahrscheinlich

Eine weitere Erklärung für das Massaker wäre, dass dort ein ganzer Familienclan getötet wurde – ein solcher Fall ist von einem 5.000 Jahre zurückliegenden Massaker in Polen bekannt. Novak und sein Team untersuchten daher anhand der Gendaten die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Toten aus Potocani.

Das Ergebnis: Unter den Getöteten waren zwar einige Verwandte, darunter ein Mann mit seinen beiden Töchtern, ein Vater mit seinem Sohn und zwei sechs- bis zehnjährige Schwestern. Aber 70 Prozent der Toten waren nicht enger miteinander verwandt, wie die Forscher berichten. Das spreche gegen eine Familienfehde oder eine Tötung einer eng umgrenzten Verwandtschaftsgruppe.

„Wahllose Massentötung“

„Das Massengrab von Potocani ist demnach das Resultat einer wahllosen Tötung von Menschen, ohne Hinweise auf einen Krieg oder einen gezielten Mord an Angehörigen eines Geschlechts oder Alters“, konstatieren die Archäologen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass wahlloses Töten in großem Stil kein Merkmal nur der Neuzeit ist: Es kam schon in den vorstaatlichen Gesellschaften vor.“ Ihren Angaben nach könnte es sich dabei um einen der ältesten Fälle einer scheinbar wahllosen Massentötung handeln.

Was die Menschen vor 6.200 Jahren dazu brachte, ihre Zeitgenossen umzubringen, ist bislang ungeklärt. Novak und seine Kollegen vermuten, dass die Lebensbedingungen der damaligen Zeit den Ausbruch von Gewalt und Konflikten begünstigt haben könnten. Denn in der Kupferzeit wandelte sich das Klima auf dem Balkan, gleichzeitig nahm die Bevölkerung deutlich zu.

„Solche Faktoren können dazu führen, dass sich Gruppen die Territorien und Ressourcen anderer einfach gewaltsam aneignen“, so die Archäologen. (PLoS ONE; 2021; doi: 10.1371/journal.pone.0247332)

Quelle: PLOS, University of Wyoming

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