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Medizin

Rätsel um Kindermumie gelöst

Vor 450 Jahren gestorbenes Kind aus Neapel litt doch nicht an den Pocken

Erst jetzt haben Forscher aufgeklärt, an welcher Krankheit dieses vor 450 Jahren in Neapel gestorbene Kind litt. © Zoe Patterson Ross et al. /PLOS Pathogens, doi: 10.1371/journal.ppat.1006750.g001

Hepatitis statt Pocken: Mittels DNA-Analysen haben Forscher die wahre Todesursache eines vor knapp 450 Jahren gestorbenen Kindes aufgedeckt. Demnach litt das rund zweijährige Kind aus Neapel nicht an den Pocken wie bisher angenommen, sondern war mit Hepatitis B infiziert. Das historische Viren-Erbgut belegt, dass dieser Erreger schon seit Jahrhunderten den Menschen befällt, und liefert wertvolle Einblicke in die Evolution dieser Viren.

Im Jahr 1983 machten Archäologen in der Basilica von Santo Domenico Maggiore in Neapel einen spannenden Fund: Bei Ausgrabungen in der Sakristei der Kirche stießen sie auf die Mumie eines etwa zwei Jahre alten Kindes. Radiokarbondatierungen ergaben, dass dieses Kind vor rund 440 Jahren starb und einbalsamiert worden war.

Starb das Kind an den Pocken?

Was aber war die Todesursache dieses Kindes? Bei näherer Untersuchung der kleinen Mumie entdeckten Wissenschaftler damals einen auffallenden Hautausschlag in ihrem Gesicht, auf den Armen und am Rumpf. Aus dem Aussehen dieser Pusteln schlossen sie, dass das Kind wahrscheinlich an den Pocken gestorben war.

Ebenfalls für die Pocken sprach, dass ein Antikörpertest an Gewebeproben aus den Pusteln eine positive Reaktion auf das Variola-Virus ergab. On elektronenmikroskopischen Aufnahmen entdeckten die Forscher zudem eiförmige Verdichtungen im Gewebe, die sie als Pockenviren interpretierten. Der Fall schien damit klar zu sein: Das Kind war ein Opfer der Pocken.

Das Kind hatte Spuren von Pusteln an Gesicht und Körper, die zunächst auf die Pocken hinzudeuten schienen. © Gino Fornaciari/ Universität Pisa

Keine Spur von Pocken-DNA

Doch jetzt haben Zoe Patterson Ross von der Universitys of Sydney und ihre Kollegen den historischen Todesfall noch einmal untersucht – mit Methoden, die ihren Kollegen in den 1980er Jahren noch nicht zur Verfügung standen. Für ihre Studie entnahmen sie Proben aus verschiedenen Hautpartien, sowie aus Muskeln und Knochen der Mumie und isolierten daraus das Erbgut des Kindes. Darin suchten sie dann nach Spuren von Viren-DNA.

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Das überraschende Ergebnis: Trotz umfassender DNA-Analysen fanden Ross und ihre Kollegen keinerlei Hinweise auf eine Pocken-Infektion. „Wir konnten nicht eine einzige signifikante Sequenz des Variola-Genoms finden“, berichten sie. Auch Gewebeuntersuchungen mit dem Elektronenmikroskop lieferten im Gegensatz zu den früheren Ergebnissen keine Spuren von Pockenviren.

DNA des Hepatitis-B-Virus

Stattdessen stießen die Forscher auf die genetischen Relikte eines anderen Krankheitserregers: des Hepatitis-B-Virus (HBV). Dieses DNA-Virus kann akute Leberentzündungen verursachen und im Extremfall zum Tode führen. In den meisten Fällen jedoch kommt es zu einer chronischen Infektion ohne schwerwiegende Symptome. Die Forscher schätzen, dass weltweit rund 350 Millionen Menschen dieses Virus in sich tragen.

Im Falle der Kindermumie aus Neapel konnten die Wissenschaftler in nahezu allen Gewebeproben DNA-Spuren des Hepatitis-B-Virus nachweisen. „Unserer Interpretation nach litt das Kind zum Zeitpunkt seines Todes daher nicht an den Pocken, sondern an Hepatitis B“, konstatieren Ross und ihre Kollegen. Der Genotyp des Virus entsprach dabei dem eines Hepatitis-Stammes, der noch heute im Mittelmeerraum verbreitet ist.

Dieser kleine Junge leidet am Gianotti-Crosti-Syndrom. © Masryyy/ CC-by-sa 4.0

Gianotti-Crosti-Syndrom statt Pockenpusteln

Zu dieser Diagnose passen auch die vermeintlichen Pockenpusteln an Körper und Gesicht des Kindes, wie die Forscher berichten: Gerade bei Kindern im Alter zwischen zwei und zehn Jahren kann eine Hepatitis-B-Infektion das sogenannte Gianotti-Crosti-Syndrom auslösen – einen Hautausschlag im Gesicht, den Extremitäten und Teilen des Rumpfes.

Der Nachweis des Virus in der Mumie belegt, dass Hepatitis B und dieses Syndrom schon vor knapp 450 Jahren im Mittelmeerraum vorkamen, so die Wissenschaftler. Spannend ist dies vor allem deshalb, weil man bis heute kaum etwas über die Evolution dieses Virus weiß. „Trotz der vielen Fälle ist noch immer unklar, seit wann das Hepatitis B-Virus in der menschlichen Bevölkerung grassiert“, erklären Ross und ihre Kollegen.

Einblick in die Virengeschichte

Überraschenderweise ergab die nähere Analyse der Viren-DNA aus der Mumie, dass sich das Erbgut des Hepatitis-B-Erregers offenbar seit knapp 450 Jahre so gut wie nicht verändert hat. Angesichts der typischerweise hohen Mutationsrate von viralen Erregern sei dies sehr ungewöhnlich, sagen die Forscher.

„Sollten sich diese Ergebnisse bestätigen, dann könnte dies darauf hindeuten, dass sich die verschiedenen Genotypen des HBV schon lange vor dem 16. Jahrhunderts herausbildeten“, so Ross und ihre Kollegen. „Das spricht für eine lange Assoziation dieses Virus mit seinem menschlichen Wirt.“ (PLoS Pathogens, 2018; doi: 10.1371/journal.ppat.1006750)

(McMaster University, 08.01.2018 – NPO)

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