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Rätsel der „Zeitlupen”-Erdbeben erforscht

Überraschende Erkenntnisse über den episodischen Tremor im pazifischen Nordwesten der USA

Im Gegensatz zu normalen Beben ist der episodische Tremor nicht spürbar © USGS/MMCD

Alle ein bis eineinhalb Jahre zittert im pazifischen Nordwesten der USA drei bis vier Wochen lang die Erde – nicht spürbar aber persistent. Jetzt haben amerikanische Forscher diesen rätselhaften Tremor erstmals genauer untersucht. Wie sie in „Nature Geoscience“ berichten, ist ein quasi in Zeitlupe stattfindendes Verrutschen in der Tiefe der Cascadia-Verwerfung dafür verantwortlich. Weil das Gestein dort biegsamer ist, gibt es dem Druck der wandernden Platten leichter und häufiger nach. Ob sich dieser episodische Tremor auch als Vorwarnzeichen für ein drohendes Starkbeben eignet, ist jedoch noch unklar.

Vor rund zehn Jahren entdeckten Wissenschaftler im pazifischen Nordwesten der USA ein rätselhaftes seismisches Phänomen: Etwa alle zwölf bis 15 Monate beginnt der Untergrund entlang der Cascadia-Verwerfung an der Plattengrenze zwischen der Nordamerikanischen und der San Juan de Fuca-Platte zu verrutschen. Innerhalb von drei bis vier Wochen setzt diese Bewegung so viel Energie frei wie ein Erdbeben der Stärke 6,8, zu spüren ist aber absolut nichts davon. Der Grund: Normalerweise entlädt sich bei einem Beben die Spannung durch ein plötzliches Reißen entlang der Verwerfung. Bei dem so genannten episodischen Tremor oder langsamen Rutschen dagegen setzt sich der Riss nur sehr langsam fort.

„Bisher ist nicht klar, warum das so langsam vonstatten geht und was es davon abhält, schneller zu werden und sich in ein volles Erdbeben zu verwandeln“, erklärt Heidi Houston, Professorin für Geowissenschaften an der Universität von Washington. Um das herauszufinden, analysierten Houston und Kollegen Daten von seismischen Tremor-Ereignissen in den Jahren 2004 bis 2009 entlang der Nordwestküste der USA. Die fünf erfassten Tremorperioden ergaben 110 Tage an Aufzeichnungen von 16.000 Messorten.

Schnelle Wellen rasen rückwärts

Bei der Auswertung der Daten entdeckte die Forschungsgruppe Überraschendes: Beim episodischen Tremor schritt der Riss in der Verwerfung nur allmählich in eine Richtung fort. Aber gleichzeitig gingen von der Front des Ereignisses immer wieder Cluster von seismischen Signalen aus, die sich schnell rückwärts, also gegen die Wanderungsrichtung des Tremors, ausbreiteten. Sie rasten mit 20 bis 40facher Geschwindigkeit die Verwerfungsbereiche entlang, die bereits in den vergangenen Tagen gerissen waren.

„Der episodische Tremor geht erst mal eher langsam durch einen Verwerfungsbereich und bricht ihn“, erklärt Houston. „Wenn dann dieser Bereich einmal gebrochen und geschwächt ist, können sich die zurückwandernden Wellen hier sehr viel schneller ausbreiten.“ Solche Umkehrungen der Tremorsignale registrierten die Messgeräte besonders häufig in der Juan de Fuca-Meerenge. Nach Ansicht der Forscher deutet dies darauf hin, dass möglicherweise auch die hier wirkenden Gezeiten des Ozeans eine Rolle spielen könnten.

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Tremor in größerer Tiefe als Starkbeben

Die Forscher stellten zudem fest, dass der episodische Tremor sich in einer Tiefe von 35 bis knapp 70 Kilometern ereignet. In diesem Tiefenbereich macht die höhere Temperatur im Untergrund die absinkenden Erdplatten biegsamer und damit auch rutschiger – langsame Rutschungen sind hier daher häufiger möglich, so dass sich Spannungen im Durchschnitt nur maximal 15 Monate lang aufstauen, bevor sie sich entladen.

Im Gegensatz dazu liegen die Hypozentren „normaler“ Erdbeben entlang der Subduktionszone meist nur in rund 20 Kilometern Tiefe. Hier sind die absinkenden Platten noch steif und verhaken sich leichter ineinander. Die entstehenden Spannungen können sich über hunderte Jahre aufstauen, entsprechend stark sind die resultierenden Erdbeben. Oft sind dann so genannte Megathrust-Beben, wie am 11. März 2011 vor der Küste Japans, die Folge.

Beeinflusst der Bebenzyklus den Tremor?

Ungeklärt ist allerdings, was zwischen diesem oberen, verhakten Bereich der Verwerfung und der biegsamen Zone des episodischen Tremors geschieht. So ist beispielsweise offen, ob und wie der seismische Zyklus – die Abfolge von Spannungsaufbau und Entladung durch Beben – den episodischen Tremor beeinflusst. Im Bereich der Cascadia-Verwerfung im Nordwesten der USA ereignete sich das letzte starke Beben im Jahr 1700, seither staut sich Spannung auf. Alle 500 Jahre, so schätzen die Erdbebenforscher, ist ein Beben hier fällig. Die Frage ist nun, ob sich die Intervalle zwischen den Tremor-Episoden eventuell ändern, wenn sich das Ende dieses Zyklus nähert.

„Verschiedene Aspekte des Tremorsignals könnten sich ändern, wenn der seismische Zyklus reift“, so Houston. „Es ist auch möglich, dass sich das ‚Rauschen‘ der Tremor-Ereignisse, das unsere Seismometer aufzeichnen, vor einem großen Erdbeben verstärken.“ Zumindest für den pazifischen Nordwesten der USA wäre dies ein wertvolles Vorwarnsignal, das rechtzeitige Schutzmaßnahmen vor dem nächsten Starkbeben ermöglichen könnte. (Nature Geoscience, 2011: DOI: 10.1038/NGEO1157)

(University of Washington, 24.05.2011 – NPO)

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