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Radioaktivität nährt tiefe Biosphäre

Radioaktiver Zerfall liefert Mikroben im tiefen Sediment ihre Lebensgrundlagen

Tiefe Biosphäre
Durch radioaktive Strahlung erzeugter Wasserstoff ist ein wichtiger Energielieferant für die Organismen der tiefen Biosphäre.© shaunl/ iStock.com

Strahlende Nahrungsquelle: Ein Großteil der Lebenswelt in tiefen Sedimenten wird von Radioaktivität angetrieben – vom natürlichen Zerfall radioaktiver Elemente, wie nun eine Studie bestätigt. Denn die dabei freiwerdende Strahlung erzeugt Wasserstoff und andere für die Mikroben lebenswichtige Moleküle. In nassem Sediment entsteht dabei besonders viel strahlenbedingter Wasserstoff– das könnte Konsequenzen für atomare Endlager haben.

Ob kilometertief unter dem Meeresgrund oder im „Keller“ der Kontinente: Trotz Dauerdunkel, kargen Nährstoffen und hohem Druck existiert eine vielfältige Gemeinschaft verschiedenster Mikroben und Kleinstorganismen. Die Biomasse dieser tiefen Biosphäre entspricht mindestens der der oberirdischen Lebenswelt und umfasst Quadrilliarden von Zellen. Diese überdauern die Härten der Tiefe nicht etwa passiv und im Sparmodus, sondern betreiben aktiven Stoffwechsel und vermehren sich sogar.

Wasserstoff als Energielieferant

Doch woher nehmen diese Tiefenbewohner ihre Energie? Aus Untersuchungen des kontinentalen Untergrunds weiß man, dass viele dieser Mikroben Wasserstoff als chemischen Treibstoff für ihren Stoffwechsel benutzen. In Verbindung mit Chemikalien aus den Gesteinsmineralen gewinnen die Organismen aus ihm Energie und Nahrung. Der Wasserstoff wiederum wird teilweise bei chemischen Reaktionen frei, die durch natürliche radioaktive Zerfälle im Untergrund angestoßen werden.

„Aber in welchem Maße die unterirdischen Ökosysteme auf diesen radiolytischen Produkten beruhen, war bislang kaum bekannt – auch weil man nicht wusste, wie hoch die chemische Ausbeute durch diese Zerfallsstrahlung ist“, erklären Justine Sauvage von der Universität Göteborg und ihre Kollegen. Sie haben deshalb am Beispiel des tiefen Ozeansediments untersucht, wie viel Wasserstoff durch radioaktive Strahlung entsteht.

Nasses Sediment verstärkt Strahlungsausbeute

Im ersten Schritt setzten die Forscher dafür in einem Laborexperiment Salzwasser sowie Proben verschiedener tiefer Meeressedimente der Alpha- und Gammastrahlung radioaktiver Zerfälle aus. Als Gammastrahlen-Quelle nutzten sie Cäsium-137, als Alphastrahler Polonium-210. Es zeigte sich: Im wasserdurchtränkten Sediment entstand bei gleicher Strahlung sehr viel mehr Wasserstoff als im puren Wasser. Der Wasserstoffertrag lag um das bis zu 30-Fache höher.

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„Das nasse marine Sediment wirkt wie ein Verstärker für die Produktion der nutzbaren Chemikalien“, erklärt Seniorautor Steven D’Hondt von der University of Rhode Island. Sowohl die Ausbeute an Wasserstoff wie an anderen durch Strahlung oxidierten Substanzen wie Eisenoxiden und oxidiertem Schwefel ist dadurch im marinen Tiefengestein erhöht und kann von Organismen genutzt werden.

H2-Produktion
Radioaktiv bedingte Wasserstoffproduktion in marinen Sedimenten weltweit. © Sauvage et al./ Nature Communications, CC-by-sa 4.0

Radioaktivität ist Haupt-Treibstoff im tiefen Sediment

Aber was bedeutet dies konkret für das Leben unter den Weltmeeren? Dafür ermittelten die Forscher den Gehalt an natürlichen Radionukliden im Gestein von Bohrkernen aus verschiedenen Stellen des Pazifik und Atlantik. Anhand der Zerfallsraten und den Ergebnissen ihrer Laborexperimente konnten sie daraus die strahlenbedingte Produktion von Wasserstoff in den Meeressedimenten weltweit errechnen.

Das Ergebnis: „Die globale Rate der radiolytischen Wasserstoff-Produktion in den marinen Sedimenten entspricht einem bis zwei Prozent dessen, was weltweit an organischem Material auf den Meeresboden gelangt“, berichten Sauvage und ihr Team. Doch das organische Material nährt nur die Organismen in den oberen, jüngeren Schichten des Meeresgrunds. Im Rest der Sedimente überwiegt die Radioaktivität als Energielieferant, wie die Forscher erklären.

Treibstoff für außerirdisches Leben?

Damit ist die Radioaktivität die treibende Kraft für einen großen Teil der unteririschen Lebenswelt. „Diese Erkenntnis ist fundamental für das Verständnis des Lebens auf der Erde, aber auch für die Habitabilität anderer Himmelskörper wie dem Mars“, sagt Sauvage. Auch der Jupitermond Europa oder der Saturnmond Enceladus könnten mineralische Bedingungen bieten, die eine solche Produktion von Wasserstoff und anderen strahlenbedingten Molekülen erlauben.

„Einige derselben katalytischen Minerale sind auch auf dem Mars vorhanden – und wenn man sie hat, dann läuft auch dieser Prozess ab“, ergänzt D’Hondt. „Vielleicht kann diese radioaktiv bedingte Wasserspaltung daher auch das Leben auf anderen Welten ermöglichen.“ Ob es solches Leben auf dem Mars gibt oder gegeben hat, soll unter anderem der gerade auf dem Roten Planeten gelandete Rover Perseverance erkunden.

Potenzielles Problem für atomare Endlager

Bedeutung könnten die neuen Erkenntnisse auch für atomare Endlager haben: „Wenn man radioaktiven Abfall in Sediment oder Fels lagert, können dort durch diese Prozesse Wasserstoff und Oxidantien entstehen – und das schneller als in reinem Wasser“, sagt D’Hondt. „Das könnte diese Lagersysteme stärker korrodieren als man bisher annimmt.“

Eine mögliche Folge wäre, dass durch die radioaktiv katalysierten Reaktionen vermehrt Lecks auftreten oder dass sich Wasserstoffgas bildet und im Untergrund sammelt. (Nature Communications, 2021; doi: 10.1038/s41467-021-21218-z)

Quelle: University of Rhode Island

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