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Geowissen

Plattenknick schützte Nord-Chile vor Tsunamis

Meeresforscher gehen seismischer Lücke auf den Grund

Schematische Abbildung der Subduktionszone vor Chile mit dem Untersuchungsgebiet der Studie. © GEOMAR

Warum hat es seit mehr als 100 Jahren keinen Tsunami mehr in Nord-Chile gegeben – trotz reichlicher Erdbeben nur wenig weiter im Süden? Den Grund für diese seismische Lücke haben Meeresforscher jetzt herausgefunden: Es gibt einen bisher unbekannten Knick in der unter Chile abtauchende Nazca-Platte. Er könnte möglicherweise als Hemmschwelle für Erdbeben und Tsunamis wirken, vermuten die Forscher im Fachmagazin „Nature Geoscience“.

Chile ist ein Land, das häufig von Naturkatastrophen heimgesucht wird. Alleine in der Liste der zehn stärksten bisher gemessenen Erdbeben erscheint der südamerikanische Staat mit dem Valdivia-Beben vom 22. Mai 1960 und dem Maule-Beben 27. Februar 2011 zweimal. Da fällt umso mehr auf, dass Nord-Chile seit 1877 von keinem Mega-Beben mit folgendem Tsunami mehr betroffen war. Geowissenschaftler der Unversidad de Chile (Santiago de Chile) und des GEOMAR | Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel sind dieser „Mega-Beben-Lücke“ jetzt auf den Grund gegangen.

Ein Zentimeter pro Jahr

Die Grundvoraussetzungen sind weitgehend bekannt: Von Westen kommend schiebt sich die Nazca-Platt mit einer Geschwindigkeit von etwa einem Zentimeter pro Jahr direkt vor der Küste Chiles unter die kontinentale Südamerikanische Platte. Subduktion nennen Experten diesen tektonischen Vorgang. „Die Details sind jedoch äußerst kompliziert und noch lange nicht verstanden“, sagt Ingo Grevemeyer vom GEOMAR, „dabei sind es diese Details, die die Gefahr von Erdbeben und deren Verhalten bestimmen.“

Landgestützte Untersuchungen des Untergrundes in Nord-Chile hatten ergeben, dass dort die ver-sinkende Nazca-Platte mit einem Winkel von rund 22 Grad ins Erdinnere abtaucht. Grevemeyer und sein früherer Doktorand, der Geophysiker Eduardo Contreras-Reyes von der Universidad de Chile, haben nun zusätzlich auf seismische Daten zurückgegriffen, die 1995 während einer Expedition mit dem deutschen Forschungsschiff SONNE vor der Küste Chiles gesammelt worden waren. „Diese Daten hatten zunächst keinen Bearbeiter gefunden und waren archiviert worden. Wir haben sie jetzt erstmals wieder zusammengestellt und systematisch untersucht“, erzählt Contreras-Reyes.

Knick in der Nazca-Platte entdeckt

Zur ihrer Überraschung fanden die Forscher, dass die Nazca-Platte vor der Küste Nordchiles recht gleichmäßig mit einem Winkel von nur zehn Grad unter die Südamerikanische Platte abtaucht. Erst in 20 Kilometern Tiefe knickt sie abrupt zu dem 20 Grad-Winkel ab, der von den landgestützten Mes-sungen bekannt war. Möglicherweise wirkt dieser Knick in der pazifischen Nazca-Erdplatte als Hemmschwelle für Erdbeben und Tsunamis.

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Zusätzlich verglichen die Wissenschaftler ihre Daten mit Beobachtungen des Magnitude 7.7 Toco-pilla-Erdbebens von 2007, das an der Südgrenze der nordchilenischen „Erdbebenlücke“ auftrat. Die Verteilung der Nachbeben deutet darauf hin, dass der Knick der Nazca-Platte als Barriere für die Ausdehnung des Bebens wirkte. „Dadurch betrafen das Hauptbeben sowie die Nachbeben nur die tieferen Regionen und lösten vor allem keinen Tsunami aus“, erklärt Grevemeyer.

Entwarnung geben die Wissenschaftler für Nord-Chile deshalb aber nicht. Im Gegenteil: Wie das Ereignis von 1877 zeigt, können besonders starke Mega-Beben die Hemmschwelle des Plattenknicks überwinden. „Wahrscheinlich ist es also nur eine Frage der Zeit, bis auch in Nordchile wieder ein Megabeben mit Tsunami auftritt. Und weil sich die Spannung dort so lange aufgebaut hat, könnte es umso heftiger ausfallen“, sagt Conteras-Reyes. (Nature Geoscience, 2012; doi:10.1038/ngeo1447)

(GEOMAR | Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, 11.04.2012 – NPO)

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