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Geowissen

Pakistan: Flutkatastrophe war vorhersehbar

Europäisches Vorhersagezentrum hatte schon fünf Tage vorher Rohdaten, die die Gefahr zeigten

Hochwasser in Pakistan: eine Vorwarnung wäre möglich gewesen. Hier das Bild eines Hubschraubers der US Armee auf Hilfsmission im Überschwemmungsgebiet. © Horace Murray / U.S. Army

Fünf Tage bevor sintflutartiger Monsunregen halb Pakistan überschwemmte, hatte ein europäisches Vorhersagezentrum bereits Rohdaten, die die Gefahr anzeigten. Hätte man sie damals weiter ausgewertet, wäre das Ausmaß der Regenfälle und das der Fluten korrekt erkannt worden. Das zeigt eine „nachträgliche Vorhersage“, die amerikanische Forscher mit den damaligen Rohdaten durchgeführt haben. Ihr jetzt in der Fachzeitschrift „Geophysical Research Letters” veröffentlichtes Ergebnis zeigt auch, wie wichtig die Einrichtung einer entsprechenden Frühwarn-Infrastruktur in Pakistan ist.

Im Sommer 2010 erlebte Pakistan die schwersten Überschwemmungen seiner Geschichte. Knapp 20 Millionen Menschen waren betroffen, mehr als 1.500 starben. Ein Fünftel des Landes stand unter Wasser und viele Gebiete waren nur noch aus der Luft erreichbar. Ursache für die Katastrophe war ein extrem starker Monsun, der sintflutartige Regenfälle mit sich brachte. Sie gelten als die stärksten der letzten 80 Jahre. Er ließ vor allem den Indus über die Ufer treten. In einigen Regionen stand das Wasser mehr als fünf Meter hoch, Ernten wurden vernichtet, Straßen und Brücken zerstört und Häuser von den Fluten mitgerissen. Doch möglicherweise hätte ein Teil der dramatischen Folgen vermieden werden können, wie sich jetzt zeigt.

Vorhersagezentrum hatte Rohdaten fünf Tage vorher

Denn in Europa hatten Meteorologen schon fünf Tage vor Beginn der ersten schweren Monsunregenfälle die entsprechenden Daten. Das hat jetzt eine Studie von Forschern des Georgia Institute of Technology in Atlanta ergeben. Die Forscher hatten dafür Rohdaten der Computermodelle des European Centre for Medium-Range Weather Forecasting (ECMWF) in London vom Juli 2010 analysiert. Das ECMWF ist Sitz der zentralen Vorhersage-Modellierung für 33 europäische Staaten.

„Wir bemerkten fünf Tage zuvor, dass das Signal da war“, erklärt Anna Ghelli vom ECMWF. Doch die nicht existierende Kooperation zwischen dem europäischen Prognosezentrum und Pakistan führte dazu, dass dieses Signal folgenlos blieb. „Das ECMWF gibt keine Wetterprognosen oder Wetterwarnungen an die breite Öffentlichkeit oder die Medien weiter“, erklärt Ghelli. „Es bietet seinen Mitgliedern und Kooperationspartnern numerische Vorhersagen und diese sind dann dafür verantwortlich, die Informationen für die Öffentlichkeit aufzubereiten und die Behörden im eigenen Land zu informieren.“

Da Pakistan nicht zu diesen Kooperationspartnern gehörte, wurden die Rohdaten für diese Region nicht weiter ausgewertet. In Pakistan erkannten die landeseigenen Meteorologen die Gefahr nicht rechtzeitig, als Folge blieben Bevölkerung und Regierung ungewarnt.

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Vorwarndiagamme, erstellt aus den Rohdaten von vor der Katastrophe © ECMWF

Realistische Vorwarnung wäre möglich gewesen

Die Georgia Tech-Forscher haben nun die Rohdaten nachträglich analysiert und in hydrologische Modelle eingepflegt. Sie wollten vor allem wissen, ob schon vorher sichtbar geworden wäre, dass die kommenden Regenfälle überdurchschnittlich stark ausfallen würden. Es zeigte sich, dass die im Nachhinein rekonstruierte Vorhersage nur sehr wenig unter dem tatsächlichen Ausmaß der Niederschläge von 300 Millimetern in vier Tagen in einigen Gebieten blieb. Die über Pakistan niedergegangene Regenmenge im Juli 2010 übertraf damit den langjährigen Durchschnitt der Monsunzeit um mehr als das Zehnfache.

„Diese Katastrophe hätte begrenzt werden können und selbst die Überschwemmungen hätten verringert werden können“, erklärt Peter Webster, Professor für Geowissenschaften am Georgia Institute of Technology. „Wenn wir mit Pakistan zusammengearbeitet hätten, hätten sie acht bis zehn Tage im Voraus gewusst, dass die Fluten kommen.“ Allerdings betont auch Webster, dass das Umsetzen der Rohdaten in Wettervorhersagen und hydrologische Modelle nicht alles ist. Um eine Wirkung zu haben, müssen die Überschwemmungs-Vorhersagen dann auch erfolgreich bis in die Dörfer verbreitet werden. Erst wenn auch die lokalen Führer den Ernst der Lage verstanden haben, werden sie handeln.

Ziel: Hochwasser-Vorwarnsystem auch für Pakistan

Wie das Ganze besser funktionieren kann, haben Webster und seine Kollegen in den letzten fünf Jahren im benachbarten Bangladesch erlebt. Dort etablierten die Forscher ein Hochwasser-Prognose-Zentrum und organisierten eine Kooperation zwischen Georgia Tech, dem ECMWF, dem Asiatischen Katastrophenschutzzentrum und der Regierung von Bangladesch. Als sich vor einigen Jahren dort eine Überschwemmung ereignete, retteten rechtzeitige Warnungen vielen Menschen das Leben und reduzierten die finanziellen Verluste durch Hochwasserschäden.

In einigen Wochen will Webster an einem internationalen Meeting der Entwicklungsländer in Bangkok teilnehmen, um auch in Pakistan die Installation dieser Vorwarntechnologie voranzutreiben. Das Aufbauen eines solchen Systems würde ein paar Millionen US-Dollar kosten – Peanuts angesichts der eine Milliarde Dollar, die allein die Weltbank zurzeit als Wiederaufbauhilfe an Pakistan zahlt.

(American Geophysical Union, 02.02.2011 – NPO)

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