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Geowissen

Nordsee: Tausende Gaslecks am Meeresgrund

Methan-Austritt rund um alte Bohrlöcher setzt pro Jahr tausende Tonnen Treibhausgas frei

GAsaustritte
Im Umfeld alter Bohrlöcher in der Nordsee tritt Methan aus dem Meeresboden aus. © ROV-Team/GEOMAR

Verborgene Treibhausgas-Schleudern: Der Meeresgrund der Nordsee setzt mehr Methangas frei als bislang angenommen – allein im britischen Nordseeteil sind es mehrere tausend Tonnen pro Jahr. Das potente Treibhausgas stammt aus flachen Gasreservoiren und bahnt sich durch Risse und Lecks rund um alte Bohrlöcher den Weg an die Oberfläche. Wegen der geringen Wassertiefe der Nordsee gelangt das Methan bis in die Atmosphäre.

Prinzipiell ist es nichts Ungewöhnliches, dass Methan aus den Sedimenten des Meeresgrunds austritt. Vor allem entlang der Küsten wird das Gas aus tauenden Gashydraten frei, aber auch aus anderen natürlichen Reservoiren. Vor Helgoland beispielsweise entstanden im Herbst 2015 tausende solcher Gasaustritte, aus denen große Mengen Methan aufstiegen.

Gasmessung
Gasmessung am Meeresgrund © ROV-Team/ GEOMAR

Alte Bohrlöcher im Visier

Doch nicht immer sind diese unterseeischen Gasquellen rein natürlichen Ursprungs: Schon vor einigen Jahren haben Forscher Methangas-Lecks in der Nordsee entdeckt, die sich rund um alte Bohrlöcher häufen. Wie diese Lecks zustande kommen und wie viel Methan aus ihnen austritt, haben Christoph Böttner vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel nun näher untersucht.

Dafür analysierten die Forscher im Rahmen einer Schiffsexpedition den Untergrund um 43 alte Erdgas- und Erdöl-Bohrlöcher unter anderem mithilfe von Sonarmessungen. Zusätzlich werteten sie seismische Daten zur Beschaffenheit des Untergrunds im britischen Teil der Nordsee aus. „Das Gebiet, das wir dabei abgedeckt haben, umfasst 20.000 Quadratkilometer und beinhaltet 1.792 Bohrlöcher“, erklärt Böttner.

Bohrschäden begünstigen Gasaustritt

Die neuen Messungen bestätigen: Das Methangas tritt im unmittelbaren Umfeld der alten Borlöcher aus. Diese sind zwar laut Vorschrift durch tiefreichende Betonpfropfen verschlossen, aber die alten Bohrtätigkeiten haben Risse und Löcher im Untergrund erzeugt, die zuvor abdichtende Gesteinsschichten durchlässig machen. Das darunter eingeschlossenen Gas kann sich so seinen Weg an die Bodenoberfläche bahnen.

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„Die Wahrscheinlichkeit für derartige Leckagen steigt, je näher die Bohrlöcher an flachen Gastaschen liegen, die für die kommerzielle Förderung normalerweise uninteressant sind“, berichtet Studienleiter Matthias Haeckel vom GEOMAR. Diese flachen, aber teilweise langgestreckten Gasansammlungen liegen weniger als 1.000 Meter tief unter dem Meeresgrund. Aus ihnen speisen sich die Methanlecks rund um die alten Bohrlöcher, wie die Forscher erklären.

Bis zu 17.000 Tonnen Methan pro Jahr

Das Ausmaß des Methan-Austritts über diese verborgenen Lecks ist enorm: „Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass jährlich tausende Tonnen Methan an alten Bohrlöchern am Nordseeboden austreten“, sagt Böttner. Allein die knapp 1.800 britischen Bohrlöcher setzen pro Jahr 900 bis 3.700 Tonnen Methan frei. „In der gesamten Nordsee existieren aber mehr als 15.000 Bohrlöcher“, ergänzt Haeckel. Aus der gesamten Nordsee könnten demnach bis zu 17.000 Tonnen Methan jährlich freiwerden.

„Im Vergleich zu den natürlichen Methanquellen der Nordsee stellen diese Gaslecks aus den alten Bohrlöchern eine signifikante Quelle von Treibhausgasen dar – sie setzen mehr Methan frei als alle natürlichen Quellen zusammen“, konstatieren die Forscher. Hinzu kommt, dass dieses Methan im flachen Wasser der Nordsee kaum abgebaut wird. Dadurch erreicht ein großer Teil dieses Gases die Atmosphäre und kann dort seine Treibhauswirkung entfalten.

Nicht nur in der Nordsee

Die Nordsee ist jedoch möglicherweise nicht das einzige Öl- und Gasfördergebiet, in dem solche Gaslecks auftreten. „Global betrachtet hat die Nordsee erst eine relativ kurze Geschichte der Öl- und Gasförderung: Das erste kommerzielle Bohrloch wurde 1950 angelegt“, so Böttner und sein Team. Deswegen sind auch die stillgelegten Förderanlagen noch nicht sehr alt und entsprechend den modernen Vorschriften abgedichtet. Bei älteren Bohrlöchern wie beispielsweise in Kalifornien ist dies aber nicht der Fall.

Die Wissenschaftler plädieren dafür, Bohrlöcher künftig nicht nur unmittelbar nach ihrem Verschließen zu überprüfen, wie bislang üblich. Stattdessen sollte die Umgebung der Anlagen auch später durch unabhängige Emissionsmessungen auf Gaslecks hin untersucht werden. Vor allem bei Bohrlöchern in der Nähe flacher Gasvorkommen sei dies empfehlenswert, so Böttner und seine Kollegen.

„Die Quellen und Senken von Methan, dem zweitwichtigsten Treibhausgas nach Kohlendioxid, sind immer noch mit großen Unsicherheiten behaftet“, sagt Haeckel. „Um die Gründe für die kontinuierlich ansteigenden Methankonzentrationen in der Atmosphäre besser zu verstehen und auch hier Gegenmaßnahmen einzuleiten, ist es wichtig die einzelnen anthropogenen Beiträge verlässlich zu kennen.“ (International Journal of Greenhouse Gas Control, 20200; doi: 10.1016/j.ijggc.2020.103119)

Quelle: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

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