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Nordsee: Mega-Dämme als Flutschutz?

Abriegelung der Nordsee könnte unsere Nachkommen vor dem Meeresspiegelanstieg schützen

Nordsee
Könnte die Abriegelung der Nordsee vom Atlantik die letzte Rettung für unsere Nachkommen werden? © RomoloTavani/ iStock.com

Letzte Rettung? Sollte der weltweite Klimaschutz scheitern, könnten zwei Mega-Dämme unsere Nachkommen vor dem Meeresspiegelanstieg schützen. Die Dämme würden die Nordsee komplett vom Atlantik abtrennen und so Überflutungen der Nordseeküsten verhindern. Trotz enormen Aufwands und Kosten von 250 bis 500 Milliarden Euro wären solche Mega-Bauwerke durchaus realisierbar – hätten aber gravierende ökologische Folgen, wie nun eine Machbarkeitsstudie zeigt.

Der Klimawandel lässt weltweit die Meeresspiegel ansteigen – und dies in immer schnellerem Tempo. Neuesten Modellen zufolge steigen die Pegel inzwischen um knapp vier Millimeter pro Jahr, mit zunehmender Rate. Bei einer Erwärmung um fünf Grad bis 2100 könnten einige Küsten Asiens einen Pegelanstieg von zwei Metern erleben. Sollte das westantarktische Eisschild so sensibel reagieren, wie zurzeit befürchtet, könnten sogar schon zwei Grad Erwärmung ausreichen, um die Pegel langfristig um 3,80 Meter anzuheben.

Nordseedämme
Karte der Nordsee mit den beiden vorgeschlagenen Dammprojekten. © Groeskamp / Kjellsson, 2020

Die Folgen wären fatal, denn schon jetzt leben 250 Millionen Küstenbewohner weniger als einen Meter über der Hochwasserlinie. Doch selbst beim Einhalten des Zwei-Grad-Klimaziels könnte die Zahl der Flutgefährdeten bis 2100 auf 360 Millionen steigen, wie jüngst eine Studie ermittelte.

Nordsee: 55 Millionen Menschen bedroht

Auch die Menschen entlang der Nordseeküste müssen in den nächsten Jahrhunderten mit schweren Überflutungen rechnen. Schätzungen zufolge leben dort 25 Millionen Menschen im Gefahrenbereich von weniger als zwei Metern über dem heutigen Meeresspiegel, 55 Millionen leben weniger als 15 Meter darüber. Um sie zu schützen, müssten demnach Küstenschutzbauwerke und Deiche deutlich erhöht und verstärkt werden.

Doch es gäbe noch eine andere Lösung, wie nun Sjoerd Groeskamp vom Königlich-Niederländischen Institut für Meeresforschung und Joakim Kjellsson vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel berichten. Sie haben im Rahmen einer Machbarkeitsstudie untersucht, ob eine Abriegelung der Nordsee vom Atlantik technisch und finanziell machbar wäre. Denn sollte der Klimaschutz scheitern, könnte es sein, dass unseren Nachkommen nur noch eine solche fast schon verzweifelte Maßnahme bleibt.

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Zwei Mega-Dämme als Flutschutz

Konkret sieht der Plan vor, zwei Dämme zu errichten. Einer wäre 161 Kilometer lang und würde den Ärmelkanal zwischen der Bretagne und Cornwall abriegeln. Da dort das Meer relativ flach ist, müsste dieser Damm nur eine Tiefe von im Schnitt 82 Metern haben. Der tiefste Punkt dieses Sperrwerks läge bei 102 Metern, wie die Forscher berichten.

Deutlich aufwändiger wäre der nördliche Damm. Er zieht sich von der Nordostspitze Schottlands über die Orkney- und Shetland-Inseln bis nach Bergen an der Westküste Norwegens. Dieser Damm hätte eine Länge von 476 Kilometern und eine durchschnittliche Tiefe von 127 Metern. Allerdings müsste das Bauwerk den Norwegischen Meeresgraben durchqueren, der bis zu 320 Meter tief ist. „Wenn der Nordeuropa-Damm konstruiert werden würde, wäre dies eine der größten Herausforderungen, der Ingenieure jemals gegenüberstanden“, konstatieren Groeskamp und Kjellsson.

Technisch machbar

„Ein solcher Nordeuropa-Damm erscheint zunächst als eine utopische und unrealistische Lösung“, sagen die Forscher. Doch ihrer Studie zufolge wäre er sowohl technisch als auch finanziell machbar. „Die größten bisher konstruierten Dämme sind der Afsluitdijk in den Niederlanden mit 32 Kilometer Länge, elf Meter Höhe und 90 Meter Breite und der Seamangeum Seawall in Südkorea mit 33 Kilometer Länge, 36 Meter Höhe und 290 Meter Breite“, erklären die Forscher.

In einer ähnlichen Größenordnung läge auch der Damm über den Ärmelkanal und zwischen Schottland und den vorgelagerten Inseln. Schwieriger wäre allerdings das Verbindungsstück nach Nordwegen wegen des Meeresgrabens. Aber auch dafür gibt es heute bereits Technologien, wie die Wissenschaftler betonen: „Fest verankerte Ölplattformen sind schon bis zu Tiefen von 500 Metern machbar, das zeigt, dass befestigte Konstruktionen auch bis in gut 300 Meter Tiefe möglich sind.“

„Vertretbare Kosten“

Was aber würde ein solches Mega-Projekt kosten? Den Berechnungen der Forscher zufolge müssten die europäischen Nordseeanrainer dafür zwischen 250 und 500 Milliarden Euro zahlen, verteilt auf eine Bauzeit von rund 20 Jahren. Das würde rund 0,7 bis 0,16 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) dieser 15 Länder entsprechen. Für die fünf am stärksten betroffenen Länder Großbritannien, Niederlande, Belgien, Deutschland und Dänemark könnten die Investitionskosten allerdings auf bis zu 0,32 Prozent des BIP steigen.

„Diese Kosten sind vertretbar und stellen keine finanziellen Einschränkungen dar, selbst wenn man von weniger beitragenden Ländern ausgeht“, konstatieren Groeskamp und Kjellsson. Zudem könnte der Nordeuropa-Damm ihren Berechnungen zufolge deutlich günstiger sein, als wenn alle Nordsee-Anrainer jeweils eigene Küstenschutzmaßnahmen finanzieren müssten. „Allein um die Niederlande vor einem Pegelanstieg um 1,50 Meter zu schützen, wären schon ein Drittel der Kosten des Nordeuropa-Damms nötig“, erklären die Forscher.

„Der Nordeuropa-Damm könnte daher technisch und finanziell eine bessere Lösung sein als nur die existierenden Küstenschutzmaßnahmen aufzustocken“, so Groeskamp und Kjellsson.

Gravierende ökologische Folgen

Doch für die Ökologie und Fischerei wären die Folgen dieser Schutzdämme enorm: „Die Gezeiten würden in weiten Teilen der Nordsee verschwinden und mit ihm auch der Transport von Schlamm und Nährstoffen“, erklärt Groeskamp. „Das wird die Ökosysteme drastisch verändern.“ Viele heute in der Nordsee lebende Fischarten würden verschwinden und auch andere Meeresbewohner wären betroffen. Die Nordseefischerei müsste mit drastischen Ausfällen rechnen.

Weil zudem kaum noch Salzwasser vom Atlantik her einströmt, dafür aber die einmündenden Flüsse viel Süßwasser in die Nordsee bringen, könnte sich das Meer langfristig sogar in eine Süßwasserlagune verwandeln. Um den Einstrom des Flusswassers auszugleichen, müssten die Dämme mit gigantischen Pumpanlagen ausgestattet werden, die rund 40.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde aus der Nordsee in den Atlantik pumpen. Die bisher leistungsfähigsten Pumpwerke beispielsweise am Afsluitdijk schaffen gerade einmal 500 Kubikmeter pro Sekunde. Um die Schifffahrt zu den großen Seehäfen aufrechtzuerhalten, müsste man zudem Schleusentore in die Dämme einbauen.

Besser wäre ein rechtzeitiger Klimaschutz

„Wir sind nicht wirklich der Meinung, dass ein solches Projekt realisiert werden sollte“, betont Kjellsson. „Wir möchten betonen, dass die beste Option nach wie vor darin besteht, gegen den Klimawandel vorzugehen und zu verhindern, dass eine solche Lösung überhaupt notwendig wird.“ Doch wenn es heute nicht gelinge, einen effektiven Klimaschutz anzustoßen, dann seien diese Dämme und ähnliche Mega-Projekte möglicherweise die letzte Rettung für viele Küstenstriche.

„Dann müssen sich zukünftige Generationen mit Problemen dieser Größenordnung beschäftigen oder riesige Landstriche werden unbewohnbar und Millionen von Menschen müssen landeinwärts ziehen“, warnt Kjellsson. Erst kürzlich empfahlen Wissenschaftler, schon jetzt mit der Planung solcher Umsiedlungen zu beginnen – denn nur dann könnte dies sozial und wirtschaftlich verträglich ablaufen. Noch allerdings hoffen Groeskamp und Kjellsson, dass es nicht zu solchen Extremen kommen wird. (Bulletin of the American Meteorological Society, 2020; doi: 10.1175/BAMS-D-19-0145.1)

Quelle: Royal Netherlands Institute for Sea Research, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

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