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Niederlande: Deichbruch als Waffe

Ein Drittel aller Überschwemmungen der letzten 500 Jahre waren absichtlich herbeigeführt

Dieser Gezeitenstrom im niederländischen Marschland geht auf einen absichtlichen Deichbruch im Spanienkrieg 1584 zurück. © A. de Kraker

Abwehrwaffe Flut: An einem Drittel aller Überschwemmungen der letzten 500 Jahre war nicht die Natur schuld. Stattdessen führten die Niederländer sie absichtlich herbei, um Feinde abzuwehren. Das funktionierte allerdings nur zum Teil: Gegen die Spanier vor gut 400 Jahren schlug es fehl, gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg war es durchaus erfolgreich, wie ein niederländischer Forscher berichtet.

Der Südwesten der heutigen Niederlande war einst ein Archipel aus unzähligen Inseln in den drei Flussdeltas von Meuse, Osterschelde und Westerschelde. Schon vor mehr als 1.000 Jahren begannen die Bewohner dieses Gebiets jedoch, dem Meer durch Deiche und Polder Land abzuringen und sich vor den vor allem im Winter drohenden Hochwassern zu schützen. Dennoch gab es immer wieder Überschwemmungen in dieser Region, wie historische Aufzeichnungen belegen.

Adriaan de Kraker von der Freien Universität Amsterdam hat nun anhand von historischen Dokumenten untersucht, welche Ursachen die Überschwemmungen in der Zeit von 1500 bis 2000 hatten und wie sie sich auf die Landschaft auswirkten. Das überraschende Ergebnis: Überschwemmungen waren sowohl im ausgehenden Mittelalter als auch in der Neuzeit offenbar eine durchaus übliche Kriegslist. Von den 32 größeren Überschwemmungen in dieser Zeit gingen 21 auf Stürme zurück, elf aber wurden absichtlich herbeigeführt.

Kampf um Flandern

Ein Paradebeispiel ereignete sich im achtzigjährigen Krieg (1568 – 1648) als Flandern um seine Unabhängigkeit von Spanien kämpfte. Nach anfänglichen Erfolgen der flandrischen Rebellen unter Wilhelm von Oranien belagerten die Spanier die Städte Gent, Brügge und Antwerpen und besetzten immer größere Gebiete rund um die Westerschelde – den wichtigsten Zugang zu diesen Städten vom Meer aus.

Krieg um Antwerpen: Die absichtlichen Überflutungen hielten die Spanier nur kurz auf. Hier ein weiterer Verusch der Eroberung im Jahr 1605 in einem zeitgenössischen Gemälde. © historisch

Um den Fall der drei Städte zu verhindern, verfielen die Flamen auf einen perfiden Plan: Sie wollten weite Teile der der Polder entlang der Westerschelde absichtlich fluten und damit den Vormarsch der Spanier aufhalten. „Der sorgfältig ausgedachte Plan, Löcher in den Seewall zu reißen und Schleusen zu zerstören, hatte verheerende Auswirkungen auf die Landschaft – verfehlte aber leider seine strategische Wirkung völlig“, berichtet de Kraker. Denn die Spanier ließen sich durch die Überschwemmungen nicht abhalten und eroberten wenig später alle drei Städte.

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Für Flandern und Brabant aber waren die Folgen dramatisch: Zwei Drittel der Landschaft versanken in den Wassermassen und blieben mehr als hundert Jahre lang überflutet. In vielen Gebieten lagerte sich eine dicke Lehmschicht ab, die bis heute die dortigen Böden prägt. Dort, wo die Breschen in den Seewall geschlagen worden waren, bildeten sich neue Kanäle, die teilweise bis heute existieren. „Erst nach 1700 wurden die meisten Gebiete allmählich wiedergewonnen“, berichtet de Kraker.

Überschwemmungen gegen die Allierten

Ein zweites Beispiel stammt aus dem Zweiten Weltkrieg: „Damals nutzten sowohl die Armee der deutsche Besatzer als auch die Alliierten Überflutungen als Teil ihrer Militärstrategie“, so de Kraker. Bereits bevor die Alliierten in der Normandie landeten, hatte das deutsche Militär begonnen, die Inseln Schouwen-Duiveland, Tholen und St. Annaland zu fluten.

Dieser kleine Meeresarm bei Terneuzen geht ebenfalls auf einen absichtlichen Deichbruch im Jahr 1584 zurück © A. de Kraker

Auch in der Nähe der Stadt Axel öffneten sie die Schleusen und ließen Wasser in die Polder strömen. Das sollte die aus Frankreich kommenden Allierten bei ihrem Vormarsch aufhalten. Der große Vorteil: Weil keine Deiche dafür zerstlört wurden, stieg das Wasser langfsam und ungewollte Schwachstellen konntne gezielt verstärkt werden. Dadurch hielten sich die Schäden in Grenzen,die Wirkung allerdings auch: „Diese Verteidigungsmaßnahmen stoppten die Alliierten nicht, sie verlangsamten nur ihren Vormarsch“, berichtet der Forscher.

…und gegen die Deutschen Besatzer

Mehr Erfolg hatte dagegen die alliierte Gegenstrategie: Am 1. Oktober 1944 befahl General Eisenhower seinen Truppen, die Insel Walcheren unter Wasser zu setzen, um so Kontrolle über die Mündung der Westerschelde zu erhalten. An vier Stellen des Seewalls warfen Flugzeuge Bomben ab, die große Breschen in den Damm rissen. Innerhalb eines Tages waren 70 Prozent der Insel von Wasser bedeckt.

„Diese Maßnahme erwies sich als sehr effektiv“, so de Kraker. „Die Nazis gaben auf und überließen die Insel den Alliierten.“ Allerdings starben bei dieser menschengemachten Flut auch 150 Menschen und einige Gehöfte und Orte nahe den Dammbrüchen wurden zerstört. Die Alliierten begannen jedoch unmittelbar darauf bereits mit Reparaturen und befestigten das Land dabei besser als zuvor. Als Folge blieb diese Region bei der großen Sturmflut von 1953 weitgehend verschont.

„Strategische Überflutung ist eine hochriskante Taktik“, konstatiert de Kraker. „Es kann nur dann erfolgreich sein, wenn es einen gut ausgedachten Backup-Plan gibt und Pläne für die schnelle Reparatur der Schäden.“ (Hydrology and Earth System Sciences, 2015; doi: 10.5194/hess-19-1-2015)

(European Geosciences Union (EGU), 10.06.2015 – NPO)

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