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Chemie

Neue Molekülklasse in der Atmosphäre nachgewiesen

Hochreaktive Sauerstoffverbindung könnte Klima und Gesundheit beeinflussen

FReistrahl-STrömungsrohr
In diesem Freistrahl-Strömungsrohr haben Chemiker erstmals die Entstehung von Hydrotrioxiden unter atmosphärischen Bedingungen nachgewiesen. © Tilo Arnhold/ TROPOS

Hochreaktive Moleküle: Chemiker haben eine ganz neue Klasse von kurzlebigen, hochreaktiven Sauerstoffverbindungen in der Atmosphäre entdeckt. Diese Hydrotrioxide aus drei Sauerstoffatomen und einem Wasserstoffatom (R-OOOH) entstehen durch die Reaktion organischer Verbindungen mit Hydroxyl-Radikalen. Pro Jahr könnten Millionen Tonnen dieser Moleküle in der Atmosphäre gebildet werden – mit noch unerkannten Wirkungen auf Klima und Gesundheit, wie das Team in „Science“ berichtet.

In der irdischen Atmosphäre laufen ständig chemische Reaktionen ab, die Treibhausgase und organische Moleküle binden und zur Selbstreinigung der Gashülle beitragen. Entscheidende Akteure sind der aus Pflanzen freigesetzte Kohlenwasserstoff Isopren und das hochreaktive Hydroxyl-Radikal. Letzteres reagiert unter anderem mit Methan, Isopren und anderen Kohlenwasserstoffen und macht sie wasserlöslich, was ihr Abregnen fördert.

Hydrotrioxid
Reaktion von Vorläufermolekülen zu Hydrotrioxid (rot: Sauerstoffatome). © University of Copenhagen

Reaktionsfreudige Dreier-Kette

Einen ganz neuen Akteur in diesem Molekül-Ensemble haben nun Torsten Berndt vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig und seine Kollegen entdeckt. Schon länger vermuten Chemiker, dass bei der Reaktion von Kohlenwasserstoffen mit Sauerstoffradikalen und Hydroxyl als Zwischenprodukt auch Hydrotrioxide entstehen könnten. Diese bestehen aus einem Kohlenwasserstoffrest, an dem eine Gruppe aus drei aufeinanderfolgenden Sauerstoffatomen und einem Wasserstoffatom hängt (R-OOOH).

Diese Hydrotrioxide sind noch reaktionsfreudiger als Peroxide und werden in der Chemie als Oxidationsmittel für Alkene produziert und eingesetzt. Ob sie aber auch unter natürlichen Bedingungen entstehen können, war bisher unklar. Um dies zu überprüfen, haben Berndt und seine Kollegen nun Umgebungsluft in einem sogenannten Freistrahl-Strömungsrohr mit hochsensiblen Massenspektrometern analysiert.

Hydrotrioxid-Bildung nachgewiesen

Und tatsächlich: Erstmals konnten die Chemiker die Bildung von Hydrotrioxiden unter atmosphärischen Bedingungen nachweisen. Die Analysen ergaben, dass diese Moleküle sowohl bei der Reaktion von Isopren mit Hydroxyl-Radikalen gebildet werden als auch mit anderen organischen Verbindungen wie Trimethylamid (N(CH3)3).

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Damit ist zum ersten Mal bewiesen, dass diese hochreaktive Molekülklasse nicht nur bei extremer Kühlung und in organischen Lösungsmitteln, sondern auch in der Luft entstehen können. „Es ist wirklich aufregend, die Existenz einer neuen allgemeingültigen Klasse von Verbindungen zu zeigen, die aus atmosphärisch häufig vorkommenden Vorläufern gebildet wird“, sagt Seniorautor Henrik Kjærgaard von der Universität Kopenhagen. „Diese von uns entdeckten Moleküle sind einzigartig in ihrer Struktur.“

Kurzlebig, aber reichlich präsent

Weitere Analysen ergaben, dass die Hydrotrioxide zwischen 20 Minuten und etwa zwei Stunden erhalten bleiben, bevor sie durch chemische Reaktionen wieder abgebaut werden. „Einmal entstanden, sind die Hydrotrioxide demnach mehrere Minuten bis Stunden in der Atmosphäre präsent, bevor sie weiterreagieren“, so das Team. Es sei sehr erstaunlich, dass diese interessanten Moleküle mit einem so hohen Sauerstoffanteil so stabil seien.

Was das für die Konzentration dieser hochreaktiven Moleküle in der Erdatmosphäre bedeutet, haben Berndt und seine Kollegen mithilfe quantenchemischer Rechnungen und Modellsimulationen untersucht. Demnach werden allein aus Isopren jährlich rund zehn Millionen Tonnen Hydrotrioxide in der Atmosphäre gebildet. Berücksichtigt man ihre Lebensdauer, könnte die Konzentration der aus Isopren entstandenen Hydrotrioxide bei zehn Milliarden Molekülen pro Kubikzentimeter Luft liegen, wie die Modellrechnungen ergaben.

Auswirkungen für Klima und Gesundheit

„Diese Moleküle gab es wahrscheinlich schon immer in der Atmosphäre – wir wussten nur nichts von ihnen“, sagt Kjærgaard. „Weil sie extrem oxidierend wirken, bringen sie wahrscheinlich eine ganze Reihe von Effekten mit sich, die wir nun untersuchen müssen.“ Unter anderem vermuten die Forschenden, dass sich die Hydrotrioxide in Aerosolen lösen und dort Reaktionen anstoßen. Dies könnte die Klimawirkung der Schwebtröpfchen beeinflussen. „Wenn Aerosole Substanzen aufnehmen, wachsen sie und beeinflussen die Wolkenbildung“, erklärt Koautorin Eva Kjærgaard von der Universität Kopenhagen.

Ein weiterer Faktor ist die mögliche gesundheitliche Wirkung dieser hochreaktiven Moleküle. „Es ist leicht vorstellbar, dass bei den Reaktionen in den Aerosolen neue Substanzen entstehen, die beim Einatmen gesundheitsschädlich sind“, sagt Kjærgaard. „Um diese potenziellen Gesundheitsfolgen einschätzen zu können, sind ebenfalls weitere Untersuchungen nötig.“ Die Entdeckung der Hydrotrioxide demonstriert damit auch, dass in der Atmosphäre unseres Planeten einiges abläuft, das wir noch nicht kennen.

„Die Luft um uns herum beinhaltet ein gewaltiges Gewirr komplexer chemischer Reaktionen“, sagt Koautor Jing Chen von der Universität Kopenhagen. „Wenn wir sie entschlüsseln wollen, müssen wir für Neues offen sein.“ (Science, 2022; doi: 10.1126/science.abn6012)

Quelle: University of Copenhagen, Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS)

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