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Archäologie

Neandertaler nutzten Feuer zur Werkzeug-Herstellung

171.000 Jahre alte Stöcke sind älteste hölzerne Mehrzweckwerkzeuge der Welt

Abgerundetes Griffstück eines der 171.000 Jahre alten Neandertaler-Holzwerkzeuge © PNAS

Verblüffend komplex: In der Toskana haben Archäologen gut 170.000 Jahre alte Holzwerkzeuge entdeckt, die einst von Neandertalern hergestellt wurden. Bei den rund einen Meter langen Stöcken mit rundem Griff und dünner Spitze handelt es sich um die ältesten bekannten Allzweckwerkzeuge aus Holz – und die ersten mithilfe von Feuer hergestellten Werkzeuge, wie die Forscher berichten. Sie belegen einmal mehr die kognitiven Fähigkeiten der Neandertaler.

Die Neandertaler galt lange als der dümmere“ Vetter des Homo sapiens. Doch inzwischen ist klar, dass der bis vor rund 40.000 Jahren in Europa und Asien verbreitete Homo neanderthalensis mehr Fähigkeiten besaß, als man ihm zugetraut hat. So stellte der Neandertaler nicht nur einfache Faustkeile aus Feuerstein her, sondern produzierte schon spezialisierte Knochenwerkzeuge und Holzspeere.

171.000 Jahre alte Holzstöcke

Jetzt haben Archäologen in der Toskana einen weiteren Beleg für die fortschrittliche Werkzeugkunst der Neandertaler entdeckt. Bei Ausgrabungen in Poggetti Vecchi stießen Biancamaria Aranguren von der Archäologiebehörde in Florenz und ihre Kollegen nicht nur auf zahlreiche Faustkeile und Tierknochen, sondern auch auf die Fragmente von mehreren hölzernen Stöcken.

Die Stöcke müssen im intakten Zustand rund einen Meter lang gewesen sein und tragen eindeutige Bearbeitungsspuren. Datierungen ergaben, dass diese Funde bereits 171.000 Jahre alt sind. „Die hölzernen Funde von Poggetti Vecchi sind damit eine wichtige Ansammlung von bisher unbekannten Werkzeugen dieser Art und dieses Alters“, sagen die Forscher. Als Urheber und Nutzer dieser Stöcke kommen ihrer Ansicht nach nur Neandertaler in Frage.

Die abgeschrägte Spitze spricht dafür, dass diese Stöcke unter anderem als Grabstöcke genutzt wurden. © Aranguren et al./ PNAS

Älteste bekannte Mehrzweckwerkzeuge

Eine nähere Untersuchung der Stockfragmente enthüllte, dass die meisten von ihnen aus Buchsbaumholz bestanden – einem der härtesten und beständigsten in dieser Gegend wachsenden Holzsorten. Seitenäste und vorstehende Astknorze waren sorgfältig entfernt worden. „Die erhaltenen Fragmente sprechen dafür, dass diese Stöcke einst einen abgerundeten, dickeren Griff sowie eine dünnere Spitze besaßen“, berichten die Archäologen.

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Ihren Angaben nach ähnelt die Form der Stöcke den Mehrzweckwerkzeugen, die noch heute von einigen Naturvölkern genutzt werden. „Solche Grabstöcke werden zum Sammeln und Ausgraben von Wurzeln und Knollen verwendet, aber auch als Mörser oder um kleinere Beute zu erlegen, vor allem grabende Tiere“, so Aranguren und ihre Kollegen. „Die Stöcke von Poggetti Vecchi sind die ältesten bisher bekannten Allzweckwerkzeuge dieser Art.“

Mit Feuer bearbeitet

Interessant auch: Die Oberfläche der Stöcke ist von einer sehr dünnen, rußigen Schicht bedeckt. „Das lässt uns schließen, dass zur Herstellung dieser Stöcke nicht nur Steinwerkzeuge, sondern auch Feuer genutzt worden ist“, sagen die Forscher. Eine Nutzung der Stöcke als Spieße über dem Feuer schließen sie aus, weil dann die Spitzen stärker angesengt sein müssen – und das sei nicht der Fall. Auch die sehr gleichmäßig dünne Rußschicht spricht ihrer Ansicht nach gegen ein zufälliges Anbrennen.

Nahansichten von Griffstücken, Schnittspuren sowie der angesengten Oberfläche der Holzstöcke. © Aranguren et al./ PNAS

„Kratzer und Schnittspuren in den geschwärzten Oberflächen sprechen für das gezielte Ansengen des Holzes im Rahmen einer Bearbeitung“, so die Archäologen. Offenbar setzten die Neandertaler die Buchsbaumäste gezielt kurz dem Feuer aus, um dann Rinde und Astknorze leichter entfernen zu können. „Experimentelle Tests bestätigen, dass Feuer nötig ist, um diese Art Holz so zu glätten und zu Griffen und Spitzen zu formen“, erklären Aranguren und ihre Kollegen. Die Stöcke von Poggetti Vecchi seien der früheste Beleg überhaupt für den Einsatz von Feuer bei der Werkzeugherstellung.

Fortschrittlicher als gedacht

Die Stockfragmente von Poggetti Vecchi belegen demnach, dass die Neandertaler bereits vor rund 170.000 Jahren gezielt das Feuer einsetzten, um sich hölzerne Werkzeuge herzustellen. „Das gibt uns neue Einblicke in die kognitiven Fähigkeiten der frühen Neandertaler und ihren Umgang mit Feuer sowie Holz als Werkzeug-Rohstoff“, konstatieren die Archäologen.

Weil am Fundort selbst keine Spuren eines Lagerfeuers oder Brandes zu finden sind, müssen die Neandertaler ihre Mehrzweckstöcke anderswo hergestellt und dann an diesen Fundort mitgebracht haben. „Sie waren möglicherweise Teil der Ausrüstung, die die Neandertaler normalerweise mit sich herumtrugen – so wie es Jäger und Sammler noch heute tun“, erklären die Forscher. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2018; doi: 10.1073/pnas.1716068115)

(National Academy of Sciences, 06.02.2018 – NPO)

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