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Klima

Natürliche Meeresspiegel-Schwankungen unterschätzt?

Einfluss des Menschen auf Änderungen des Meeresspiegels ist niedriger als gedacht

Steigende Meeresspiegel: Wie viel ist natürlich, welcher Anteil ist menschengemacht? © Freeimages.com / Matthias Engel

Mehr Einfluss der Natur: Der menschliche Anteil am Anstieg der Meeresspiegel ist geringer als gedacht. Statt bei 80 bis 90 könnte er zwischen 45 und 68 Prozent liegen, wie Forscher ausgerechnet haben. Der Rest sind natürliche Schwankungen. Wir Menschen sind dennoch nicht freigesprochen: Ein großer Teil des Anstiegs geht nach wie vor auf den menschengemachten Klimawandel zurück, mahnen die Forscher im Magazin „Nature Communications“.

Der Meeresspiegel steigt – darin sind sich Wissenschaftler einig: Der weltweite mittlere Meeresspiegel liegt heute etwa 14 bis 21 Zentimeter höher als im Jahr 1900. Als Hauptursache dafür gilt der vom Menschen verursachte Klimawandel: Von schmelzenden Polkappen und Gletschern gelangt immer mehr Wasser in die Ozeane. Außerdem dehnt sich das Wasser bei wärmeren Temperaturen aus und steigt so ebenfalls an.

Natürliche und menschliche Einflüsse schwer trennbar

Der Weltklimarat IPCC befand in seinem Bericht von 2014, dass die Erwärmung des Ozeans sowie abschmelzende Gletscher ungefähr 80 Prozent des beobachteten Meeresspiegelanstiegs seit 1900 erklären. Die Anteile der beiden Eisschilde in Grönland und der Antarktis hingegen sind über diese Zeitspanne immer noch sehr unsicher. Klar ist jedoch auch, dass nicht der gesamte Anstieg des Meeresspiegels auf das Konto des Menschen geht.

„Bisher führte man rund 90 Prozent des Anstiegs auf anthropogene Einflüsse zurück, also vom Menschen verursacht“, sagt Sönke Dangendorf von der Universität Siegen. „Diese Zahlen basieren auf der Annahme, dass natürlich verursachte Schwankungen im Ozean nicht länger als einige wenige Jahre andauern und damit nur einen sehr geringen Teil des beobachteten Anstiegs erklären können.“ Doch natürliche und menschliche Einflüsse ließen sich bislang nur schwer voneinander trennen. Dangendorf und Kollegen verfolgten darum einen neuen Ansatz, der den Unterschied deutlicher machen sollte.

Störende atmosphärische Einflüsse

Wissenschaftler messen den Meeresspiegel vor allem an Gezeitenpegeln, die Wasserstände entlang der Küsten messen. Der Unterschied durch Ebbe und Flut lässt sich aus diesen Daten leicht herausrechnen. Schwieriger wird es, wenn beispielsweise der Wind Wassermassen gegen die Küste oder von dort weg drückt. Doch mit einem neuen Rechenmodell trennten die Wissenschaftler solche atmosphärischen Einflüsse wie den Wind von den restlichen Daten ab und untersuchten sie getrennt.

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Veränderung des Meeresspiegels 1900 bis 2012, wie noch im Weltklimabericht des IPCC 2013 veröffentlicht © IPCC AR5

An Daten von elf Messpunkten in der Nordsee stellten die Forscher fest, dass zumindest auf lokaler Ebene der Wind langfristige natürliche Schwankungen überdecken kann und so die Ergebnisse verfälschen. „Die Windsignale maskieren jegliche Langzeitänderungen, nicht nur anthropogene, sondern auch natürliche Ozeanzyklen“, sagt Koautor Alfred Müller von der Uni Siegen.

Denn statt nur wenige Monate oder Jahre anzuhalten, wie bisher gedacht, können ndiese natürliche Schwankungen demnach durchaus länger andauern. „In der Nordsee zeigen zehn von elf Stationen einen signifikanten Langzeit-Trend“, berichten die Wissenschaftler.

Wahrscheinlich 68 statt 90 Prozent

Nachdem die störenden atmosphärischen Effekte aus dem Modell herausgerechnet waren, konnten die Wissenschaftler die natürlichen Schwankungen des Meeresspiegels jedoch genauer beschreiben und damit besser abschätzen: „Es ist nahezu sicher, dass mindestens 45 Prozent des beobachteten globalen Meeresspiegelanstiegs seit 1900 anthropogenen Ursprungs ist“, so die Forscher. Es sei darüber hinaus sehr wahrscheinlich, dass dieser menschliche Einfluss sogar 68 Prozent des Anstiegs ausmacht – dies entspricht rund 1,33 Millimetern pro Jahr.

Diese niedrigeren Zahlen stimmen nach Angaben der Forscher auch besser mit bisherigen Studien der Einzelkomponenten wie Ozeanerwärmung und Gletscherschmelze überein. Aber auch eine wahrscheinliche Obergrenze der menschlichen Beitrags entnehmen die Forscher aus ihren Messungen: „Es ist auch so gut wie sicher, dass der anthropogene Beitrag 2,71 Millimeter Anstieg pro Jahr nicht übersteigt“, so Dangendorf und seine Kollegen.

Kein Grund zur Entwarnung

Doch dieses Ergebnis spricht uns Menschen bei weitem nicht von der Verantwortung frei: „Auch wenn die Werte geringer sind als bisher angenommen, ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass ein signifikanter Anteil des Anstiegs auf anthropogene Einflüsse zurückzuführen ist“, sagt Koautor Jürgen Jensen von der Uni Siegen.

Aus diesem Grund, und auch um die Genauigkeit zukünftiger Modelle zu verbessern, sei es daher äußerst wichtig, die einzelnen natürlichen und menschengemachten Faktoren besser zu verstehen. (Nature Communications, 2015; doi: 10.1038/ncomms8849 )

(Universität Siegen, 30.07.2015 – AKR)

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