Anzeige
GeoUnion

Mit Fossilien der Evolution auf der Spur

Von „lebenden Fossilien“ und „durchbrochenen Gleichgewichten“

Schlitzbandschnecken bewohnten im Erdaltertum ausgedehnte Flachmeerregionen. Heute kommen sie nur noch mit wenigen Arten in der Tiefsee vor. Wegen ihrer Urtümlichkeit und ihrer reliktären Verbreitung werden sie als „lebende Fossilien“ bezeichnet. © Georg Oleschinski / Universität Bonn

1,6 Milliarden Tier- und Pflanzenarten hat es vermutlich innerhalb der Erdgeschichte auf unserem Planeten gegeben – die meisten davon sind längst ausgestorben. Nur ein Bruchteil von diesen ist in Form von Fossilien bis heute erhalten geblieben. Dennoch spielen die versteinerten Relikte vergangener Lebenswelten eine große Rolle für die moderne Forschung. Wissenschaftler versuchen mit ihrer Hilfe Rätsel der Evolution zu lösen.

Die Paläontologie ist eine Wissenschaft, die ihre Wurzeln in Biologie und Geologie hat und sich einer ganzen Reihe von anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen bedient, um die Geschichte des Lebens und die Entwicklung seiner Vielfalt zu rekonstruieren. „Nur Paläontologen sind in der Lage, den Ablauf der Evolution in einen konkreten zeitlichen und räumlichen Rahmen zu stellen“, beschreibt Professor Jes Rust vom Steinmann Institut der Universität Bonn die Bedeutung seines Forschungsgebietes.

Wenn die Evolution scheinbar stillsteht – „lebende Fossilien“

Dass die Evolution kein kontinuierlicher und gleichmäßiger Prozess ist, der wie ein Uhrwerk immer mit derselben Geschwindigkeit abläuft, wusste schon Charles Darwin. Er „erfand“ damals sogar schon einen Begriff für den Extremfall einer langsamen Evolution bis hin zum scheinbaren Stillstand: „lebende Fossilien“. Zu diesen gehören Tiere oder Pflanzen, die vom Äußeren her ungewöhnlich konservativ, manchmal sogar „altmodisch“ wirken. Wie etwa der Pfeilschwanzkrebs Limulus, dessen Gestalt sich seit circa 150 Millionen Jahren praktisch kaum verändert hat. Oder der berühmte Quastenflosser, den Wissenschaftler zu einer Fischgruppe zählen, die schon seit fast 400 Millionen Jahre auf der Erde lebt.

Auch der ostasiatische Tempelbaum Ginkgo biloba gilt als „lebendes Fossil“. Er war im Erdmittelalter – rund 250 bis 65 Millionen Jahre vor heute – nahezu weltweit verbreitet. Später existierte die Wildform dann nur noch in kleinen Gebieten Ostasiens, von wo aus sie als widerstandsfähiger Parkbaum auch bei uns eingebürgert wurde.

Lebendes Exemplar eines Pfeilschwanzkrebses im Vergleich mit einem fossilen Exemplar aus dem Weißen Jura von Solnhofen. In 150 Millionen haben sie sich diese Verwandten von Skorpionen und Spinnen nur geringfügig verändert. © Georg Oleschinski / Universität Bonn

Resistent gegen Umweltveränderungen?

Warum es das Phänomen der „lebenden Fossilien“ überhaupt gibt, ist bislang noch nicht endgültig geklärt. Gleiches gilt auch für das andere Extrem des sehr schnellen evolutiven Wandels. „Nicht umsonst hat der berühmte Biologe Ernst Mayr diese Erscheinungen noch vor wenigen Jahren als besonders aktuelles Thema der Evolutionsforschung herausgestellt“, sagt Rust. Grundvoraussetzungen für die Existenz lebender Fossilien sind aber scheinbar ein Mindestmaß an ökologischer Stabilität des Lebensraumes sowie eine weitgehende Stabilität der Lebensweise über längere Zeiträume.

Anzeige

Auch eine ausgeprägte Toleranz gegenüber wechselnden Umweltbedingungen sowie spezielle Fortpflanzungsstrategien spielen dabei vermutlich eine wichtige Rolle. Manche Arten gelten sogar als wahre Überlebenskünstler. So bilden etwa Süßwasserkrebse der Gruppe Triops so genannte Dauereier aus, die selbst ein jahrelanges Austrocknen ihrer Tümpel problemlos überstehen. Deshalb werden sie ja auch in Kaufhäusern als „Urzeitkrebse“ in Experimentierkästen für Kinder angeboten.

Theorie der „unterbrochenen Gleichgewichte“

Mithilfe der bisher weltweit gefundenen Fossilien – Wissenschaftler sprechen dabei vom Fossilbericht – sind aber nicht nur verschiedene Geschwindigkeiten der Evolution erkennbar, sondern es werden auch unterschiedliche Ablaufformen deutlich.

Besonders betont haben diesen Aspekt bereits 1972 die amerikanischen Paläontologen Niles Eldredge und Stephen Jay Gould in ihrer bis heute umstrittenen Theorie der „unterbrochenen Gleichgewichte“ („punctuated equilibria“). „Kern ihrer Ausführungen ist die Annahme, dass evolutionärer Wandel ausschließlich an relativ kurzfristige Artbildungsereignisse gekoppelt ist und nicht durch die allmähliche bzw. graduelle Aufzweigung von Stammlinien entsteht“, erläutert Rust.

Die Stammesentwicklung soll demnach über längere Zeit in einem „Gleichgewicht“ verharren, das nur in größeren Abständen durch kurze und rasch ablaufende Evolutionsschübe unterbrochen wird. Soweit die Theorie. Doch die Überprüfung der Thesen von Gould und Eldredge hat sich als außerordentlich schwierig herausgestellt. Deshalb werden sie bis heute unter Wissenschaftlern noch immer kontrovers diskutiert.

„Sowohl-als auch“ statt „entweder-oder“

Neuere Analysen von Fossilien zeigen jedoch, dass sowohl das Muster der so genannten graduellen Aufspaltung, als auch das Modell des durchbrochenen Gleichgewichtes in der Natur vorkommt. So zeigt etwa die Evolution von Säugetieren aus dem älteren Tertiär Nordamerikas vor circa 50 Millionen Jahren einen überwiegend allmählichen Verlauf. Die fossilen Reste so genannter Moostierchen aus dem Jungtertiär der Karibik dagegen lassen vor circa fünf Millionen Jahren auf eine Entwicklung schließen, die mit der Hypothese des durchbrochenen Gleichgewichts in Einklang steht.

Natürlich wird über eine Theorie nicht wie in einem Boxkampf nach dem jeweiligen Punktestand entschieden. Die neuen Ergebnisse zeigen vielmehr deutlich, dass erheblicher weiterer Forschungsbedarf besteht, um die bis dato offenen Fragen zu klären. „Nicht eine „entweder–oder“ Entscheidung, sondern eine „sowohl-als auch“ Erklärung der bisher beobachteten Phänomene dürfte den anhand von Fossilien ermittelten Mustern gerecht werden“, resümiert Rust.

Schon bald neue aufregende Erkenntnisse?

Die Evolutionsforschung anhand von Fossilien ist ein spannendes und aktuelles Thema, das gerade in den letzten Jahren durch die Genetik, die Entwicklungsbiologie, die Ökologie und die Ergebnisse aus der geowissenschaftlichen Forschung neue Impulse bekommen hat. Vor allem präzise Paläoklimarekonstruktionen oder die Analyse der Ursachen von globalen Massenaussterben haben die Wissenschaftler dabei einen entscheidenden Schritt weiter gebracht.

Doch noch immer fehlen wichtige „Puzzlesteine“, die aber möglicherweise weitere Fossilienuntersuchungen liefern werden. Auch die bisherigen Theorien scheinen bisher nicht geeignet zu sein, die offenen Fragen umfassend und abschließend zu beantworten. „Nicht zuletzt deshalb wird uns dieses Forschungsfeld wohl auch in Zukunft noch viele aufregende neue Erkenntnisse liefern“, so Rust.

Link:

DFG-Schwerpunktprogramm „Deep Metazoan Phylogeny“

(Professor Dr. Jes Rust, Steinmann Institut der Universität Bonn, 13.06.2008 – DLO)

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

NAchglühen von GRB 221009A

Rekord-Ausbruch überrascht Astronomen

Neue fossile Riesenschlange entdeckt

Warum Chinas Großstädte absinken

Landschaft unter dem Thwaites-Gletscher kartiert

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Neandertaler - Neue Erkenntnisse über unsere Steinzeit-Cousins

Mammuts - Eiszeitgiganten zwischen Mythos und Wiedergeburt

Bücher zum Thema

keine Buchtipps verknüpft

Top-Clicks der Woche