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Geowissen

Kontinente bremsen Meeresspiegelanstieg

Abnehmender Einstrom von Flusswasser wirkt ansteigenden Pegeln etwas entgegen

Meeresspiegeländerungen 2002-2009 aufgrund von Zuflüssen vom Land © Roelof Rietbroek/ Uni Bonn

Die Ozeane erhalten heute weniger Wasser aus Flüssen als früher. Dadurch ist auch der Pegel der Meere in den letzten acht Jahren langsamer gestiegen – der fehlende Wassernachschub von den Kontinenten hat den klimabedingten Anstieg etwas abgebremst. Das haben Bonner Forscher mit Hilfe von Satellitendaten festgestellt. Sie geben aber deshalb keine Entwarnung: Der Effekt macht nur rund zehn Prozent des durchschnittlichen globalen Meeresspiegel-Anstiegs aus, wie sie im Fachmagazin „Journal of Geophysical Research“ berichten.

Der Meeresspiegel steigt und bedroht insbesondere Inseln und Küsten. Eine Ursache für den Anstieg ist die globale Erwärmung, die Gletscher und Eisschilde schmelzen lässt und die Ozeane aufheizt, was zur Ausdehnung des Wassers führt. Weitgehend unklar war bislang jedoch, ob die Kontinente mit Flüssen, Seen, grundwasserführenden Bodenschichten und künstlichen Reservoirs zu den steigenden Pegeln beitragen. „In der Wissenschaft gibt es seit Jahren eine Kontroverse darüber, ob die Summe der Effekte an Land den Meeresspiegelanstieg verstärken oder bremsen“, sagt Jürgen Kusche vom Institut für Geodäsie und Geoinformation der Universität Bonn.

Die Effekte durch die kontinentalen Abflüsse sind sehr unterschiedlich und teils auch gegenläufig: So kann sich der Niederschlag über dem Festland etwa durch Landnutzungsänderung oder Luftverschmutzung ändern, die Verbauung von Flussauen als Rückhalteräume oder die Entnahme von Grundwasser für die Bewässerung beschleunigt die Wassermassen. Umgekehrt bremst etwa der Bau von Staudämmen den Abfluss vom Land ins Meer.

Daten von „Tom“ und „Jerry“

Das Forscherteam um Kusche verwendete Daten des Satellitentandems GRACE (Gravity Recovery And Climate Experiment), um die Summe der Abflüsse vom Festland ins Meer zu berechnen. Die beiden Satelliten mit den Spitznamen „Tom“ und „Jerry“ erfassen sehr präzise das Schwerefeld der Erde. Weil das Satellitenpaar jeden Messpunkt über der Erde mehrmals überfliegt, erhielten die Wissenschaftler zeitversetzte Messdaten und konnten damit Veränderungen im Schwerefeld der Erde beobachten.

Flussmündung © Earthrise/UCSD

„Diese Schwerkraftänderungen sind auch auf Veränderungen der Wassermengen zurückzuführen“, berichtet Roelof Rietbroek. Wenn sich beispielsweise ein großer Staudamm mit Wasser füllt oder der Meeresspiegel ansteigt, macht sich dies auch durch einen Anstieg der Schwerkraft an dieser Stelle bemerkbar. Zusätzlich wurden Radarhöhenmessungen der Weltmeere ausgewertet. Auf diese Weise konnten die Forscher die Wasserflüsse vom Festland ins Meer und den Pegelanstieg in den Ozeanen global erfassen.

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Weniger Zustrom aus Flüssen

„Der Teil des globalen Meeresspiegelanstiegs, der auf veränderten Niederschlägen über Land und der Entnahme von Grundwasser oder Bau von Talsperren beruht, ist negativ“, berichtet Kusche. Konkret: Im Schnitt der vergangenen acht Jahre verringerte sich der Beitrag des Festlandes zum Meeresspiegelanstieg jährlich um 0,2 Millimeter – das sind etwa zehn Prozent des durchschnittlichen globalen Meeresspiegelanstiegs. Also wird die Erhöhung der Pegel in den Ozeanen durch eine verringerte Wasserzuführung der Flüsse ins Meer leicht gebremst.

„Das bedeutet aber überhaupt keine Entwarnung: Es ist nur eine Momentaufnahme und erlaubt keine Rückschlüsse für die Zukunft“, sagt der Geodät der Universität Bonn. Zumal sich die kontinentalen Abflüsse regional ganz unterschiedlich entwickelt haben: Vor den Küsten von Südamerika und Westafrika steigt der Meeresspiegel alleine aufgrund von Zuflüssen bis zu 0,9 Millimeter im Jahr, während er um Alaska und Australien bis zu zwei Millimeter im Jahr gebremst wird.

Weltweit ist der Meeresspiegel in den letzten acht Jahren durchschnittlich um etwa zwei Millimeter im Jahr gestiegen, wenn man die Erwärmung und das Abschmelzen der Gletscher und Polkappen mitberücksichtigt. Wie sich die Abflüsse vom Festland ins Meer weiterentwickeln, hängt entscheidend davon ab, wie die Menschen die Wasservorräte an Land nutzen. So führen etwa Grundwasserentnahmen für die landwirtschaftliche Bewässerung zu einem stärkeren Abfluss ins Meer und verschärfen dadurch das Problem. (Journal of Geophysical Research, 2013; doi:10.1002/jgrc.20058)

(Universität Bonn, 25.01.2013 – NPO)

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