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Paläontologie

Konkurrenz machte Eiszeit-Nashörnern den Garaus

Frühe Menschen nicht schuld am Verschwinden des Hundsheim-Nashorns aus Europa

Lebensbild des Hundsheim-Nashorns, rekonstruiert nach Knochenfunden (Ölbild) © C. C. Flerov / Sammlungen Senckenberg Weimar

Warum verschwand das Hundsheim-Nashorn Stephanorhinus hundsheimensis vor etwa 500.000 Jahren innerhalb kurzer Zeit für immer aus Europa? Und das nach einer fast eine Million Jahre dauernden Erfolgsgeschichte? Diese Fragen waren bisher ungeklärt. Doch jetzt hat ein deutsches Forscherteam das Rätsel gelöst. Wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Quaternary Science Reviews“ berichten, waren nicht etwa die frühen Menschen Schuld am Aussterben der Tiere, sondern schlicht und einfach Konkurrenz. Das Hundsheim-Nashorn wurde von besser angepassten Nashornarten einfach verdrängt.

Wie Rehe und Hirsche gehörten Nashörner in der Eiszeit zu den Charaktertieren Eurasiens. Sie kamen in weiten Arealen vor. Während der vergangenen 2,6 Millionen Jahre lebten in Europa nicht weniger als sechs verschiedene Arten mit höchst unterschiedlichen ökologischen Ansprüchen.

Es gab Tiere, die sich in den Kältesteppen der nördlichen und mittleren Breiten wohl fühlten, aber auch solche, die gemäßigte oder gar warmklimatische Verhältnisse bevorzugten. Gelegentlich traten mehrere Nashornarten gemeinsam auf. Hatte diese Koexistenz Folgen für eine der Arten? Warum eine Art der anderen in ihrer Anpassung überlegen ist, ist durch paläontologische Funde nachweisbar.

740 fossile Gebiss- und Knochenreste untersucht

Grundlage der neuen Untersuchungen der Forscher um Professor Ralf-Dietrich Kahlke vom Forschungsinstitut Senckenberg und Thomas M. Kaiser von der Universität Hamburg waren rund 740 fossile Gebiss- und Knochenreste, die aus etwa 700.000 Jahre alten Tonen bei Voigtstedt sowie aus den wenige Jahrzehntausende jüngeren Kiesablagerungen von Süßenborn in Thüringen stammen.

Aus beiden Fundstätten liegen Nachweise des Hundsheim-Nashorns vor, das seinen Namen einem österreichischen Fossilvorkommen verdankt. Mit insgesamt rund 4.000 Präparaten eiszeitlicher Nashornfunde verfügt die Senckenberg Forschungsstation in Weimar über die in Europa umfangreichsten Bestände der ausgestorbenen Dickhäuter.

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Schädelfund eines weiblichen Hundsheim-Nashorns aus Thüringen mit kompletter Bezahnung, die Hörner sind nicht überlieferungsfähig. © T. Korn / Senckenberg Weimar

Analysen der Zahnabnutzung

Anhand detaillierter Analysen der Zahnabnutzung mittels der so genannten Mesowear-Analyse konnten die Wissenschaftler die Nahrungsspektren der beiden Nashorn-Gruppen rekonstruieren. Die bevorzugte Nahrung hinterlässt Spuren am Gebiss: Das Zahn-Relief verändert sich auf charakteristische Weise und erlaubt Schlüsse darauf, was das Individuum gefressen hat. Während sich die Voigtstedter Nashörner überwiegend von weichem Laub ausgedehnter Wälder ernährten, deuten die Zahnreliefs der Tiere von Süßenborn auf harte, nahezu vollständig aus Gräsern bestehende Steppennahrung hin, so die Wissenschaftler. Derartig unterschiedliche Nahrungsspektren zeigen eine extrem weite ökologische Toleranz der Hundsheim-Nashörner an.

Eiszeit-Nashörner als Überlebenskünstler

Tatsächlich konnte bislang keine andere ausgestorbene oder noch lebende Tierart mit ähnlich breitem pflanzlichen Nahungsspektrum nachgewiesen werden. Diese Eiszeit-Nashörner waren also wahre Überlebenskünstler, die über nahezu eine Million Jahre hinweg sowohl in Steppenlandschaften als auch in Wäldern dominierten.

Ihr Ende war nach Ansicht der Wissenschaftler gekommen, als sich – wahrscheinlich in Asien – neue Nashornarten mit völlig anderer Überlebensstrategie entwickelten. Zwischen 600.000 und 500.000 Jahren vor heute entstanden im Zuge lang andauernder Kälte- und Wärmeperioden zwei hochspezialisierte Formen, die jeweils Steppen- oder Waldnahrung weit besser nutzen konnten, als das bislang konkurrenzlos lebende Hundsheim-Nashorn. In alle seine Lebensräume, die Steppen und die Wälder, zogen nun nach den Ergebnissen der Forscher Konkurrenten ein.

Konkurrenz zu stark

Stephanorhinus kirchbergiensis, das so genannte Waldnashorn, begann das Hundsheim-Nashorn in den Waldhabitaten zu verdrängen, seine anatomischen Merkmale zeigen, dass diese Spezies für Waldhabitate besser angepasst war als die alteingesessene Art. Gleichzeitig drängte in die Verbreitungsgebiete des Hundsheim-Nashorns im Offenland ein anderer Konkurrent: Stephanorhinus hemitoechus, das Steppennashorn. Die Funde dieser Art belegen, so die Forscher, dass das Tier an die Nahrung der Steppe angepasst war.

Der flexible Lebensstil des Hundsheim-Nashorns, hatte tausende von Generationen dieser Tiere überleben lassen. Binnen weniger Jahrzehntausende – einer erdgeschichtlich kurzen Zeitspanne – verschwand die Art vollständig. Stephanorhinus hundsheimensis starb ohne prinzipielle Umweltveränderungen und völlig ohne Zutun des frühen Menschen aus, so das Fazit der Wissenschaftler. Es wurde von besser angepassten Nashornarten verdrängt. Dieser Prozess ist mittels paläontologischer Funde belegbar.

„Das Arten aussterben ist etwas vollkommen normales“, erklärt Kahlke, „dass das so ist, ist allerdings kein Freibrief für die Umweltsünden der modernen Industriegesellschaft, die ein Massensterben an Arten verursacht haben und noch verursachen, wie es das nie zuvor gegeben hat.“

(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, 17.06.2010 – DLO)

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