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Klima

Klima: Kippelemente über den halben Globus hinweg gekoppelt

Amazonasgebiet beeinflusst das Klima im 20.000 Kilometer entfernten Himalaya

Amazonas
Das Amazonasgebiet ist ein Kippelement im Klimasystem – und es ist über Fernkopplungen mit weiteren Kippelementen verknüpft. © titoOnz/ Getty images

Über den halben Erdball verbunden: Wenn sich das Klima im Amazonasgebiet ändert, dann wirkt sich dies im rund 20.000 Kilometer entfernten Tibet aus, wie eine Studie enthüllt. Diese und andere Kippelemente im Klimasystem sind demnach über erdumspannende Fernverbindungen miteinander verknüpft. Das erhöht das Risko, dass regionale Veränderungen des Klimasystems auch am anderen Ende der Welt zu einem folgenschweren Umkippen der Kippelemente führen können, warnen die Wissenschaftler in „Nature Climate Change“.

Das Amazonasgebiet, das Meereis oder auch die Nordatlantikströmung sind Kippelemente im irdischen Klimasystem. Sie können bei Erreichen einer bestimmten Schwelle abrupt in einen neuen Gleichgewichtszustand umkippen. Schon jetzt könnten Teile des Grönlandeises und der Westantarktis sich einem solchen Kipppunkt nähern, der Nordatlantikstrom hat einen historisch beispiellosen Schwächezustand erreicht und auch der Amazonas-Regenwald liegt nahe an seinem Umkippen vom Regenwald zur Savanne.

Noch gravierender jedoch: Diese Kippelemente sind nicht isoliert, sondern über Rückkopplungen eng miteinander verbunden. Kippt einer dieser Schalter um, könnte dies daher eine ganze Kaskade von Kipppunkten anstoßen, die in einem Dominoeffekt das gesamte Klimasystem aus dem Gleichgewicht bringen können.

Fernverbindungen
Das Klima im Amazonasgebiet ist mit dem westantarktischen Eisschild und dem Tibetplateau gekoppelt. © Teng Liu et al./ Nature Climate Change, CC-by 4.0

Fahndung nach verborgenen Fernverbindungen

Wie weitreichend diese Kopplungen von Kippelementen sind, haben nun Teng Liu von der Normaluniversität Peking und seine Kollegen herausgefunden. Für ihre Studie hatten sie untersucht, ob es konkrete Hinweise auf Fernverbindungen zwischen Kippelementen wie dem Amazonas-Regenwald und anderen Kippelementen gibt. Dafür analysierten sie, wie sich die oberflächennahen Lufttemperatur in den letzten 40 Jahren an mehr als 65.000 verschiedenen Knotenpunkten des Globus verändert hat.

„Während das Amazonasgebiet natürlich selbst ein wichtiges Element des Erdsystems ist, stellt sich auch die brennende Frage, ob und wie sich Veränderungen in dieser Region auf andere Teile der Welt auswirken könnten“, erklärt Luis Kollege Jingfang Fan. Denn schon jetzt sei der Amazonas-Regenwald durch Abholzung, Brände, Straßenbau und Erwärmung stark belastet und dieser Trend werde sich auch in Zukunft wahrscheinlich weiter fortsetzen.

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Amazonasgebiet und Tibetplateau sind verknüpft

Die Analysen enthüllten: Es gibt tatsächlich Fernverbindungen zwischen dem Amazonasgebiet und mindestens zwei weiteren Kippelementen. Das erste ist der westantarktische Eisschild, für das schon eine Kopplung mit dem Klima in Südamerika bekannt war. Die zweite Fernverbindung jedoch reicht einmal um den halben Erdball. Denn der unsichtbare, aber signifikante Einfluss verbindet Temperaturen und Niederschlag im Amazonasgebiet mit dem Klima auf dem tibetischen Plateau im Himalaya.

Damit überspannt die Kopplung zwischen diesen Kippelementen eine Entfernung von gut 20.000 Kilometern. „Wir waren überrascht zu sehen, wie stark die Klimaextreme im Amazonasgebiet mit den Klimaextremen in Tibet verbunden sind“, sagt Koautor Jürgen Kurths vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Wenn es im Amazonas wärmer wird, wird es auch in Tibet wärmer. Für die Temperaturen gibt es also eine positive Korrelation.“ Beim Niederschlag ist die Rückkopplung dagegen negativ: Wenn es im Amazonasgebiet mehr regnet, fällt in Tibet weniger Schnee.

Klimakopplung
Die Verknüpfung von Amazonasgebiet und Tibetplateau erfolgt über drei Abschnitte. © Teng Liu et al./ Nature Climate Change, CC-by 4.0

Kopplung über drei Schritte

Über welche Mechanismen diese beiden Kippelemente verknüpft sind, zeigte sich in näheren Analysen mithilfe von Klimamodellen. Demnach besteht diese Fernverbindung aus drei Teilstücken. Das erste reicht von der Ostküste Südamerikas bis in den Süden Afrikas und wird von Hochdruckgebieten geprägt, die mit den vorherrschenden Westwinden über den Atlantik nach Afrika getrieben werden.

Der zweite Abschnitt dieser Kopplung verbindet das südliche Afrika mit Nordafrika und dem Nahen Osten. „Die innertropische Konvergenzzone kontrolliert den Afrikanischen Monsun und damit die Winde, die vom Süden in den Norden Afrikas wehen“, erklärt das Forschungsteam. Der dritte Abschnitt schließlich verbindet Nordafrika und den mittleren Osten mit dem Himalayagebiet über die in diesen Breiten vorherrschenden Westwinde.

Auch das Tibetplateau nähert sich dem Kipppunkt

„Zum ersten Mal ist es uns damit gelungen, eine solche Fernverbindung klar zu identifizieren und zu quantifizieren“, sagt Fan. „Unsere Forschung bestätigt, dass die Kippelemente des Erdsystems tatsächlich auch über große Entfernungen miteinander verbunden sind. Der Amazonas ist ein Schlüsselbeispiel dafür, wie sich dies auswirken könnte.“

Die Analysen enthüllten zudem, dass die Schneedecke auf dem tibetischen Plateau sich ebenfalls bereits einem Kipppunkt näher. Seit 2008 verliert diese kühlende Decke auf dem Dach der Welt ihre Stabilität. „Das wurde bisher übersehen“, sagt Kurths. Wichtig ist dies auch deshalb, weil das tibetische Plateau trotz seiner abgelegenen Lage ein wichtiger Wasserspeicher für Millionen Menschen im Einzugsbereich der dort entspringenden Flüsse ist.

„Ein ernst zu nehmendes Risiko“

„Unsere Forschung unterstreicht, dass Kippkaskaden ein ernst zu nehmendes Risiko sind. Verknüpfte Kippelemente im Erdsystem können sich gegenseitig beeinflussen, mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen“, sagt Koautor Hans Joachim Schellnhuber vom PIK. „Um es klar zu sagen: Es ist unwahrscheinlich, dass das Klimasystem als Ganzes kippt. Aber subkontinentale Kippereignisse können im Laufe der Zeit ganze Gesellschaften schwer treffen und wichtige Teile der Biosphäre bedrohen.“

Nach Ansicht des Forschungsteams müssen die Fernverbindungen und die mögliche Kaskade umkippender Kippelemente daher stärker als bisher beim Klimaschutz und der Anpassung an Klimafolgen berücksichtigt werden. (Nature Climate Change, 2023; doi: 10.1038/s41558-022-01558-4)

Quelle: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

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