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Geowissen

Katastrophenschutz von unten

Lernen aus historischen Naturkatastrophen tut not

Überschwemmungen und andere Naturkatstrophen hat es schon immer gegeben. Doch wie eine neue Studie jetzt zeigt, ist heute vieles von dem vergessen, was vor 200 Jahren im Katastrophenschutz bereits bekant war und umgesetzt wurde.

Kann man aus der Geschichte lernen? „Sollte man“, meint Guido Poliwoda, Umwelthistoriker der Universität Bern: „Dann würde bei einem Hochwasser im besten Fall niemand mehr ertrinken und die Schäden wären weitaus geringer.“ Der Wissenschaftler hat die Hochwasser der Elbe in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert untersucht und zeigt, wie die betroffenen Menschen damit umzugehen lernten.

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„Land Unter“ in Sachsen

Die Elb-Hochwasser häuften sich im untersuchten Zeitraum. Das erste, 1784, traf Sachsen allerdings gänzlich unvorbereitet. Seit 130 Jahren hatte es nichts Vergleichbares gegeben. „Meterdicke Eisschollen rasten die Flüsse hinab, Trümmer zerstörten Häuser, losgerissene Schiffe und an den Ufern gelagerte Baumstämme rasierten mit der Flutwelle alles hinweg, was sich ihr in den Weg stellte“, beschreibt Poliwoda das Ereignis. Die Flut stürzte das winterliche Sachsen ins Chaos. Der Monarch sandte Geld, das Militär begann mit Aufräumarbeiten, erste Massnahmen wurden eingeleitet, darunter Deichwachen, Hygienevorschriften und akustische Warnsysteme mit Kanonen. „Lernschritte“, nennt der Autor diese Massnahmen, die damals fast nur der Abwehr dienten.

Es folgten weitere Hochwasser – eine Häufung, die einher ging mit einer Absenkung der Durchschnittstemperatur im so genannten Dalton Minimum, einer Kaltphase von 1780 bis 1830. Erst diese Häufung führte zu einem „Lernprozess“ und schliesslich zu einer „Lerngenese“. Ziel war es, Schäden zu verhindern, denn die Aufwendungen überstiegen die finanziellen Möglichkeiten des Staates bei weitem. Und auch die private Spendenbereitschaft ging rasch zurück.

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Professionelle Reaktionen

Im politischen Sachsen entwickelte sich ein Systemumbruch. Lösungsvorschläge kamen aus allen Schichten der Bevölkerung, auch von ganz unten. Sie wurden ernst genommen und implementiert. Hierarchien verflachten, nicht Status war mehr bestimmend, sondern Funktion. So etablierte sich ein eigentliches Katastrophenmanagement. Mit Erfolg. Die Katastrophe 1845 überstieg alle bis dahin gemessenen Pegelstände, doch die Behörden reagierten professionell: „Überall war bei aller steigender Gefahr, Ordnung, Ruhe und Vertrauen auf die Einsicht der wahrhaft väterlichen Behörde“, notierte ein Zeitzeuge.

Wettlauf gegen das Vergessen

Im Jahr 2002 war Sachsen wieder von einem Hochwasser betroffen, schlimmer als alles bisherige. Die Einsichten aus der Zeit des Dalton Minimums lagen weit zurück, dazwischen ein Jahrhundert mit wenigen Naturkatastrophen. Die Aufarbeitung dieser neuen Katastrophe ergab mangelnde Kooperation, Kommunikation und Führung über Institutions- und Raumgrenzen hinweg.

Braucht es, wie in historischer Zeit, mehrere Katastrophen, bis wieder ein effizientes Katastrophenmanagement erreicht ist? Der Umwelthistoriker ist überzeugt, dass es möglich wäre, aus der Geschichte zu lernen. Doch seine wichtigste Einsicht: „Ein Katastrophenmanagement wird scheitern, wenn es nicht von unten nach oben getragen wird.“ Dass Deutschland im Jahr 2002 mit dem Elbhochwasser überfordert war, wundert den gebürtigen Hannoveraner nicht: „Deutschland ist föderal-hierarchisch und konservativ organisiert.“ Zu hierarchisch, zu konservativ. „Der Umgang mit Katastrophen erfordert proaktives Lernen, ist progressiv“, betont er.

„Vernetzen, kommunizieren, lernen“, heisst deshalb die Botschaft, und zwar über Länder- und Zeitgrenzen hinweg, denn solche Ereignisse sind jeweils nicht nur menschlich eine Katastrophe, sondern auch wirtschaftlich. Und sie werden zunehmen, so die übereinstimmenden Prognosen. Ohne Katastrophenmanagement, ist Poliwoda überzeugt, werden die Schäden so gross, dass einzelne Versicherer nicht mehr bereit sein werden, sie zu tragen. Im letzten Jahr ist bereits die Elementarschadenversicherung erhöht worden. Und, wie die Geschichte zeigt, wird mit der Häufung auch die private Spendenbereitschaft abnehmen.

(Universität Bern, 06.07.2007 – NPO)

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