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Biologie

Kaltwasserkorallen als Anpassungskünstler?

Können Kaltwasserkorallen der Versauerung des Meerwassers standhalten?

Sichten der mit Tauchboot JAGO geborgenen Korallen-Proben. © JAGO-Team, GEOMAR

Kaltwasserkorallen scheinen weniger an der Versauerung des Meerwassers zu leiden als angenommen: Eine Langzeitstudie hat gezeigt, dass die am weitesten verbreitete Art Lophelia pertusa entgegen aller Prognosen trotz eines steigenden Kohlendioxidgehalts unbehelligt weiterwächst. Dieses überraschende Ergebnis haben Forscher des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR) jetzt im Fachmagazin „Global Change Biology“ veröffentlicht. In einer neuen Serie von Experimenten soll nun untersucht werden, wie die Korallen auf die kombinierte Veränderungen von Kohlendioxidgehalt, Temperatur und Nahrungsmenge reagieren, wie sie als Folge des Klimawandels in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten sind.

Der Ozean nimmt etwa ein Drittel des von Menschen produzierten Kohlendioxids (CO2) auf und verlangsamt damit die globale Erwärmung. Doch im Wasser reagiert das Gas zu Kohlensäure. Der pH-Wert sinkt – es wird saurer und damit zu einer Gefahr für Organismen, die ihre Schalen und Skelette aus Kalk aufbauen. Neben Plankton, Algen, Muscheln und Schnecken sind insbesondere Steinkorallen bedroht: Ihre Skelettstrukturen bestehen hauptsächlich aus der leicht löslichen Kalkart Aragonit.

CO2-Emissionen lassen pH-Wert des Meerwassers sinken

„Anhand von Computermodellen wurde errechnet, dass bei unvermindert fortschreitenden CO2-Emissionen bereits gegen Ende des Jahrhunderts mehr als 70 Prozent der heute bekannten Bestände an Kaltwasserkorallen einem pH-Wert ausgesetzt sein werden, unter welchem sich Kalk aufzulösen beginnt. Daher lag die Vermutung nahe, dass sie mit als erstes von den Folgen der Ozeanversauerung betroffen sein würden“, erklärt Ulf Riebesell, Professor für Biologische Ozeanographie am GEOMAR. „Unsere Ergebnisse widersprechen dem jedoch“, ergänzt der Kieler Meeresbiologe Armin Form. „Wir haben zum ersten Mal gezeigt, dass die Steinkorallen-Art Lophelia pertusa selbst in korrosivem Wasser weiter wächst, sofern man ihr die Zeit lässt, sich auf die neuen Lebensbedingungen einzustellen.“

In einem ersten Experiment hälterten die Wissenschaftler zunächst einzelne Korallenstöcke für die Dauer einer Woche in Bioreaktoren unter verschiedenen CO2-Niveaus wie sie in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten sind. Die Temperatur wurde dabei konstant gehalten und die Korallen zuvor ausreichend gefüttert. Ein zweites Experiment unter ähnlichen Bedingungen lief über sechs Monate.

Anpassung nach kurzzeitiger Wachstumspause

„Das Kurzzeit-Experiment legte nahe, dass schon ein Absinken des pH-Werts um 0,1 Einheiten dazu führen kann, das Lophelia pertusa deutlich langsamer wächst als unter heutigen Bedingungen“, fasst Form zusammen. „Die Langzeitexperimente bestärken diesen Trend aber nicht – was uns genauso überrascht hat wie die übrige Fachwelt. Die Korallen scheinen sich nach einiger Zeit auf die neuen Bedingungen eingestellt zu haben. Sie wuchsen durchschnittlich sogar etwas schneller als ihre Artgenossen unter Kontrollbedingungen.“

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Für Form und seine Kollegen waren die bisherigen Experimente ein erster Schritt, um die Folgen des Klimawandels für Kaltwasserkorallen genauer zu verstehen. „Die Ozeanversauerung ist allerdings nur ein Aspekt des Klimawandels. Es ändert sich schließlich nicht nur der pH-Wert des Meerwassers, sondern es steigt gleichzeitig die Temperatur“, so Form. „Bei steigenden Temperaturen benötigen die Korallen aber größere Nahrungsmengen, um ihren Stoffwechsel anzupassen. Es wird also vermutlich auch wesentlich von der zukünftigen Nahrungsverfügbarkeit abhängen, ob, und inwiefern sich die Korallen an den Ozeanwandel anpassen können.“

Weitere Experimente haben begonnen

Unter dem Dach des Forschungsprojekts BIOACID (Biological Impacts of Ocean ACIDification) starten in Kiel darum jetzt neue Experimente, die die Wechselwirkungen zwischen Kohlendioxidgehalt, Temperatur und Nahrungsverfügbarkeit genauer beleuchten sollen. Dafür brachte das Forschungsschiff POSEIDON im September Proben von Riffen vor der norwegischen Küste nach Kiel. Ein Teil der Korallen wird unter naturnahen Bedingungen gehalten, während andere wahlweise oder in Kombination erhöhten Wassertemperaturen und CO2-Konzentrationen sowie Nahrungsmangel ausgesetzt werden. Regelmäßige Analysen halten neben physikalischen und chemischen Wasserparametern insbesondere die Wachstums- und Stoffwechselraten der Korallen fest.

„Durch dieses Experiment wollen wir die Frage klären, ob und zu welchem Preis sich die Kaltwasserkorallen an die erwarteten Umweltveränderungen anpassen können“, kündigt Form an. Erste Ergebnisse sollen im Herbst 2012 vorliegen. (Global Change Biology, 18(3), doi: 10.1111/j.1365-2486.2011.02583.x)

(GEOMAR | Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, 10.02.2012 – NPO)

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