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Istanbul: Akute Erdbebengefahr bestätigt

Spannung unter dem Marmarameer reicht für ein Beben der Magnitude 7,1 bis 7,4

Istanbul
Istanbul liegt seismisch auf einem Schleudersitz. Wie hoch die Spannung an der nordanatolischen Verwerfung direkt vor der Stadt ist, haben nun Forscher ermittelt. © gece33/ iStock.com

Aufgestaute Spannung: Ein neues Messsystem bestätigt die akute Erdbebengefahr für die Millionenstadt Istanbul – und quantifiziert sie erstmals. Die Messungen belegen, dass die Nordanatolische Verwerfung unter dem Marmarameer komplett blockiert ist. Dadurch hat sich genügend Spannung aufgestaut, um ein Erdbeben der Magnitude 7,1 bis 7,4 auszulösen, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten. Für die Bewohner Istanbuls wäre ein solches Erdbeben fatal.

Istanbul sitzt auf einer seismischen Zeitbombe. Denn unmittelbar südlich der Millionenstadt liegt unter dem Marmarameer die Nordanatolische Verwerfung – eine aktive Plattengrenze. Hier schieben sich die eurasische und die anatolische Erdplatte langsam aneinander vorbei. Weil dabei das Gestein immer wieder verhakt, entlädt sich die Spannung in Erdbeben, die bislang immer weiter Richtung Westen gewandert sind – auf Istanbul zu. Doch das 150 Kilometer lange Teilstück unter dem Marmarameer ist seit 1766 nicht mehr gebrochen – es bildet eine seismische Lücke.

Kriechen oder Blockade?

Bislang war jedoch unklar, wie hoch die Spannung unter dem Marmarameer inzwischen ist – und ob nicht doch ein langsames Kriechen einen Teil davon abgebaut hat. Der Grund dafür: Die Signale von GPS und Radarsatelliten werden vom überdeckenden Meerwasser größtenteils geschluckt. Deshalb konnten Forscher bisher nur auf Basis der GPS-Messungen an den Ufern schätzen, ob und wie stark sich die Verwerfung an dieser Stelle bewegt.

Messungne im Marmarameer
Lage der Messgeräte (Dreiecke) und zuvor registrierte seismische Aktivität (rot) an der Verwerfung im Marmarameer – im Zentrum blieb es lange ruhig © Lange et al./ Nature Communications, CC-by-sa 4.0

Jetzt jedoch haben Dietrich Lange vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und sein Team ein neuartiges Messsystem auf Basis akustischer Signale eingesetzt, um die Untergrundbewegungen am Grund des Marmarameeres direkt zu vermessen. Zweieinhalb Jahre lang führten zehn Messgeräte in 800 Metern Wassertiefe beiderseits der Störung mehr als 650.000 Abstandmessungen durch.

Erst durch diese Daten konnten die Forscher nun feststellen, ob die Nordanatolische Verwerfung an dieser Stelle komplett verhakt ist oder aber sich kriechend ohne seismische Aktivität bewegt.

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Verwerfung ist komplett blockiert

Das Ergebnis: „Unsere Messungen zeigen, dass die Verwerfungszone im Marmarameer verhakt ist und sich deswegen tektonische Spannungen aufbauen“, sagt Lange. Die oberflächliche Versatzrate entlang des Messnetzwerks war nahezu gleich null, wie die Messdaten ergaben. Dies spreche gegen einen schleichenden Versatz und für eine völlige Blockade der Verwerfung in diesem 150 Kilometer langen Teilstück, so die Forscher.

Ihren Erkenntnissen nach ist das Gestein der Plattengrenze bis in mindestens drei Kilometer Tiefe komplett verhakt, wahrscheinlich sogar bis in noch tiefere Gesteinsschichten. „Wenn man davon ausgeht, dass der letzte Bruch der Nordanatolischen Verwerfung im Marmarameer im Jahr 1766 stattfand, dann hat sich seitdem ein Versatzdefizit von vier Metern angesammelt“, berichten die Forscher.

Potenzial für ein Beben der Stärke 7,1 bis 7,4

„Das ist der erste direkte Nachweis über den Spannungsaufbau am Meeresboden südlich von Istanbul“, sagt Lange. Sollte sich diese Spannung abrupt in einem Erdbeben entladen, hätte dies verheerende Folgen. Denn nach Berechnungen der Forscher würde dies je nach Länge des Bruchs ein Erdbeben der Magnitude 7,1 bis 7,4 verursachen. Für die nahegelegene Metropolregion Istanbul und ihre 15 Millionen Einwohner wäre das fatal.

Das letzte starke Beben im Marmarameer am 22. Mai 1766 hatte eine Magnitude von 7,5 und verursachte schwere Schäden. Häuser wurden zerstört, Hafenanlagen beschädigt und tausende Menschen starben durch Trümmer und Flutwellen. (Nature Communications, 2019; doi: 10.1038/s41467-019-11016-z)

Quelle: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

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