Meer am Scheideweg: Die Ostsee könnte künftig immer häufiger unter Sauerstoffmangel, giftigen Algenblüten und Überhitzung leiden, wie nun eine Prognose aufzeigt. Denn Klimawandel und zu hohe Nährstoffeinträge setzen dem Meer immer stärker zu. Sollen Extremereignisse und Rekord-Algenblüten vermieden werden, müsse dringend gehandelt werden, so die Wissenschaftler. Nur ein stringentes Meeresmanagement könne die Ostsee dauerhaft als Lebensraum und Reiseziel erhalten.
Die Ostsee ist für die Ozeane in Art „Kanarienvogel“ im Bergwerk: Weil dieses flache Meer an fast allen Seiten von Land umgeben ist und kaum frisches Wasser aus der Nordsee einströmt, reagiert die Ostsee besonders sensibel auf Nährstoffeinträge und die Klimaerwärmung. Schon jetzt wandern vermehrt exotische Arten in die Ostsee ein, im Sommer häufen sich giftige Blaualgenblüten und im Tiefenwasser der Ostsee schwindet zunehmend der Sauerstoff – es entsteht eine lebensfeindliche „Todeszone“.
Wie aber sieht die Zukunft der Ostsee aus? Eigentlich haben sich alle Anrainerstaaten schon vor mehr als zehn Jahren darauf geeinigt, die Nährstoffeinträge in die Ostsee deutlich zu verringern. Denn sie fördern Algenblüten, Sauerstoffschwund und weitere negative Entwicklungen. Doch die Umsetzung dieses „Baltic Sea Action Plan“ (BASAP) ist schleppend und eine Regeneration des Meeres bis zu einem „ökologisch guten Zustand“ bisher nicht in Sicht.
Blick in die Zukunft der Ostsee
Jetzt haben Forscher um Markus Meier vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) in einer Modellsimulation untersucht, wie sich die Ostsee unter zwei verschiedenen Klimaszenarien (gemäßigte und starke Erwärmung) sowie drei Nährstoffbelastungen bis 2100 entwickeln wird. Bei den Nährstoffen umfassten die Szenarien die perfekte Umsetzung der BSAP-Ziele, die Weiterführung des Ist-Zustandes oder aber ein Worst-Case-Szenario mit steigender Belastung durch wachsende Bevölkerungszahlen.
„Im Fokus unserer Modellierungen standen folgende Fragen: Kann die Ostsee einen guten ökologischen Zustand überhaupt noch erreichen? Wenn ja, wann und unter welchen Bedingungen?“, erklärt Meier. „Und erstmals auch: Wie verändert sich die Wahrscheinlichkeit für Extremereignisse, wie sie unter anderem für die Entwicklung der Freizeit- und Tourismuswirtschaft relevant sind?“
Warm, giftig und sauerstoffarm
Das Ergebnis: „Die Ostseeregion wird sich nach unseren Szenario-Berechnungen durch den Klimawandel deutlich verändern“, berichtet Meier. Schon bis 2050 könnten demnach im Vergleich zum heutigen Klima im Sommer deutlich häufiger neue Rekordtemperaturen auftreten. Bis Ende des Jahrhunderts wäre das Ostseewasser an der Oberfläche zwei bis drei Grad wärmer als heute und Phasen mit Meerestemperaturen über 18 Grad könnte bis zu einem Monat länger dauern als heute.
Auf den ersten Blick erscheint dies eher positiv – warmes Badewasser und mehr Sommerwetter sind schließlich gut für den Tourismus. Das Problem jedoch: Steigende Meerestemperaturen fördern giftige Algenblüten und auch den Sauerstoffschwund in der Tiefe. „Machen wir weiter wie bisher oder erhöht sich die Nährstoffbelastung sogar bei hohen Treibhausgaskonzentrationen, ist die Wahrscheinlichkeit für extreme Blaualgenblüten zum Ende des Jahrhunderts um 1.000 Prozent erhöht im Vergleich zum heutigen Klima“, sagt Meier.
Abhilfe nur durch stringente Nährstoffreduktion
Hinzu kommt: Häufigere Hitzewellen und ungewöhnliches warmes Meerwasser fördert auch die Verbreitung krankmachender Keime. „Bei uns an der Ostsee könnte dies zum Beispiel bedeuten, dass Infektionen mit den lebensgefährlichen, Sepsis verursachenden Vibrio-Bakterien gehäuft auftreten“, erläutert Meier. Zu diesen im Salzwasser vorkommenden Bakterien gehören unter anderem der Cholera-Erreger und weitere Arten, die beim Menschen Brechdurchfälle verursachen, aber auch Fische krank machen können.
„Erreichen wir die BSAP-Umweltziele nicht, muss man mit zahlreichen weiteren negativen Folgen im Ökosystem Ostsee rechnen“, betont Meier. Den Simulationen zufolge kann die Ostsee nur im optimistischsten Szenario einen guten Umweltzustand erreichen – dann, wenn der Ostsee-Aktionsplan BASAP perfekt umgesetzt wird und die Erwärmung durch Klimaschutz gebremst wird. Nur dann könnten auch giftige Algenblüten trotz häufigerer Hitzewellen vermieden werden.
„Ostsee steht am Scheideweg“
„Die Ostsee steht am Scheideweg. Das ist kritisch, bedeutet aber auch, dass wir es immer noch in der Hand haben, wohin sie steuert“, betont Meier. „Über ein stringentes Meeresmanagement, für das es klare Vorgaben im BSAP gibt, und auch über verstärke Klimaschutz-Anstrengungen können wir die Ostsee dauerhaft als Lebensraum und Reiseziel attraktiv halten.“ (Ambio, 2019; doi: 10.1007/s13280-019-01235-5)
Quelle: Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde