Anzeige
Evolution

Homo sapiens ist älter als gedacht

300.000 Jahre alte Fossilien aus Marokko belegen frühe Ausbreitung unserer Vorfahren

Modernes Gesicht, flacher Hirnschädel: Schädel des 300.000 Jahre alten Homo sapiens aus Jebel Irhoud © Philipp Gunz/ MPI EVA Leipzig

Spektakulärer Fund: In Marokko haben Forscher die ältesten bekannten Fossilien des Homo sapiens entdeckt – und damit unserer Vorfahren. Die Knochen und Steinwerkzeuge sind bereits 300.000 Jahre alt und damit 100.00 Jahre älter als alle bisher bekannten Überreste des Homo sapiens, wie die Anthropologen im Fachmagazin „Nature“ berichten. Ihr Fund spricht dafür, dass sich der Homo sapiens früher entwickelte und schneller innerhalb Afrikas verbreitete als bisher angenommen.

Die Wiege des Homo sapiens stand in Afrika – so viel scheint klar. Doch wo dort entwickelte sich unsere Menschenart und wann? Weil die ältesten bisher eindeutig datierten Homo sapiens-Fossilien aus Äthiopien stammen, gingen Anthropologen bisher davon aus, dass der moderne Mensch in Ostafrika entstand – ähnlich wie viele Vormenschen vor ihm. Es gibt allerdings auch genetische Indizien dafür, dass der Sprung zum Homo sapiens in Südafrika geschah.

„Der genaue Ort und die Zeit der Entstehung des Homo sapiens bleiben im Dunkeln, weil es kaum Fossilien gibt und das Alter vieler Funde nicht genau bestimmt werden kann“, erklären Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und seine Kollegen.

Neue Funde in Jebel Irhoud

Letzteres galt auch für Fossilfunde aus dem Jebel Irhoud-Massiv in Marokko. Hier hatten Forscher bereits in den 1960er Jahren einen fast vollständigen menschlichen Homo sapiens-Schädel und mehrere Kieferknochen entdeckt. Weil damals jedoch die genaue Fundtiefe und Lage der Fossilien nicht dokumentiert wurde, blieb ihr Alter unklar. Datierungen kamen auf 40.000 oder aber 160.000 Jahre.

Jetzt haben Forscher bei erneuten Ausgrabungen in Jebel Irhoud weitere Menschenfossilien entdeckt – darunter Schädel, Unterkiefer, Zähne, und Langknochen von mindestens fünf Individuen. Gleichzeitig konnten Hublin und seine Kollegen nun erstmals die genaue Schichtenabfolge am Fundort und die Lage der Fossilien genau dokumentieren.

Anzeige
Die Neudatierung dieses Kieferknocohens aus Jebel Irhoud ergab ein ALter von knapp 300.000 Jahren. © Jean-Jacques Hublin/ MPI-EVA Leipzig

Schon 300.000 Jahre alt

Erstmals wurde damit eine genaue Datierung und Zuordnung der Fossilien von Jebel Irhoud möglich. Mit der sogenannten Thermolumineszenzmethode bestimmten die Forscher das Alter von Feuerstein-Werkzeugen aus der Fundschicht. Zudem gelang dem Team die Altersbestimmung eines schon in den 1960-er Jahren gefundenen Unterkiefers mit einer neu kalibrierten Uran-Thorium-Datierung.

Das Ergebnis: Sowohl die Steinwerkzeuge als auch der Kieferknochen sind mindestens 280.000 Jahre, wahrscheinlich sogar rund 300.000 Jahre alt. „Das macht Jebel Irhoud zur ältesten und reichhaltigsten Fundstätte des steinzeitlichen Homo sapiens in Afrika“, konstatieren die Forscher. Die in Marokko gefundenen Homo sapiens-Fossilien sind rund 100.000 Jahre älter als alle anderen bisher aus Afrika bekannten.

Uns bereits sehr ähnlich

Überraschend auch: Trotz dieses hohen Alters waren die Menschen von Jebel Irhoud uns erstaunlich ähnlich. Wie wir besaßen sie schon einen kleinen, geraden Gesichtsschädel und ihre Kieferknochen wiesen zahlreiche moderne Merkmale auf, wie die anatomische Analyse enthüllte. Damit unterschieden sie sich deutlich Neandertalern und archaischen Frühmenschenformen, die eher große Gesichter und vorgewölbte Kiefer besaßen.

„Das bedeutet, dass sich die Form der Gesichtsknochen bereits zu Beginn der Evolution unserer Art entwickelt hat“, erklärt Hublins Kollege Philipp Gunz. Eher altmodisch ist dafür die Schädelform der Homo sapiens-Fossilien aus Marokko: Ihr Hirnschädel war eher länglich und weniger gewölbt als der heutiger Menschen. Das könnte darauf hindeuten, dass das Gehirn unserer Vorfahren erst nach und nach seine heutige Form entwickelte, so die Forscher.

Diese Werkzeuge aus Feuerstein wurden bei den Homo sapiens-Fossilien in Jebel Irhoud gefunden © Mohammed Kamal/ MPI EVA Leipzig

Neues Licht auf unsere Vorfahren

Die neuen Funde werfen damit ein ganz neues Licht auf die Evolution unserer Art. Denn sie sind nicht nur älter als alle bisher bekannten Fossilien des Homo sapiens, sie wurden auch an einem ungewöhnlichen Ort gefunden: Nicht in Ostafrika oder im Süden des Kontinents, sondern im Westen Nordafrikas – weit von den etablierten Wiegen der Menschheit entfernt.

„Nordafrika ist lange Zeit in der Debatte um den Ursprung unserer Spezies vernachlässigt worden“, sagt Koautor Abdelouahed Ben-Ncer vom Nationalen Institut für Archäologie Marokkos in Rabat. Doch die Funde von Jebel Irhoud sprechen für enge Verbindungen Nordafrikas mit dem Rest des Kontinents. Indizien dafür liefern auch die in Marokko entdeckten Steinwerkzeuge: Der Feuerstein, aus dem sie bestehen, kam vor Ort nicht vor und muss aus größerer Entfernung nach Jebel Irhoud gebracht worden sein, wie die Forscher berichten.

Damit deutet einiges darauf hin, dass der Homo sapiens früher entstand und sich auch früher in Afrika ausbreitete als bisher angenommen. (Nature, 2017; doi: 10.1038/nature22336 und doi: 10.1038/nature22335)

(Max-Planck-Gesellschaft/ Nature, 08.06.2017 – NPO)

Teilen:
Anzeige

In den Schlagzeilen

News des Tages

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Neandertaler - Neue Erkenntnisse über unsere Steinzeit-Cousins

Bücher zum Thema

Im Fokus: Paläontologie - Spurensuche in der Urzeit Von Nadja Podbregar und Dieter Lohmann

Die Welt des Neandertalers - Von den Ursprüngen des Menschen von Juan L. Arsuaga

Die Ursprünge der Menschheit - von Fiorenzo Facchini

Top-Clicks der Woche