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Klima

Grönlands letzte stabile Ecke schmilzt

Nach einem Vierteljahrhundert der Stabilität schrumpft nun auch der Eissschild im Nordosten dramatisch

Gletscherfronten in Nordost-Grönland © Finn Bo Madsen

Grönlands letzte stabile Bastion fällt: Jetzt hat auch der Nordosten begonnen abzutauen – bisher der kälteste und stabilste Teil des grönländischen Eisschilds. Seit 2003 verlieren die Gletscher im Nordosten jedes Jahr zehn Milliarden Tonnen Eis, wie ein internationales Forscherteam im Fachmagazin „Nature Climate Change“ berichtet. Nach einen Vierteljahrhundert Stabilität nagt nun der Klimawandel auch an der entlegensten Küste der Rieseninsel.

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Mehr als drei Kilometer dick und 1,8 Millionen Kilometer groß: das grönländische Eisschild ist zusammen mit der Antarktis das größte Eisreservoir unseres Planeten. In seinen Gletschern ist so viel Wasser gebunden, dass ihr komplettes Abschmelzen den Meeresspiegel um mehrere Meter ansteigen lassen würde. Bisher nagte die globale Erwärmung vor allem an den Eisströmen im Süden und Nordwesten der Rieseninsel, der Nordosten blieb stabil.

Meereis als schützende Barriere

„Nordost-Grönland ist sehr kalt, daher galt es als der letzte stabile Teil des grönländischen Eisschilds“, erklärt Koautor Michael Bevis von der Ohio State University. Ein Grund dafür: Die Enden der dortigen Gletscher münden in einen Bereich des Nordpolarmeeres, der normalerweise nahezu das gesamte Jahr hindurch gefroren bleibt. Das Meereis wirkte wie eine Art Barriere, die die Gletscherzungen stabilisierte und abbremste. Gleichzeitig verhinderte das Eis, dass wärmeres Wasser in Kontakt mit dem Eisströmen kam. Das aber hat sich nun geändert, wie neue Messungen zeigen.

Für ihre Studie hatten die Forscher Daten von Eisdickenmessungen per Flugzeug und von Satelliten der Jahre 2003 bis 2012, sowie frühere Messungen bis zurück ins Jahr 1978 ausgewertet. Zusätzlich bezogen sie Daten des GPS-Netzwerks GNET mit ein, dessen Stationen registrieren, wie stark sich der Untergrund aufgrund der abnehmenden Eislast hebt. Ihr Untersuchungsgebiet konzentrierte sich dabei auf das Einzugsgebiet des Zachariae-Eisstroms im Nordosten Grönlands. Dieser 600 Kilometer lange Strom aus Eis reicht von der Küste bis weit in Landesinnere hinein. Das Becken, in dem er fließt, repräsentiert 16 Prozent des gesamten grönländischen Eisschilds.

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Dramatische Schrumpfung

Das Ausmaß der Veränderungen in den letzten zehn Jahren erstaunte selbst die Forscher. Bis zum Jahr 2003 blieb der nordöstliche Eisschild relativ stabil. Dann aber begann eine rapide Schmelze: Von April 2003 bis 2012 verlor er im Durchschnitt zehn Milliarden Tonnen Eis pro Jahr. Der Zachariae Eisstrom hat sich seit 2003 um 20 Kilometer zurückgezogen – in nur zehn Jahren. Zum Vergleich: Einer der bisher schnellsten Gletscher Grönlands, der Jakobshavn Isbrae im Südwesten der Insel, benötigte für 35 Kilometer immerhin 150 Jahre.

„Die Tatsache, dass nun auch der Nordosten zunehmend zum Massenverlust des grönländischen Eisschilds beiträgt, ist neu und überraschend“, sagt Studienleiter Shfaqat Abbas Khan von der Technischen Universität Dänemark in Lyngby.

Upernavik Gletscher in Nordost-Grönland © Shfaqat Abbas Khan

Eisschild verliert letzten Anker

Nach Angaben der Forscher begann das Tauen im Nordosten, als eine Reihe besonders warmer Sommer in den Jahren 2002 bis 2004 das Meereis der dortigen Küsten dezimierte und so die schützende Barriere wegfiel. Ein Einstrom wärmeren Wassers kombiniert mit den höheren Lufttemperaturen löste quasi die Bremse der Gletscherzungen und ließ sie schneller ins Meer fließen. Das warme Meerwasser verstärkte dann das submarine Abschmelzen und trug weiter zur Instabilität der Gletscher bei, wie Khan und seine Kollegen erklären.

Und noch einen bedenklichen Effekt zeigten die Messungen: Das Eis taut nicht nur in Küstennähe stärker auf, auch weit im Landesinneren hat sich der Abfluss des nordöstlichen Eisstroms beschleunigt. „Wegen der gewaltigen Größe des Eisstroms hat dies das Potenzial, die gesamte Massenbalance des grönländischen Eisschilds in naher Zukunft signifikant zu ändern“, warnt Khan.

Verschärfend kommt hinzu: Klimaprognosen sagen ausgerechnet für den Nordosten Grönlands in den kommenden Jahrzehnten die stärksten Erwärmungen voraus, wie die Forscher berichten. „Grönland könnte damit in Zukunft noch stärker zum Meeresspiegel-Anstieg beitragen als bisher angenommen“, sagt Bevis. Bereits jetzt gilt das grönländische Eisschild als einer der größten Beiträge für die steigenden Pegel. In den letzten 20 Jahren gingen 0,5 Millimeter der insgesamt 3,2 Millimeter Anstieg pro Jahr auf das tauende Eis der Rieseninsel zurück. Nachdem der Klimawandel nun auch an der letzten noch stabilen Ecke nagt, wird das bald wohl mehr werden. (Nature Climate Change, 2014; doi: 10.1038/nclimate2161)

(Nature Group, 17.03.2014 – NPO)

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