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Geowissen

Gewaltiger Erdrutsch im Atlantik vor 2.000 Jahren

Löste die bisher unbekannte Hangrutschung vor Westafrika einen Tsunami zu Kaiser Augustus' Zeiten aus?

Verteilung großer Hangrutschungen am NW-Afrikanischen Kontinentalhang (gelb) und auf den Flanken der Kanarischen Inseln (rot). In dem als Kasten markierten Gebieten entdeckten die Geowissenschaftler Spuren einer bisher unbekannten Hangrutschung mit gewaltigen Ausmaßen. © Sebastian Krastel

Während einer Expedition südlich der Kanarischen Inseln wollten Kieler Meeresforscher eigentlich untersuchen, wieso dort vor 50.000-60.000 Jahren Teile des Kontinentalhangs abglitten. Dabei entdeckten sie jedoch zu ihrer Überraschung Spuren einer gewaltigen, bisher völlig unbekannten Rutschung, die vielleicht sogar einen Tsunami ausgelöst haben könnte. Sie ist wahrscheinlich nur 2.000 Jahre alt und könnte einige Theorien zur Entstehung solcher großen unterseeischen Phänomene widerlegen.

So große Lawinen sind für Landbewohner eigentlich kaum vorstellbar: Als vor der Küste Nordwestafrikas Teile des Kontinentalhangs abbrachen und in die Tiefe stürzten, bewegten sich die Schuttmassen 900 Kilometer weit von der Abrisskante weg in den Ozean. Am Ende bedeckten sie eine Fläche von 150.000 Quadratkilometern am Meeresboden.

„Das ist, als ob in den Alpen Lawinen abgehen und bis Kiel rutschen“, erklärt Professor Sebastian Krastel vom Kieler Forschungsprojekt „Ozean der Zukunft“. Unter seiner Leitung untersuchten Geowissenschaftler des Clusters, des Kieler Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR), des britischen National Oceanography Centre in Southampton sowie der Universität Dublin im Frühjahr den so genannten „Sahara-Rutschungskomplex“ etwa 450 Kilometer südlich der Kanarischen Inseln.

Mit Hilfe akustischer Methoden konnten die Kieler Meeresforscher Teile des afrikanischen Kontinantalhangs exakt vermessen. Dabei entdeckten sie die Abbruchkanten einer bisher unbekannten, gewaltigen Hangrutschung. © Sebastian Krastel

Sahara-Rutschungskomplex im Visier

Zweieinhalb Wochen waren die Wissenschaftler mit dem Kieler Forschungsschiff „POSEIDON“ dort unterwegs. Mithilfe akustischer Messungen und mit Proben vom Meeresboden wollten sie die Mechanismen besser verstehen, die große Hangrutschungen am afrikanischen Kontinentalhang auslösen. Er gehört zu den passiven Kontinentalrändern, da dort keine Erdplatten aufeinander stoßen. Erdbeben sind relativ selten.

Bisher vermuteten Forscher, dass sich die größte Rutschung vor rund 50.000-60.000 Jahren abgespielt hat, als der Meeresspiegel des Atlantiks deutlich anstieg.

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Rutschungen auch in klimatisch stabilen Zeiten?

Jetzt fanden Krastel und sein Team aber Indizien dafür, dass sich eine weitere, gewaltige Rutschung ereignet haben muss – vor höchstens zwei- bis dreitausend Jahren und damit in einer klimatisch relativ stabilen Zeit. „Wenn sich das bestätigt, müssen wir vielleicht das Risiko von großen Hangrutschungen allgemein neu einschätzen“, sagt Krastel.

„Die Theorie lautete bisher, dass größere Rutschungen an einem derartigen Kontinentalhang immer mit deutlichen Klima- und Meeresspiegelschwankungen zusammenhängen“, erklärt Krastel. „Damals war die jüngste Eiszeit längst beendet, Klima und Meeresspiegel waren relativ stabil“, so der Forscher weiter.

Wissenschaftler präparieren einen frisch vom Meeresboden geborgenen Sedimentkern. In vielen dieser Kerne fanden die Forscher Spuren der jungen, bisher nicht bekannten Hangrutschung. © Inga Goldbeck

Datierung bringt endgültige Gewissheit

Für die letzte Gewissheit müssen zwar die gewonnenen Proben im Labor noch genau datiert werden, aber Krastel ist sich sicher, dass die Beobachtungen stimmen: „Wir wissen ziemlich genau, wie viel Sediment sich dort in welcher Zeit ablagert. Der Rutschungsschutt, den wir gefunden haben, war kaum von Sediment bedeckt. Er kann nicht älter als zwei- bis dreitausend Jahre sein.“

Die Entdeckung könnte Konsequenzen für Gefahrenabschätzung in allen nahen Küstenregionen haben. Hangrutschungen lösen im schlimmsten Fall verheerende Tsunamis aus. „Aber so weit muss man gar nicht gehen – auch unter Wasser richten sie genug Schaden an“, betont Krastel. Denn auf dem Meeresgrund stehen Bohrinseln, verlaufen Pipelines, liegen Telefon- und Datenkabel. Als 2008 im Mittelmeer ein Hang vor Sizilien abrutschte, blieben mehrere Staaten tagelang größtenteils vom Internet abgeschnitten, weil die Unterseekabel gekappt wurden.

Auf der Suche nach Tsunami-Spuren

Datenkabel gab es vor zweitausend Jahren zwar nicht, aber im Mittelmeerraum hatte die Epoche historischer Aufzeichnungen schon begonnen. Antike Autoren wie Herodot oder Plinius der Ältere erwähnen auch die Kanarischen Inseln. „Vielleicht findet sich ja irgendwo ein Hinweis auf eine zeitlich und örtlich passende Katastrophe“, hofft Krastel.

Auch mit geologischen Methoden könnte man auf den Kanaren nach weiteren Spuren der Rutschung suchen. „Hat sie einen Tsunami ausgelöst, wird er die Kanaren erreicht haben. Ein nächster Schritt ist also, auf den Inseln nach entsprechenden Ablagerungen zu suchen“, erklärt Krastel. „Je mehr wir über die Rutschungen und ihre Folgen wissen, desto eher verstehen wir den Mechanismus und können mehr über zukünftige Risiken sagen“, betont der Kieler Meeresgeologe.

(Leibniz-Institut für Meereswissenschaften, 26.03.2010 – DLO)

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