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Umwelt

Fukushima – vier Jahre danach

Lecks, Tanks und Geisterstädte - die Folgen der Katastrophe sind noch lange nicht im Griff

Blick auf Fukushima Daiichi, im Vordergrund eine aus Spundwänden errichtete Barriere im Meer. © TEPCO

Fukushima und kein Ende: Vier Jahre nach der Atomkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi halten die Probleme an der strahlenden Ruine weiter an. Trotz intensiver Arbeiten hat es die Betreiberfirma Tepco nicht geschafft, Undichtigkeiten, Lecks und die ständige Verseuchung des Grundwassers in den Griff zu bekommen. Und auch, wie es im Inneren der Reaktorblöcke 1 bis 3 genau aussieht, bleibt weiter unklar.

Als am 11. März 2011 ein schweres Erdbeben die Küste Japans erschütterte und anschließend ein Tsunami die Küsten im Nordosten des Landes überschwemmte, traf es auch das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. Das Kühlsystem fiel aus, drei der Reaktorblöcke überhitzten und eine Kernschmelze begann. Durch Wasserstoffexplosionen wurden radioaktive Gase und Stäube freigesetzt, die inzwischen selbst an Kanadas Pazifikküste angekommen sind. Menschliches Versagen verschärfte die Situation.

Seither kämpft der Kraftwerksbetreiber Tepco mit den Folgen der Katastrophe. Allein im letzten Jahr waren hier bis zu 11.000 Arbeiter monatlich damit beschäftigt, aufzuräumen und zu dekontaminieren. Auch wenn das Atomunglück bereits vier Jahre her ist, sind viele der Probleme und Folgen noch lange nicht im Griff. Fakt ist: Noch immer setzt die Ruine des Kraftwerks Radioaktivität frei – sowohl in Grundwasser und Böden, als auch in die Luft.

Strahlende Geisterstadt

„Sie sagen, ein Tag in der Evakuierungszone ist wie eine Röntgenuntersuchung beim Zahnarzt“, berichtet Yoh Kawano von der University of California in Los Angeles. Dennoch muss jeder Besucher Schutzanzug tragen, im Bus bleiben und wird wiederholt auf die Strahlenbelastung hin gescannt. Gemeinsam mit einem Kollegen war er vor drei Monaten in Fukushima, um den Stand der Arbeiten und den Zustand des umliegenden Gebiets zu dokumentieren.

Fahrt durch das Sperrgebiet von Fukushima – vier Jahre nach der Katastrophe© UCLA

Besonders unheimlich fanden die Forscher den Kontrast zwischen der hektischen Betriebsamkeit auf dem Gelände des Kernkraftwerks und der Leere in der evakuierten Stadt Namie, in der einst 21.0000 Menschen lebten. Ironie des Schicksals: Einige der evakuierten Menschen wurden von den Behörden in Gebiete geschickt, die sich später als noch stärker belastet herausstellten als ihr ursprünglicher Wohnort.

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Lecks und Zwischenfälle reißen nicht ab

Was in Fukushima Daiichi getan wird und noch getan werden muss, das haben unter anderem Forscher der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) in einem aktualisierten Bericht zusammengetragen. Er bestätigt, dass vor allem die anhaltende Verseuchung von Wasser und Boden noch immer anhält.

Undichte Stellen in den Reaktorgebäuden und Lecks an den Lagertanks sorgen dafür, dass immer wieder radioaktiv verseuchtes Wasser in die Umwelt gelangt – sowohl als schleichende Versickerung als auch in großen Schüben. So traten beispielsweise im April 2013 etwa 120 Kubikmeter kontaminiertes Wasser aus einem unterirdischen Tank in das Erdreich aus, im August 2013 waren es 300 Kubikmeter und im Februar 2014 noch einmal 100 Kubikmeter. Dadurch gelangten jedes Mal Radioaktivität von einigen tausend bis zu mehreren hundert Millionen Becquerel in die Umwelt, wie die GRS berichtet.

Das Grundwasser im Bereich der Anlage von Fukushima Daiichi ist dadurch noch immer verseucht. Hier ermittelten Forscher in den letzten beiden Jahren Werte zwischen 600.000 und 3 Millionen Becquerel. Im Wasser sind vor allem die radioaktiven Nuklide Cäsium-134 und Cäsium-137 enthalten. Die Betreiberfirma Tepco versucht nach wie vor mit nur begrenztem Erfolg, eine weitere Freisetzung von kontaminiertem Wasser zu verhindern. So sollen Grundwasserschächte mit Pumpen dabei helfen, verseuchtes Grundwasser abzupumpen und zu reinigen.

Eiswall – die Zweite

Eine weitere Verseuchung des Grundwassers will Tepco zudem durch einen 1,4 Kilometer langen Eiswall verhindern. Dieser soll den Untergrund der Reaktorblöcke 1 bis 4 komplett vom umgebenden Grundwasser und Boden abtrennen. Dafür wurden bereits im letzten Jahr Kühlmittel-Leitungen in den Boden eingelassen, durch die dann minus 30 Grad kaltes Kühlmittel fließen soll.

Diese Einfriertechnik wird in kleinerem Maßstab auch schon beim Bau von U-Bahnen eingesetzt, um Grundwasser aus der Baugrube fernzuhalten – in einem so großen Maßstab wie in Fukushima wurde es jedoch noch nie versucht. Tatsächlich schlug ein erster Versuch, damit den Untergrund komplett durchzufrieren im Sommer 2014 bereits fehl. Inzwischen hat Tepco jedoch zusätzliche Kühlrohre verlegt und will nun im April 2015 mit dem Einfrieren beginnen. Bis zum September 2015 soll der Eiswall dann komplett sein.

Ein Tank für die Lagerung von kontaminiertem Wasser wird auf dem Gelände von Fukushima Daiichi installiert. © UCLA / CC-by-sa 2.0

Das Problem der Tanks

Doch auch das erfolgreich aufgefangene kontaminierte Wasser stellt die Betreiber vor ein Problem. Denn durch Lecks fließt das Kühlwasser in die Reaktorkerne und wird verseucht und sickert von dort aus in die Keller der Reaktorgebäude. Von dort muss es abgepumpt werden. Hinzu kommt, dass auch Grundwasser in die Keller der Gebäude eindringt und sich mit dem verseuchten Kühlwasser vermischt.

Tepco schätzt die Menge des täglich anfallenden kontaminierten Wassers auf 700 Kubikmeter – das entspricht fast einem halben Schwimmbecken voll. Zurzeit wird ein Großteil dieses Wassers in Tanks auf dem Kraftwerksgelände gepumpt, zwischengelagert und dann nach und nach in speziellen Anlagen dekontaminiert. Doch die Dekontamination kommt nicht nach: In solchen Tanks werden derzeit fast 600.000 Kubikmeter kontaminiertes Wasser gelagert, wie die GRS mitteilt.

Tepco arbeitet daher mit Hochdruck daran, weitere Anlagen zum Aufbereiten des Wassers zu bauen. Mit ihnen sollen sich über Cäsium hinaus auch Radionuklide wie Strontium aus dem Wasser filtern lassen. Für 2015 ist der Bau einer Pilotanlage geplant, mit der die Extraktion von radioaktivem Tritium erprobt werden soll.

„Reaktorkern komplett zerstört“

Fortschritte gibt es immerhin bei der Bergung der Brennelement aus Block 4 – dieser Reaktorteil war zum Zeitpunkt des Tsunami im März 2011 abgeschaltet, die Brennelemente befanden sich in einem Abklingbecken im Reaktorgebäude. Zwischen November 2013 und Dezember 2014 hat Tepco alle 1.533 Brennelemente aus diesem beschädigten Becken entfernt und sie in ein Standort-Zwischenlager gebracht, wie die GRS berichtet.

Die Bergung der Brennelemente stellte eine der wichtigsten Voraussetzungen für den geplanten Rückbau der Anlagen dar. Wann allerdings die Brennelemente der restlichen Blöcke geborgen werden sollen, steht noch nicht fest. Denn wie es im Inneren der Blöcke 1 bis 3 aussieht, ist noch immer nur in Teilen klar. Neue Analysen deuten darauf hin, dass der Reaktorkern von Block 1 komplett zerstört wurde, bei Block 2 und 3 gehen Forscher von einer teilweisen Zerstörung aus.

Gewissheit über den tatsächlichen Zustand der Reaktorkerne kann erst durch Fotos oder Proben vor Ort erlangt werden. Tepco setzt dafür vor allem Roboter ein. Aktuell wird der Einsatz eines sogenannten Schlangenroboters vorbereitet, mit dem der Sicherheitsbehälter von Block 1 erkundet werden soll. Zum anderen installiert die Betreiberfirma derzeit in Fukushima Anlagen für die sogenannte Myonen-Tomographie. Mit dieser Technik lässt sich eine Art Röntgenscan der Reaktoren und ihrer Kerne erstellen.

(GRS/ UCLA, 11.03.2015 – NPO)

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