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Geowissen

Extremes Tiefbeben gibt Geologen Rätsel auf

Beben unter dem Ochotskischen Meer bricht alle Rekorde - lässt sich aber schwer erklären

Lage des Epizentrums im Ochotskischen Meer, die Farben zeigen die Häufigkeit vergangener Beben. © USGS

Ein Erdbeben im Mai 2013 gibt Geologen Rätsel auf. Denn es setzte so viel Energie frei wie kein anderes Tiefbeben zuvor – und das, obwohl es eigentlich gar nicht vorkommen dürfte. Denn es entstand in mehr als 600 Kilometern Tiefe unter dem Ochotskischen Meer – in einem Bereich, in dem das Gestein eigentlich so plastisch wird, dass es kaum mehr bricht. Über das Beben, seine rätselhaften Merkmale und mögliche Ursachen berichten gleich zwei Forscherteams im Fachmagazin „Science“.

Tiefe Erdbeben gehören zu den großen Rätseln der Geologie. Denn sie entstehen in mehr als 400 Kilometern Tiefe in der Übergangszone von oberem und unterem Mantel. Dort aber sind Druck und Temperaturen so hoch, dass das Gestein nicht spröde und fest ist, sondern eher weich und zähflüssig. Das gilt auch für die in den Subduktionszonen in die Tiefe gedrückten Ränder der Erdplatten. Das aber bedeutet: Die typischen Mechanismen der Erdbeben-Entstehung können hier eigentlich nicht mehr funktionieren.

Denn flache Beben ereignen sich, wenn sich Gestein an einer Verwerfung, ineinander verhakt und so im Laufe der Zeit enorme Spannungen entstehen. Irgendwann gibt das Gestein dann nach: Es bricht und springt ruckartig in eine neue Position – die Erde bebt. Aber in größerer Tiefe kann das der gängigen Theorie nach eigentlich nicht geschehen, weil das weiche Gestein dort einfach nachgibt, statt zu brechen. „Es ist ein absolutes Rätsel, wie diese Erdbeben passieren“, erklärt Thorne Lay von der University of California in Santa Cruz. „Wie kann Gestein trotz des Drucks von 600 Kilometer überlagerndem Fels so schnell gegeneinander verrutschen?“

Verteilung der Erdbeben in dieser Region in der Tiefe - das Beben vom 24. Mai 2013 lag mit gut 6 km extrem tief. © USGS

Rekordbeben in „unmöglicher“ Tiefe

Genau das aber ist unter dem Ochotskischen Meer am 24. Mai 2013 passiert – auf extrem dramatische Weise, wie die Forscher um Lay und seinen Kollegen Lingling Ye bei ihrer Analyse herausfanden. Ein plötzlicher Bruch in sechs Kilometern Tiefe riss den Untergrund in der Kurilen-Kamtschatka-Subduktionszone auf 180 Kilometern Länge auf – so lang wie bei keinem anderen bisher bekannten Tiefbeben. Mit der enormen Geschwindigkeit von vier Kilometern pro Sekunde schnellten die Bruchkanten zur Seite und verschoben sich dabei um bis zu zehn Meter gegeneinander.

Entsprechend gewaltig war die freigesetzte Energie: Das Beben der Magnitude 8,3 setzte die Energie von umgerechnet 35 Megatonnen TNT frei, wie die Forscher berichten. „Das ist so viel wie bei keinem anderen jemals registrierten tiefen Erdbeben.“ Das seismische Moment sei um 30 Prozent stärker als beim nächstschwersten, einem im Jahr 1994 unter Bolivien aufgetretenen Erdstoß. An der Oberfläche löste dies wegen der großen Tiefe nur wenige Schäden aus, dafür registrierten mehr als tausend seismische Messstationen die durch die Wellen dieses Bebens ausgelösten Vibrationen.

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Sowohl die Geschwindigkeit des Versatzes als auch die freigesetzte Energie sorgen nun für Rätselraten unter den Forschern. Denn beides ist eigentlich viel zu hoch, um mit dem typischerweise eher langsamen Verrutschen anderer Tiefbeben erklärt zu werden. „Wir können nur sagen, dass es einem flachen Beben erstaunlich ähnlich sieht“, so Lay.

Rissbildung beim Phasenübergang?

Eine mögliche Lösung des Rätsels könnte aber eine in der gleichen Ausgabe der „Science“ erscheinende Studie eines französisch-US-amerikanischen Forscherteams liefern. Denn auch sie haben sich mit den tiefen Beben befasst – allerdings in einem Laborexperiment. Sie setzten Proben von Olivin – dem dominierenden Mineral des Erdmantels – dem Druck und der Hitze aus, wie sie in rund 400 bis 600 Kilometern Tiefe herrschen. Mit Hilfe von Röntgenstrahlen analysierten sie dabei die genaue Kristallstruktur des Minerals. Dabei zeigte sich, dass in einer bestimmten Phase tatsächlich schnelle Risse entstehen können.

Olivin-Kristall mit Nano-Brüchen, die im Experiment erzeugt wurden © Green Lab, UC Riverside

„Risse bilden sich am Beginn des Übergangs von Olivin zu Spinell“, erklärt Koautor Harry Green von der University of California in Riverside. Innerhalb eines sehr engen Temperaturbereichs lagern sich die Atome des Minerals Olivin in eine andere Form um, die des Spinells – und genau dieser Übergang scheint das Gestein für kurze Zeit brüchig zu machen. „Diese Risse breiten sich zudem dynamisch aus und erzeugen dabei intensive akustische Emissionen“, so Green. Anders gesagt: Es kracht.

Nach Ansicht der Forscher könnte diese Beobachtung eine Erklärung für die rätselhaften Tiefbeben liefern – möglicherweise. Doch was tatsächlich viele Kilometer tief unter der Erdoberfläche geschieht, entzieht sich nach wie vor unserer direkten Beobachtung. (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1242032 , doi: 10.1126/science.1240206)

(University of California – Santa Cruz/Riverside, 20.09.2013 – NPO)

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