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Naturkatastrophen

Erdbebensensoren als Sturzflut-Warner

Seismometer können Hochwasser wie im Ahrtal schon Stunden vor Ankunft erkennen

Ahrtal-FLutfolgen
Die Sturzflut im Ahrtal vom Juli 2021 hat enorme Schäden hinterlassen, hier in Sinzig. © Universität Göttingen/Michael Dietze

Bessere Frühwarnung: Seismische Messstationen könnten künftig rechtzeitig vor katastrophalen Sturzfluten wie im Ahrtal warnen. Denn Erdbebenmesser fangen die Erschütterungen des Hochwassers auf und liefern schon vor Ankunft der Flutwelle Daten zu ihrem Ausmaß und ihrer Geschwindigkeit, wie Auswertungen von Seismometerdaten aus dem Ahrtal vom Juli 2021 belegen. Schon drei Messstationen reichen, um Sturzfluten in solchen Tälern frühzeitig zu erkennen.

Als im Juli 2021 anhaltender Starkregen die Ahr und weitere kleinere Flüsse im Westen Deutschlands anschwellen ließ, hatte dies katastrophale Folgen: Sturzfluten rasten durch Ortschaften, zerstörten Brücken, Straßen und Häuser und kosteten allein im Ahrtal 134 Menschen das Leben. Mehr als 42.000 Menschen in 15 Orten waren dort von der Hochwasserkatastrophe betroffen. Die Flutkatastrophe war die Naturkatastrophe mit den meisten Todesopfern in Deutschland seit 1962.

Einer der Gründe für die große Zahl von Todesopfern war neben menschlichem Versagen auch ein technisches Problem: Viele Pegelmessstationen entlang der Ahr wurden schon im Anfangsstadium der Sturzflut zerstört, noch bevor das Hochwasser sein wahres Ausmaß erreichte. So fiel die Messstation in Altenahr bei einem Stand von fünf Metern aus, während das Wasser exponentiell weiter bis auf neun Meter und mehr stieg. „Dieser nichtlineare Anstieg gepaart mit dem Mangel an Information machte die Entscheidenden im Prinzip blind“, erklären Michael Dietze von der Universität Göttingen und seine Kollegen.

Seismometer bei Ahrweiler zeigte herannahende Sturzflut an

Doch es gibt eine Möglichkeit, solche „Blindflüge“ künftig zu vermeiden und die Frühwarnung für gefährdete Gebiete deutlich zu verbessern, wie die Forschenden berichten. Für ihre Studie hatten sie Daten einer seismischen Messtation in der Nähe der Stadt Ahrweiler ausgewertet, die diese eigentlich zur Erdbeben-Überwachung dienende Anlage am 14. Juli 2021 während der Ahrtal-Flut aufgezeichnet hatte.

Unter normalen Bedingungen erscheint das Geräusch der Ahr in den seismischen Daten der Station als konstantes Rauschen im Bereich von zwei Hertz. Doch am 14. Juli ändert sich dies deutlich: „Mit der vordringenden Flut stieg die seismische Intensität in allen Frequenzbändern um das 300-Fache“, berichten Dietze und sein Team. Anhand der anschwellenden Signale ließ sich zudem verfolgen, wie sich die Hochwasserwelle durch das steile, gewundene Ahrtal und die Orte Rech, Dernau, Walporzheim und Ahrweiler wälzte.

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Echtzeitdaten und Vorwarnung

„Wäre der Datenstrom dieser Station verfügbar gewesen und ausgewertet worden, wie unsere Forschung jetzt zeigt, hätten wir wichtige Echtzeitinformationen über das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Hochwassers gehabt“, sagt Dietze. So verrieten die seismischen Daten, dass sich die Hochwasserwelle mit gut einem Meter pro Sekunde vorwärtsbewegte. In Kombination mit physikalischen Modellen lieferten sie zudem Informationen über den steigenden Wasserstand und die Menge des von der Flut mitgerissenen Gerölls – Schotter, Autos, Heizöltanks.

Doch solche Erdbebensensoren können auch der Frühwarnung dienen: Schon die einzelne Messtation bei Ahrweiler zeigte die herannahende Sturzflut knapp 30 Minuten vor ihrer Ankunft an, wie die Forschenden ermittelten. Hätte es entlang der Ahr noch wenige weitere Stationen gegeben, hätte man diese Vorwarnzeit auf mehrere Stunden ausdehnen können. „Frühere Studien deuten darauf hin, dass eine Vorwarnzeit von sechs Stunden – was ungefähr der Flutausbreitung zwischen verschiedenen Messtationen im Ahrtal entspricht – das Risiko für gefährdete Flusstäler in Europa um 50 Prozent verringern kann“, so das Team.

Erdbebensensoren als günstiges Frühwarnsystem

Nach Ansicht des Forschungsteams könnte damit die günstigen und einfach zu installierenden Erdbebensensoren eine gute Möglichkeit sein, um die Frühwarnung gegen Sturzfluten deutlich zu verbessern. „Da zehn Prozent der Fläche Europas anfällig für Sturzfluten in Tälern sind, sollten wir anfangen, über solche neuen Frühwarn-Ansätze nachzudenken“, sagt Dietze. „Das derzeitige Netz von Flusspegelstationen reicht nicht aus, um auf künftige Ereignisse angemessen vorbereitet zu sein.“

Er und seine Kollegen arbeiten bereits an einem Plan, um weitere sturzflutgefährdete Gebiete zu identifizieren und sie mit kostengünstigen „Wachturm“-Seismometern auszustatten – eine Initiative, die nur den Bruchteil eines Prozents der durch künftige Überschwemmungen verursachten Schäden kosten würde. „Das katastrophale Hochwasser im Ahrtal in Deutschland im Juli 2021 hat Anwohnern, Politikern, Rettungsdiensten und Wissenschaftlern gezeigt, wie viel wir noch lernen müssen, um die derzeitigen Hochwasserwarnsysteme zu verbessern“, so Dietze abschließend. (Geophysical Research Letters, 2022; doi: 10.1029/2022GL100170)

Quelle: Georg-August-Universität Göttingen

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