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Geowissen

Der heutige Tag ist eine Sekunde länger

Eine Schaltsekunde soll die langsamer werdende Erdrotation ausgleichen

Heute Nacht werden alle Uhren eine Sekunde lang angehalten oder springen auf 23:59:60 © NASA

Mitternacht kommt heute später: Der 30. Juni 2015 ist eine Sekunde länger als normal, denn kurz vor Mitternacht wird eine Schaltsekunde eingefügt. Nötig wird dies, weil sich die Erdrotation leicht verlangsamt hat und sie zudem schwankt. Damit die Erde den Atomuhren der offiziellen Weltzeit nicht zu stark hinterherhinkt, müssen die Weltzeituhren heute Nacht eine Extrasekunde lang warten. Zuletzt gab es eine solche Schaltsekunde vor drei Jahren.

Unser 24-Stunden-Tag leitet sich aus der Erdrotation ab – eine Umdrehung entspricht einem Tag. Doch diese Rotation bleibt nicht immer gleich: Sie wird allmählich langsamer, zudem eiert die Erde dabei ein wenig. Ursache für diese Verlangsamung sind Gezeitenkräfte zwischen Erde, Mond und Sonne. Dadurch benötigt die Erde gut eine tausendstel Sekunde länger für eine Umdrehung als es unserer offiziellen Tageslänge von 86.400 Sekunden entspricht. Als Folge bleibt die „Uhr der Erde“ immer weiter hinter den hochgenauen Atomuhren zurück.

Im normalen Alltag merken wir dies nicht – zumindest anfangs. Würde man aber die Zeit nicht immer wieder anpassen, würde in rund 1.500 Jahren die Sonne nicht mehr morgens, sondern erst mittags aufgehen. In der Astronomie dagegen kann sich schon eine Sekunde Abweichung auswirken. Denn bei der Ausrichtung eines Teleskops müssen Weltzeit und Atomzeit übereinstimmen oder der Unterschied zwischen beiden Zeitskalen exakt bekannt sein.

Mitternacht kommt heute später

Um die Zeitverschiebung in Grenzen halten, wird in bestimmten Abständen eine Schaltsekunde eingefügt. Dies geschieht immer dann, wenn sich die Differenz zwischen Atomzeit und Weltzeit zu einer Sekunde aufsummiert hat – und das ist in diesem Jahr wieder der Fall. Der International Earth Rotation and Reference Systems Service“ (IERS) hat für heute, den 30. Juni 2015, offiziell eine solche Schaltsekunde angeordnet – die 26. seit 1972.

Eingefügt wird diese zusätzliche Sekunde nach 23:59:59 koordinierter Weltzeit, das entspricht 01:59:59 mitteleuropäischer Sommerzeit. Alle Uhren für die offizielle Zeitmessung werden dann eine Sekunde lang angehalten. In manchen Systemen springt die Weltzeit auch von 23:59:59 auf 23:59:60, und dann erst auf 00:00:00. Funkuhren erhalten das Signal für diese zusätzliche Sekunde heute Nacht von selbst – sie bleiben automatisch eine Sekunde stehen.

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Unberechenbare Erde

Weil die Erde nicht gleichmäßig langsamer wird, schwankt auch der Zeitraum, nach dem eine erneute Schaltsekunde nötig wird. Zwischen 1999 und 2006 vergingen beispielsweise sieben Jahre, bevor eine Schaltsekunde nötig wurde. Die nächste war schon 3,5 Jahre später fällig und jetzt nach weiteren drei Jahren. Einer der Gründe: Auch geologische Ereignisse wie große Vulkanausbrüche oder starke Erdbeben können die Erdrotation verkürzen oder verlängern.

„Schaltsekunden sind nicht so vorhersehbar, wie viele es gerne hätten“, erklärt Chopo Ma vom Goddard Space Flight Center der NASA. „Die Modelle sagen zwar voraus, dass wir langfristig mehr und mehr Schaltsekunden brauchen werden, aber wir können nicht sagen: Jetzt benötigen wir in jedem Jahr eine.“

Die Rotation und genaue Position der Erde wird mit Hilfe eines Netzwerks von Radioteelskopen ermittelt.© NASA/GSFC

Mit Radioteleskopen oder Ringlaser

Ermitteln kann man die tatsächliche Tageslänge nur durch ständige Beobachtung. Dafür peilt bisher ein Netz von Radioteleskopen ferne Radioquellen im Weltraum an. Weil diese Quasare Millionen von Lichtjahren entfernt sind, lassen sie sich als Referenzpunkte im All nutzen. Werden zwei weit voneinander entfernte Teleskope auf den gleichen Quasar gerichtet, fangen sie das Signal nicht exakt gleichzeitig auf, denn durch die Erdkrümmung sind sie nicht genau gleich weit vom Quasar entfernt. Vergleicht man diese winzigen Unterschiede, kann an daraus ermitteln, wie schnell sich die Erde dreht und wie sie im Raum orientiert ist.

Man kann die winzigen Schwankungen der Erdrotation aber auch über ein Lasersystem messen, wie Forscher im Jahr 2010 demonstrierten – und dies sogar genauer als mit den Radioteleskopen. Sechs Meter tief im Untergrund konstruierten sie dafür einen sogenannten Ringlaser – ein System, bei dem die winzigen Schwankungen der Erddrehung ringförmig laufende Laserstrahlen beeinflussen.

Sind Probleme zu erwarten?

Es ist früher durchaus schon vorgekommen, dass die Einfügung der Schaltsekunde in Betriebssystemen von Computern und bei der Erzeugung von eindeutigen Zeitstempeln Probleme bereitet hat. Auch bei Energieversorgern sowie Telekommunikationsunternehmen, die auf sekundengenaue Abrechnung angewiesen sind, kann die Schaltsekunde Probleme verursachen. In der Regel werden diese Systeme jedoch rechtzeitig auf die Umstellung vorbereitet.

Wolle man die Wahrscheinlichkeit für solche Fehler verringern, müsse die Schaltsekunde eigentlich abgeschafft werden – das zumindest fordern Kritiker. Seit Jahren wird nun schon das Für und Wider von Schaltsekunden diskutiert. Eine Entscheidung wird vermutlich im November 2015 auf der World Radiocommunication Conference (WRC-15) der Internationalen Telekommuniationsunion fallen. Für 2015 verbleibt uns jedenfalls eine zusätzliche Sekunde. Falls Sie also noch etwas Wichtiges zu erledigen haben: Die Zeit ist auf Ihrer Seite.

(NASA/ Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), 30.06.2015 – NPO)

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