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Klima

Debatte: Können Bäume das Klima retten?

Forscher kritisieren Studie zum Potenzial von Aufforstungen gegen den Klimawandel

Wald
Was bringt Aufforstung für den Klimaschutz? © Xurzon/ iStock.com

In der Kritik: Eine Studie zum Potenzial von Aufforstungen gegen den Klimawandel löst derzeit heftige Diskussionen aus. In der Untersuchung hatten Forscher erklärt, mit neu gepflanzten Bäumen könne ein erheblicher Anteil der menschengemachten CO2-Emissionen gespeichert werden. Andere Wissenschaftler halten die Ergebnisse jedoch für deutlich übertrieben. Sie werfen ihren Kollegen undifferenzierte Berechnungen und unrealistische Annahmen vor.

Anfang Juli sorgte eine Studie von Züricher Forschern für Schlagzeilen: Das Team um Jean-Francois Bastin von der Eidgenössisch-Technischen Hochschule (ETH) hatte ausgerechnet, dass weltweit 900 Millionen Hektar Landfläche zu neuen Wäldern aufgeforstet werden könnten – ohne dass Äcker oder Siedlungen weichen müssten. Auf diese Weise könnten zusätzliche 205 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in der Vegetation gespeichert werden. Dies entspräche einem erheblichen Anteil des vom Menschen seit der industriellen Revolution ausgestoßenen CO2.

Die Aufforstung, so die Botschaft von Bastin und seinen Kollegen, sei daher eine der besten Lösungen für den Klimaschutz. Doch taugen neue Bäume wirklich als Klimaretter? Bereits kurz nach der Veröffentlichung wurde Kritik an den von den Wissenschaftlern berechneten Zahlen laut. Im Fachmagazin „Science“ kommen nun gleich mehrere Forscher zu Wort, die erklären, warum sie die Aufforstungsstudie für problematisch halten.

Fünffach überschätzt

Eike Lüdeling von der Universität Bonn und seine Kollegen kritisieren unter anderem das von den Wissenschaftlern genutzte Modell. Dies sei viel zu undifferenziert und überschätze das Potenzial der Aufforstung erheblich. Eine Gruppe um Joseph Veldman von der Texas A&M University in College Station gibt sogar eine konkrete Zahl an: Bastins Team habe das Potenzial von Baumpflanzungen zur Eindämmung des Klimawandels um das Fünffache überbewertet.

Als Gründe dafür nennen die Forscher unter anderem, dass in der Studie die Bedeutung von Ökosystemen wie Savannen und Torfmooren als Kohlenstoffspeicher unterschlagen wird und Flächen für die Wiederaufforstung vorgesehen werden, die sich ihrer Ansicht nach gar nicht dafür eignen. So funktioniere die Aufforstung etwa auf erodierten oder anderweitig degradierten Böden schlecht. Zudem könne das Pflanzen von Bäumen an falschen Orten Ökosysteme zerstören, die Intensität von Waldbränden erhöhen und die globale Erwärmung sogar verschärfen.

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Für die Aufforstung ungeeignet?

Zum Beispiel Wiesen und Savannen: „Uralte Wiesen und Savannen enthalten eine immense Artenvielfalt und erbringen Dienstleistungen für die Menschheit wie Viehfutter und Grundwasserneubildung. Wir befürchten, dass ein kurzsichtiger Fokus auf das Pflanzen von Bäumen die Anpassungsfähigkeit der Menschen an den Klimawandel verringert und gleichzeitig von den Bemühungen zur Erhaltung intakter Ökosysteme und zur Reduzierung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe ablenkt“, erklärt Veldman.

Auch von Menschen bewohnten Gebieten wird der Kritik zufolge teilweise zu Unrecht Aufforstungspotenzial zugeschrieben. So schließt das Modell zwar urbane Zentren aus seinen Berechnungen aus. „Es erkennt aber viele Städte und Dörfer in ländlichen Gegenden nicht“, schreiben Lüdeling und seine Kollegen. „In den Gebieten, die die Studie für eine Wiederbewaldung vorschlägt, leben rund 2,5 Milliarden Menschen. Es ist sehr fraglich, ob diese Regionen wirklich geeignet sind“, kommentiert Lüdeling.

„Nur ein Baustein“

Insgesamt bestreiten die Kritiker von Bastin und seinen Kollegen zwar nicht, dass die Aufforstung einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Dieser ist ihnen zufolge jedoch deutlich kleiner als in der Studie verkündet – und wirkt zudem erst verzögert. Denn es dauert mehrere Jahrzehnte, bis ein Wald herangewachsen ist. Schnelle Brems-Effekte für die globale Erwärmung seien daher nicht zu erwarten, wie Lüdeling betont. „Die Wiederaufforstung kauft uns Zeit, die wir bitter benötigen. Sie kann aber nur ein Baustein in einer umfassenden Handlungsstrategie zur Vermeidung des Klimawandels sein“, so sein Fazit.

„Wir wollten nie suggerieren, dass die Wiederaufforstung die einzige Lösung gegen den Klimawandel darstellt“, entgegnet Bastins Team, das sich inzwischen differenziert zu den Vorwürfen geäußert hat. Die missverständliche Passage sei daher nun umformuliert worden. „Der wahre Wert unserer Analyse liegt darin, dass wir zeigen, dass das Pflanzen von Bäumen in diesem Zusammenhang effektiver sein könnte als lange Zeit gedacht.“

„Wir zeigen auf, was möglich wäre“

Die Züricher Forscher geben selbst zu, dass ihre Interpretation in einigen Punkten Unsicherheiten aufweist – dies sei in ihrer Publikation jedoch ausführlich besprochen worden. „Wir stimmen zudem mit Veldman et al. überein, dass natürliche Wiesen und Savannen nicht durch Wald ersetzt werden sollten. Unser Modell widerspricht dieser Aussage keineswegs“, schreiben die Wissenschaftler.

„Tatsächlich berechnet unser Modell aus einer rein biophysikalischen Perspektive, wo Bäume existieren könnten. Mit unserem wissenschaftlichen Beitrag beurteilen wir nicht, was in den unterschiedlichen Regionen rund um den Globus getan werden sollte. Stattdessen zeigen wir lediglich auf, was möglich wäre“, erklären Bastin und seine Kollegen.

Die Autoren bleiben dabei

Insgesamt bleiben die Wissenschaftler auch nach der Kritik bei ihrer Einschätzung zum Potenzial der Aufforstung. Ihrer Ansicht nach unterschlägt ihr Modell sogar noch einige Möglichkeiten, weil es das Aufforstungspotenzial von Städten allgemein mit null bewertet. „Tatsächlich aber bieten auch Städte großartige Möglichkeiten, den aktuellen Baumbestand zu vergrößern und eine wichtige Rolle bei der Eindämmung des Klimawandels zu spielen“, konstatieren sie.

Klar sei jedoch auch, dass in Zukunft mehr Forschung zu dem Thema nötig und wünschenswert ist: „Wir erkennen an, dass die meisten von unseren Kollegen angesprochenen Punkte relevant sind. Die unterschiedlichen Herangehensweisen und Einschätzungen illustrieren eine bleibende Unsicherheit und zeigen auf, dass ein Bedarf an weiteren quantitativen und datengetriebenen Ansätzen besteht“, so ihr Fazit. (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aay7988; doi: 10.1126/science.aay7976; doi: 10.1126/science.aay8108)

Quelle: Leuphana Universität Lüneburg/ Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn/ AAAS

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