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Corona: Erde war so still wie nie

Lockdowns brachten längste und stärkste je gemessene Absenkung seismischer Erschütterungen

Anthropogene Erschütterungen
Normalerweise erzeugen die menschlichen Aktivitäten ständig seismische Erschütterungen, wie hier an den Säulen der Messstationen erkennbar. © Lecocq et al.

Globale Ruhe: In den Monaten des Corona-Lockdowns war die Erde so still wie nie zuvor in der Geschichte. Das seismische Störrauschen durch menschengemachte Erschütterungen sank bis auf 50 Prozent der normalen Stärke – selbst in entlegenen oder tief unter der Erde liegenden Messstationen. Diese Ruheperiode ist die längste und ausgeprägteste, die je gemessen wurde, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.

Seismometer zeichnen nicht nur Erdbeben auf: Auch menschlichen Aktivitäten wie der Straßenverkehr, Züge, Bohrungen und selbst ein Fußballspiel erzeugen in den sensiblen Detektoren ein ständiges seismisches Grundrauschen. Doch mit Beginn der Corona-Pandemie ist das öffentliche und wirtschaftliche Leben in vielen Ländern weitgehend zu Erliegen gekommen. Erste Hinweise darauf, dass dadurch auch die anthropogenen Erschütterungen nachlassen, gaben einige Seismologen schon Ende März.

Monatelang um bis zu 50 Prozent ruhiger

Doch in welchem Ausmaß die Erde durch die Lockdowns stiller geworden ist, enthüllt nun eine globale Studie. Dafür haben Thomas Lecocq vom Königlich Belgischen Observatorium in Brüssel und sein internationales Team Messwerte von 268 seismischen Stationen in 17 Ländern ausgewertet. Das Netz dieser Daten deckte sowohl Großstädte wie entlegene Regionen ab und umfasste sogar hunderte Meter unter der Erde liegende Tiefenobservatorien.

Das Ergebnis: „Wir haben eine nahezu globale Reduktion des seismischen Rauschens festgestellt“, berichten die Forscher. Teilweise sanken die menschengemachten Erschütterungen um 50 Prozent ihres Normalwerts ab. Ein solches Ausmaß an seismischer Stille ist vielerorts nicht einmal an Weihnachten oder zu Neujahr messbar. In diesem Jahr hielt diese Stille aber über Wochen und Monate hinweg an.

„Die seismische Stille-Periode des Jahres 2020 ist die längste und ausgeprägteste Verringerung des globalen anthropogenen Störrauschens, die jemals gemessen wurde“, konstatieren Lecocq und seine Kollegen.

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Lockdown-Effekt selbst tief in der Erde messbar

Am deutlichsten war die plötzliche Lockdown-Stille bei Messstationen in dicht besiedelten Ballungsräumen wie den Megacities Asiens oder in New York City. Aber auch in entlegenen ländlichen Gebieten in Namibia sanken die menschengemachten Vibrationen noch um mehr als 25 Prozent, wie die Forscher berichten.

Selbst tief in der Erdkruste machte sich der Lockdown-Effekt bemerkbar: Das seismische Observatorium im Schwarzwald hat Seismometer, die 150 bis 170 Meter tief in das kristalline Grungestein eingelassen sind. „Sogar dort fanden wir eine leichte Verringerung des hochfrequenten anthropogenen Rauschens wie am ersten Weihnachtstag“, berichten die Forscher. Eine in 380 Meter Tiefe liegende Messstation in Neuseeland registrierte eine Abnahme des Rauschens um den Faktor zwei.

„Diese Daten verdeutlichen auf einzigartige Weise, wie sehr sich die menschlichen Aktivitäten auf die feste Erde auswirken“, sagt Koautor Stephen Hicks vom Imperial College London.

 

Seismische Stille folgte der Pandemie-Welle

Die außergewöhnliche Ruhe zeichnete den Verlauf der Corona-Pandemie auch geografisch nach: „Die Reduktion des Rauschens begann Ende Januar 2020 in China, dann folgten im März und April erst Europa und dann der Rest der Welt“, berichten die Wissenschaftler. An einigen Orten, darunter auch in Peking, haben sich die anthropogenen Erschütterungen bis heute nicht völlig normalisiert.

Die Daten enthüllen auch, wo der Lockdown besonders starke Einschnitte mit sich brachte -beispielsweise im Tourismus. So sank das Störrauschen auf der beliebten Ferieninsel Barbados ab Mitte März um 50 Prozent unter das für diese Zeit typische Niveau, weil der Flugverkehr nahezu zum erliegen kam. Auch in europäischen Skiorten wie auf der Zugspitze beobachteten die Forscher Rückgänge durch den gestoppten Tourismus.

Schwache Beben werden wieder „hörbar“

Die coronabedingte Stille-Periode verdeutlicht zudem, wie allgegenwärtig die menschengemachten Erschütterungen sonst sind – und dass die Vibrationen von Verkehr und Co weiter reichen als zuvor angenommen. „Man hielt das anthropogene Störrauschen für von Quellen in weniger als einem Kilometer Entfernung dominiert“, so die Forscher. Doch die Messungen während der Corona-Pandemie belegen nun, dass die menschengemachten Erschütterungen eine größere Reichweite haben.

Gleichzeitig ermöglichte es die seismische Ruhe den Seismologen erstmals, die Signale selbst schwacher Erdbeben ohne Filterung aus ihren Daten herauszulesen. „Das niedrige Rauschniveau während der Corona-Lockdowns macht es möglich, Signale von neuen Quellen zu detektieren – auch dort wo die seismischen Kataloge sonst unvollständig sind“, sagen Lecocq und seine Kollegen. Die Lockdown-Effekt erweitert damit das Wissen sowohl über natürliche wie anthropogene Quellen seismischer Signale. (Science, 2020; doi: 10.1126/science.abd2438)

Quelle: Imperial College London

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