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Geowissen

CO2-Ausstoß verfälscht Radiokarbon-Datierung

Anthopogene Emissionen senken C14-Werte der Atmosphäre und machen sie damit "alt"

Moderne Nachbildungen oder echte antike Relikte? Das könnte in wenigen Jahrzehnten nicht mehr so leicht zu bestimmen sein. © Hiltibold/ CC-by-sa 3.0

Moderne Fälschung oder antikes Original? Diese Frage wird sich künftig nicht mehr so leicht beantworten lassen, warnt eine Forscherin. Denn die bisher wichtigste Datierungsmethode, die Radiokarbon-Messung, wird durch anthropogene CO2-Emissionen immer stärker behindert. Bereits 2050 könnte es dadurch unmöglich sein, zwischen einem neuen T-Shirt und einer tausend Jahre alten Robe zu unterscheiden – denn beide hätten scheinbar das gleiche Radiokarbonalter.

Die Radiokarbon-Datierung ist eine der wichtigsten Methoden zur Altersbestimmung in der Archäologie und in vielen anderen Forschungsbereichen – von der Kriminologie bis zur Kunstgeschichte. Sie beruht darauf, dass der Anteil des Isotops C14 in organischen Materialien nicht konstant bleibt. Einmal aus der Atmosphäre aufgenommen, zerfällt das Isotop mit einer Halbwertszeit von 5.730 Jahren. Dadurch verringert sich mit steigendem Alter der C14-Anteil – und dies ermöglicht die Datierung.

Fossile Brennstoffe „altern“ die Atmosphäre

Doch das Ganze hat einen Haken: Auch der Anteil des C14, den ein Organismus zu seiner Lebenszeit aus der Luft aufnimmt, ist nicht immer gleich. Denn durch die Atomtests der 1950er und 1960er Jahre hat der Mensch die atmosphärischen C14-Gehalte vorübergehend sogar verdoppelt, wie Heather Graven vom Imperial College London berichtet. Dieser Peak muss bei Eichung der Datierung immer mit berücksichtigt werden.

Inzwischen aber macht sich ein weiterer menschengemachter Einfluss bemerkbar: die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohlen oder Erdöl. „Diese Brennstoffe sind Millionen Jahre alt und dadurch quasi frei von C14“, erklärt die Forscherin. Das führt dazu, dass die anthropogenen CO2-Emissionen die C14-Anteile der Atmosphäre immer stärker verringern – der menschliche Einfluss lässt die Atmosphäre sozusagen künstlich altern.

Künstliche "Alterung" der Atmosphäre durch Abnahme des C14-Anteils © Graven / PNAS

T-Shirt oder historische Königsrobe?

Dieser Effekt könnte künftige Radiokarbon-Datierungen beträchtlich verfälschen und einige sogar ganz unmöglich machen, wie Graven nun mit Hilfe von Klima- und Atmosphärenmodellen demonstriert. „Angesichts der heutige Emissions-Trends, wird die Alterung der Atmosphäre weitaus schneller und in einem größeren Maße eintreten als bisher angenommen“, so die Forscherin.

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Ihren Angaben nach „altert“ die Atmosphäre schon heute mit einer Rate von 30 Radiokarbon-Jahren pro Jahr. In wenigen Jahrzehnten jedoch könnte die Luft nach Radiokarbon-Maßstäben so alt erscheinen, dass selbst frisch gestorbene Kadaver die gleichen C14-Werte aufweisen wie bisher nur tausende Jahre alte Mumien. Weil Pflanzen diese Kohlenstoffanteile in ihre Gewebe einbauen, würde ein 2050 produziertes Baumwoll-T-Shirt bei der C14-Datierung die gleichen Alterswerte ergeben wie eine Robe von Wilhelm dem Eroberer aus dem Jahr 1066.

Fälschungen antiker Relikte nicht mehr nachweisbar

Geht der CO2-Ausstoß unvermindert weiter, könnte die Atmosphäre im Jahr 2100 so „gealtert“ sein, dass auch Relikte aus der Antike nicht mehr verlässlich datiert werden können. Zumindest per Radiokarbon-Datierung lassen sie sich dann nicht mehr von modernen Fälschungen unterscheiden.

„Für archäologische Relikte und andere Objekte, die ohne ausreichend Kontext gefunden werden, würde die Radiokarbon-Datierung immer uneindeutige Resultate ergeben“, so Graven. Datierungen von organischen Objekten aus der Römerzeit, dem Mittelalter oder der Renaissance wären dann mit dieser Methode nicht mehr möglich.

Folgen selbst bei gebremsten Emissionen

„Wenn wir den CO2-Emissionen reduzieren, wäre dies nicht nur für das Klima, sondern auch für die Radiokarbon-Datierung eine gute Nachricht“, sagt Graven. Allerdings: Selbst ein gebremster CO2-Ausstoß wird zukünftig Folgen haben, wie sie in ihrer Studie nachweist. Denn Emissionswerte, wie sie die IPCC-Szenarien für 2,5 und 4,5 Grad Erwärmung bis 2100 vorhersagen, könnten die in Biologie und Physiologie genutzten Radiokarbon-Messungen behindern.

Diese nutzen gezielt den langsam abfallenden „Atombomben“-Peak der C14-Werte seit den 1960er Jahren, um beispielsweise illegal gehandeltes Elfenbein zu datieren, den biologischen Abbau kohlenstoffhaltiger Substanzen im Boden zu bestimmen oder sogar die Geburt neuer Nervenzellen im Gehirn zu ermitteln. Doch die CO2-Emissionen verdünnen das „Bomben“-C14 in der Atmosphäre so schnell und stark, dass diese Messungen in 20 bis 30 Jahren schon nicht mehr funktionieren könnten. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2015; doi: 10.1073/pnas.1504467112)

(PNAS/ Imperial College London, 21.07.2015 – NPO)

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