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Archäologie

Çatalhöyük: Rätsel um farbige Skelette

Pigmente an in Häusern begrabenen Toten sprechen für ungewöhnliche Totenrituale

Skelett
Dieser rund 9.000 Jahre alte Tote aus der Steinzeitsiedlung Çatalhöyük zeigt eine Roten Streifen aus Zinnoberpigment am Schädel. © Marco Milella

Steinzeitliche Eigenheiten: Die Bewohner der jungsteinzeitlichen Siedlung Çatalhöyük praktizierten Bestattungsrituale, die in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich waren. So vergruben sie ihre Toten nicht nur im Boden ihrer Wohnräume, sondern holten die Knochen teilweise auch wieder heraus und tauschten sie aus. Pigmentspuren an Gebeinen und Wänden deuten zudem darauf hin, dass die Toten eingefärbt wurden – und dass bei ihrer Bestattung auch die Räume einen neuen Anstrich erhielten.

Die jungsteinzeitliche Stadt Çatalhöyük gilt als eine der ältesten Großsiedlungen der Menschheit. Schon vor rund 9.000 Jahren errichteten Menschen dort dicht an dicht liegende Lehmhäuser mit Steinbänken, Schlafplattformen und bemalten Wänden. Diese „Kunst am Bau“ zeigt häufig abstrakte Muster, aber auch Handabdrücke, Tierfiguren und vielleicht sogar eine Art „Stadtplan„. Dieser könnte die Siedlung und einen nahen Vulkan darstellen, wie einige Archäologen vermuten.

Çatalhöyük
Die Innenwände der Wohnräume in Çatalhöyük waren oft mit farbigen Mustern verziert. © Jason Quinlan/Çatalhöyük Research Project

Gebeine unterm Wohnzimmerboden

Ungewöhnlich auch: Viele Häuser von Çatalhöyük dienten nicht nur den Lebenden, sondern auch den Toten als Domizil. Denn Verstorbenen wurden oft im Boden der Wohnräume vergraben. „Erwachsene wurden dabei oft in gebeugter Haltung unter den nördlichen und östlichen Plattformen des zentralen Raums bestattet“, berichten Eline Schotsmans von der Universität Bordeaux und ihre Kollegen. Bei verstorbenen Kindern waren die Begräbnisorte variabler.

Frühere Ausgrabungen lieferten zudem Hinweise darauf, dass einige dieser Toten mehrfach umgebettet wurden: Ihre Schädel und Knochen wurden wieder ausgegraben, teilweise untereinander ausgetauscht und dann erneut bestattet. In manchen Fällen scheinen die Gebeine dabei zudem mit Pigmenten bemalt oder bestäubt worden zu sein. Was es mit dieser Färbung auf sich hat, wie oft sie vorkam und bei wem, haben nun Schotsmans und ihr Team näher untersucht.

Dafür werteten die Archäologen Daten zu insgesamt 816 in Çatalhöyük entdeckten Toten aus und untersuchten die Knochen auf Pigmentspuren. Außerdem ermittelten sie, in welchen Häusern die Gebeine gefunden worden waren und ob diese Auffälligkeiten aufwiesen.

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Farbe gab es nur für ausgewählte Tote

Die Untersuchungen ergaben: Die Menschen von Çatalhöyük behandelten ihre Verstorbenen nach dem Tod keineswegs alle gleich – und eine Bemalung mit Ocker, Zinnober und anderen Pigmenten war offenbar nur wenigen Toten vorbehalten. Von den 816 untersuchten Toten wiesen nur 37 klare Spuren von Pigmenten oder Bemalungen auf, wie die Archäologen berichten. Warum nur diese Verstorbene geschmückt wurden, andere aber nicht, ist noch unklar.

„Unsere Studie zeigt, dass diese Auswahl nicht mit dem Alter oder dem Geschlecht zusammenhängt“, sagt Seniorautor Marco Milella. Aus der Verteilung der Farbspuren schließen die Forschenden zudem, dass die Pigmente wahrscheinlich im Rahmen von Totenritualen auf die Haut oder die Umhüllung der Toten aufgetragen oder aufgestreut worden sind. Allerdings gab es auch Wiederbestattungen von Skeletten oder einzelner Knochen, bei denen die Gebeine offenbar gefärbt worden waren.

Zinnober für Männer, Blau und Grün für Frauen und Kinder

Interessant jedoch: Welche Farbe für die Toten verwendet wurde, schien dabei durchaus bestimmten Regeln zu folgen. „Die Applikation von Zinnober scheint hauptsächlich für männliche Tote reserviert gewesen zu sein“, berichten Schotsmans und ihre Kollegen. In vielen Fällen zeigten die Schädel dieser Verstorbenen einen gefärbten Streifen an Stirn und Schläfen. „Dies könnte auf die einstige Präsenz eines Stirnbands hindeuten“, schreiben die Archäologen.

Solche Stirnbänder waren und sind in vielen Kulturen ein Zeichen für einen hohen sozialen Status, wie sie erklären. Dazu könnte passen, dass auch das intensive und beständige Rot des Zinnobers in früheren Zeiten oft den Eliten vorbehalten war. Im Gegensatz dazu fanden sich grüne und blaue Pigmente nur bei weiblichen Toten und Kindern. „Diese Farben werden manchmal mit Konzepten von Wachstum, Fruchtbarkeit und Reife assoziiert“, erklären die Wissenschaftler.

Wandschmuck und Bestattung eng verknüpft

In einen Punkt könnten die Bestattungsrituale von Çatalhöyük aber einzigartig gewesen sein. Denn sie umfassten auch ein Neudekorieren der Wohnräume. Die Wohnhäuser, in denen Tote bestattet worden waren, zeigten fast immer auch farbige Wandbemalungen. Je mehr Gebeine in einem Raum gefunden wurden, desto mehr Farbschichten fanden sich dabei an den Wänden. Das deutet darauf hin, dass bei jedem Begräbnis auch der Raum neu bemalt wurde.

Nach Ansicht der Archäologen spricht dies dafür, dass die Totenrituale der Menschen in Çatalhöyük mehr als nur den Umgang mit den Verstorbenen und ihre Relikten umfassten – möglicherweise war die begleitende Färbung der Wände Teil einer frühen Erinnerungskultur. „Wir zeigen erstmals Zusammenhänge zwischen Bestattungsritualen, Wohnbereichen und der Verwendung von Farbstoffen in dieser faszinierenden Gesellschaft“, sagt Milella.

Visuelle Ausdrucksformen, rituelle Handlungen und symbolische Assoziationen waren in der jungsteinzeitlichen Kultur von Çatalhöyük offenbar Elemente einer gemeinsamen soziokulturellen Praktik. (Scientific Reports, 2022; doi: 10.1038/s41598-022-07284-3)

Quelle: Universität Bern

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