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Archäologie

Bronzezeit: Schädel-Loch fürs Ritual?

6.000 Jahre alte Schädel mit OP-Löchern sprechen für eine rituelle Trepanation

Bronzezeit-Schädel mit einer erst kurz vor dem Tod erfolgten Trepanation - auffällig ist die Position mitten auf dem Schädel. © Natalia Berezina /Deutsches Archäologisches Institut

Riskanter Eingriff: In Russland haben Forscher gleich 13 Bronzezeit-Tote entdeckt, die sich zu Lebzeiten einer chirurgischen Schädelöffnung unterzogen haben. Rätselhaft dabei: Keiner der Toten zeigt Spuren einer Krankheit oder Verletzung und bei allen sitzt das Loch an genau der gleichen, extrem gefährlichen Stelle des Schädels. Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass diese riskante Operation aus rituellen Gründen geschah.

Schon in der Steinzeit bekämpften unsere Vorfahren Krankheiten mit einfachen Mitteln wie Heilkräutern, führten aber manchmal sogar schon hochriskante Operationen durch. Davon zeugen unter anderem 10.000 Jahre alte Schädel mit Spuren der sogenannten Trepanation – einer chirurgischen Öffnung des Schädels. Wozu diese Schädellöcher dienten, ist allerdings größtenteils rätselhaft.

Das Problem: Oft ist es sehr schwierig und meistens sogar unmöglich, die Gründe für die Operation am Schädel zu erkennen. War der Beweggrund eine Verletzung, sind manchmal noch Bruchlinien am Schädel zu sehen. War dagegen eine Krankheit wie Epilepsie oder Migräne die Motivation oder handelt es sich um rituelle Gründe, sind am Knochen keine Hinweise auf den Operationsgrund sichtbar.

13 Tote mit Schädellöchern

Rätselhaft blieben daher zunächst auch 13 Schädel, die Julia Gresky vom Deutschen Archäologischen Institut (DAI) und ihre Kollegen in zwei bronzezeitlichen Friedhöfen in Süden Russlands gefunden haben. Es handelt sich dabei um die Köpfe von Männern, Frauen und Kindern zwischen zehn und 60 Jahren – und alle besaßen ein Loch genau in der Mitte der Schädeloberseite. Eine natürliche Ursache für diese seltsamen Schädellöcher schließen die Wissenschaftler daher aus.

Bei diesem Schädel zeigen die Verwachsungen des Lochs an, dass die Wunde gut heilte und der Patient nach der Operation noch lange lebte. © Julia Gresky / Deutsches Archäologisches Institut

Stattdessen spricht alles dafür, dass diese Menschen vor rund 6.000 Jahren eine Trepanation überstehen mussten. Die Operationen wurden mit zwei unterschiedlichen Techniken durchgeführt, wie Gresky und ihre Kollegen berichten: entweder durch Schaben mit einem scharfen Gegenstand oder durch Ausschneiden eines rundlichen Knochenstückes. Wie Verwachsungsspuren am Schädelknochen zeigen, müssen fast alle Operierten diesen riskanten Eingriff lange überlebt haben, wie die Forscher berichten.

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Gefährlichste Stelle des Schädels

Warum aber unterzogen sich diese Menschen einer so gefährlichen Operation? Auf der Suche nach Hinweisen konnten die Forscher keine Anzeichen für Brüche, Verletzungen oder Erkrankungen am Schädel finden. Auch bei einem weiteren Schädelfund mit einer unvollständigen Trepanation – er besaß nur eine Grube im Schädelknochen – war kein äußerlich erkennbarer Grund zu erkennen.

Auffällig jedoch: Die immer gleiche Lage der Löcher in der Mitte des Schädels, leicht oberhalb des Hinterhauptes. „Sie liegen an einer der riskantesten Stellen des Schädels, dem Obelion“, so die Wissenschaftler. Diese Stelle genau auf der Mittelnaht der beiden Schädelhälften liegt genau dort, wo wichtige Venen und manchmal auch eine Arterie aus dem Schädel austreten. Ein Eingriff hier ist daher extrem gefährlich.

Hinweise auf rituelle Gründe

Die Tatsache, dass die meisten der bronzezeitlichen Patienten diese Operation trotzdem überlebten, zeige, dass es sich um spezialisierte Operateure gehandelt haben muss, sagen die Forscher. Die absichtliche Wahl der riskantesten Stelle legt ihrer Ansicht nach den Schluss nahe: Die Trepanation bei diesen Bronzezeit-Menschen muss rituelle Gründe gehabt haben.

„Die spezifischen Positionen der Öffnungen sprechen eher für rituelle als für therapeutische Motive“, so Gresky und ihre Kollegen. Von einigen Kulturen ist bekannt, dass sie solche Öffnungen im Schädel als Auslass für Dämonen ansahen, andere betrachteten sie als Eingangspforten für göttliche Wesen, die auf diese Weise den Träger inspirieren sollten. Welches Motiv die 13 Bronzezeit-Toten zu Lebzeiten hatten, bleibt vorerst ungewiss. (American Journal of Physical Anthropology, 2016; doi: 10.1002/ajpa.22996)

(Deutsches Archäologisches Institut, 17.06.2016 – NPO)

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