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Geowissen

Bohrung doch schuld an Schlammvulkan?

Gasmessungen sprechen gegen Erdbeben als Auslöser der anhaltenden Eruption

Begraben im Schlamm: Schlammvulkan Lusi und verschüttette Gebäude. © Mark Tingay

Der Mensch ist schuld: Die bis heute andauernde Schlammeruption auf Java ist wahrscheinlich doch menschengemacht. Denn Gasmessungen sprechen dafür, dass ein Unfall in einem nahegelegenen Bohrloch den Lehm verflüssigte und nach oben schießen ließ. Das zumindest berichten Forscher nun im Fachmagazin „Nature Geoscience“. Die konkurrierende Theorie, nach der Erdbebenwellen den Schlammvulkan verursachten, ist ihrer Meinung nach damit vom Tisch.

Am 29. Mai 2006 ereignete sich in der Nähe der Stadt Sidoarjo auf Ostjava eine plötzliche Eruption: Urplötzlich schoss eine bis zu 50 Meter hohe, heiße Schlammfontäne aus dem Boden – und hörte nicht mehr auf. Bis heute wirft der damals entstandene Schlammvulkan mehr als zehntausend Kubikmeter Schlamm pro Tag aus, mehr als sechs Quadratkilometer der Stadt sind mittlerweile unter einer bis zu 40 Meter dicken Schlammschicht versunken.

„Neun Jahre der kontinuierlichen Eruption haben fast 40.000 Menschen obdachlos gemacht und Kosten von mehr als 2,7 Milliarden US-Dollar verursacht“, berichten Mark Tingay von der University of Adelaide und seine Kollegen. Zwar wurden mehrere Dämme und Wälle gebaut, um eine weitere Ausbreitung des Schlamms zu verhindern, doch gegen die Schlammmassen haben sie kaum eine Chance. Bisher gibt es keine Möglichkeiten, das Austreten von weiterem Schlamm aus dem Untergrund zu verhindern – gegen die Eruption des Lumpur Sidoarjo, kurz „Lusi“, ist der Mensch bisher machtlos.

„Kick“ im Bohrloch

Was aber löste diesen Schlammausbruch aus? Darüber streiten sich Forscher bereits seit Jahren. Einige sehen die Schuld bei einer Probebohrung der indonesischen Öl- und Gasfirma Lapindo Brantas, die nur rund 150 Meter vom Schlammvulkan entfernt niedergebracht wurde. Am Tag vor der Eruption trat dort ein sogenannter „Kick“ auf, ein plötzlicher Einstrom von Gas und Flüssigkeit in das Bohrloch.

Blick aus dem Orbit auf den Schlammvulkan und die halb begrabene Stadt Sidoarjo © Lapindo Brantas

Dieser Einstrom könnte den Druck so stark erhöht haben, dass die Spülflüssigkeit seitlich aus dem Bohrloch austrat und die sogenannte Kaliberg Lehmformation in rund 1.500 Metern Tiefe verflüssigte. „Das Bohrloch war in 1.090 bis 2.833 Metern Tiefe nicht durch ein Rohr eingefasst“, berichten Tingay und seine Kollegen. „Dadurch war ein Flüssigkeits-Austausch mit fast der gesamten Kaliberg-Formation möglich.“ Der dadurch entstandene Schlamm stand unter Druck und bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche.

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Verflüssigung durch Bebenwellen?

Doch es gibt auch eine Gegentheorie: ein Erdbeben der Magnitude 6,3. Dieses ereignete sich 47 Stunden vor Beginn der Eruption nahe der Stadt Yogyakarta, 250 Kilometer vom Schlammvulkan entfernt. 2013 belegten Forscher um Stephen Miller von der Universität Bonn, dass die Bebenwellen trotz der großen Entfernung eine Verflüssigung des Untergrunds hätten auslösen können.

Denn über der Schlammsicht liegt eine kuppelförmige Deckschicht, die wie ein Verstärker gewirkt haben könnte. Sie erhöhte den Druck so stark, dass sich der Lehm in rund 1.275 Metern Tiefe verflüssigte und auch in das Bohrloch eindrang. Nach Ansicht dieser Forscher war der „Kick“ im Bohrloch daher nicht die Ursache, sondern vielmehr eine Folge dieser Ereignisse.

Gasmessungen sprechen doch für Bohrunfall

Tingay und seine Kollegen präsentieren nun ihrerseits neue Indizien gegen die Erdbeben-Theorie. Denn wie sie erklären, müsste eine von seismischen Wellen verursachte Verflüssigung auch eine große Menge Gas freigesetzt haben. Sie haben daher Gasmessungen ausgewertet, die 48 Stunden vor der Eruption des Schlammvulkans und 24 Stunden danach im Bohrloch gemacht worden waren. „Dabei zeigte sich kein erhöhter Gasausstoß nach dem Erdbeben“, sagt Tingay.

Zudem stammte das Gas, das in dieser Zeit austrat, nicht aus der Kaliberg-Formation, wie die chemische Zusammensetzung nahelegt. Stattdessen trat es in deutlich größerer Tiefe aus, was nach Angaben der Forscher eher für einem Zusammenhang mit der Bohrung sprechen würde. Und auch zeitlich scheinen die Werte nicht zum Erdbeben zu passen: „Die Messungen unterstreichen, dass die Aktivität im Untergrund erst begann, als sich der ‚Kick‘ ereignete“, so der Forscher. „Das deutet stark darauf hin, dass diese Katastrophe durch einen Bohrunfall verursacht worden ist.“

Nach Ansicht der Wissenschaftler ist damit die Suche nach dem Auslöser der Schlammeruption beendet: „Unsere Daten unterstützen klar einen menschengemachten Auslöser und widerlegen alle existierenden Modelle eines Erdbeben-Triggers“, sagt Tingay. „Meiner Ansicht nach ist die Frage damit endgültig geklärt.“ Ob allerdings Miller und seine Kollegen auch dieser Ansicht sind, bleibt abzuwarten. (Nature Geoscience, 2015; doi: 10.1038/ngeo2472)

(Nature/ University of Adelaide, 30.06.2015 – NPO)

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