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Klima

Bohrkerne verändern Eiszeittheorie

Neue Berechnungen zum Zusammenhang von natürlicher Sonneneinstrahlung und langfristigen Änderungen im globalen Klimageschehen präsentiert

Detail eines Eisbohrkerns aus 2.668 Metern Tiefe. © Sepp Kipfstuhl / Alfred-Wegener-Institut

Klimaforscher haben eine gängige Theorie zur Entstehung von Eiszeiten erweitert. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature“ präsentieren die Physiker neue Berechnungen zum Zusammenhang von natürlicher Sonneneinstrahlung und langfristigen Änderungen im globalen Klimageschehen.

Bisher galt die Vermutung, Temperaturschwankungen in der Antarktis, die für die letzte Million Jahre aus Eisbohrkernen rekonstruiert sind, seien durch die erdumspannende Wirkung von Klimaänderungen auf der Nordhalbkugel ausgelöst worden. Die neue Studie der Forscher des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) zeigt jedoch, dass wesentliche Teile der Temperaturschwankungen ebenso gut durch lokale Klimaänderungen auf der Südhalbkugel erklärt werden können.

Variationen der Erdbahn und der Erdneigung

Für die natürlichen Klimaänderungen während der letzten Millionen Jahre haben die Variationen der Erdbahn und der Erdneigung einen entscheidenden Anstoß gegeben. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts wurde ihr Einfluss auf die saisonale Verteilung der Sonneneinstrahlung von dem serbischen Mathematiker Milutin Milankovitch berechnet und seitdem als astronomische Theorie der Eiszeiten diskutiert.

Weil insbesondere die Landoberflächen empfindlich auf eine veränderte Sonneneinstrahlung reagieren, die Landmassen auf der Erde aber ungleich verteilt sind, schrieb Milankovitch Einstrahlungsänderungen auf der Nordhalbkugel generell eine herausragende Bedeutung für Klimaänderungen über lange Zeiträume zu. Seine Überlegung wurde zur gängigen Arbeitshypothese in der aktuellen Klimaforschung, weil zahlreiche Klimarekonstruktionen aus Eisbohrkernen, Meeressedimenten und anderen Klimaarchiven sie zu stützen scheinen.

Die Neigung der Erdachse (Obliquität) verändert sich im Rhytmus von ca. 41 tausend Jahren zwischen 22 und 24,5 Grad. Durch das Taumeln der Erdachse (Präzession) verändert sich ihre Richtung gegenüber den Fixsternen im Takt von 19 bis 23 tausend Jahren. Die Abweichung der Bahnellipse von einem Kreis (Exzentrizität) variiert in Rhythmen von ca. 100 und 400 tausend Jahren. Durch diese drei Zyklen verändert sich die Verteilung der Sonnenstrahlung auf die Jahreszeiten. © Thomas Laepple / Alfred-Wegener-Institut

Temperaturrekonstruktionen aus Eisbohrkernen erneut analysiert

Die AWI-Wissenschaftler Thomas Laepple, Gerrit Lohmann und Martin Werner haben die Temperaturrekonstruktionen aus Eisbohrkernen für die jetzt veröffentlichte Studie nochmals grundlegend analysiert. Dabei berücksichtigten sie erstmals, dass in dem aufgezeichneten Signal in antarktischen Eiskernen die Wintertemperatur einen stärkeren Einfluss als die Sommertemperatur hat. Wird dieser Effekt in die Modellrechnungen einbezogen, lassen sich die aus Eiskernen rekonstruierten Temperaturschwankungen auch über lokale Klimaänderungen auf der Südhalbkugel erklären.

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„Unsere Ergebnisse sind auch deshalb so interessant, weil sie uns vielleicht aus einer wissenschaftlichen Sackgasse führen“, erläutert Laepple die Bedeutung des neuen Befunds. Denn die Frage, ob und wie das Klimageschehen auf der nördlichen und südlichen Hemisphäre miteinander gekoppelt ist, gehört derzeit zu den spannendsten wissenschaftlichen Fragen für das Verständnis von Klimaveränderungen.

EPICA-Eisbohrkern aus einer Tiefe von circa 2.550 Metern (älter als 150.000 Jahre). Der frisch gewonnene Eisbohrkern wird gesäubert, vermessen und katalogisiert. Durchmesser Eiskern: zehn Zentimeter. © Hans Oerter / Alfred-Wegener-Institut

„Spiel wieder offen“

Bisher haben viele Forscher versucht, erdgeschichtliche Klimadaten aus der Antarktis mit der klassischen Hypothese von Milankovitch zu erklären. „Diese Hypothese lässt sich bisher aber nicht in allen Aspekten plausibel begründen“, so Laepple. „Nun ist das Spiel wieder offen, und wir können versuchen, die langfristigen physikalischen Mechanismen, die den Wechsel von Eis- und Warmzeiten bestimmen, besser zu verstehen.“

Und Lohmann ergänzt: „Wir konnten außerdem zeigen, dass nicht nur Daten aus Eiskernen, sondern auch Daten aus Meeressedimenten ähnliche Verschiebungen zu bestimmten Jahreszeiten aufweisen. Deshalb steckt in der weiteren Interpretation von Paläoklimadaten noch eine Menge Diskussionsstoff.“

Die AWI-Physiker betonen, dass man mit einer Kombination aus hochwertigen Daten und Modellen dem Klimawandel auf die Spur kommt: „Erkenntnisse über lange vergangene Zeiten helfen uns, die Dynamik des Klimas zu verstehen. Nur so erfahren wir, wie das Klima der Erde sich gewandelt hat, und wie empfindlich es auf Änderungen reagiert.“

Klimawandel größtenteils anthropogen verursacht

Um Missverständnissen vorzubeugen ist den AWI-Wissenschaftlern ein abschließender Hinweis sehr wichtig. Die neue Studie stellt nicht in Frage, dass der aktuell zu beobachtende Klimawandel größtenteils anthropogen verursacht ist. Zyklische Veränderungen, wie sie in der Nature-Veröffentlichung untersucht wurden, schwingen in einem Takt von zehntausenden oder hunderttausenden von Jahren.

Der drastische Ausstoß anthropogener Klimagase innerhalb von wenigen hundert Jahren addiert sich zu dem natürlichen Anstieg der Treibhausgase nach der letzten Eiszeit und ist einmalig für die letzte Million Jahre. Wie sich das Klimasystem inklusive der komplexen physikalischen und biologischen Rückkopplungen langfristig entwickeln wird, ist Gegenstand der derzeitigen Forschung am Alfred-Wegener-Institut. (Nature, 2011; doi:10.1038/nature09825)

(Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, 03.03.2011 – DLO)

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