Der Asteroid Lutetia ist ein wahres Fossil: Einige Bereiche seiner Oberfläche gehören mit einem Alter von etwa 3,6 Milliarden Jahren zu den ältesten des Planetensystems. Wegen seiner hohen Dichte ist Lutetia zudem ein Planetesimal, die erste Entwicklungsstufe auf dem Weg zu einem Planeten. Zu diesen Ergebnissen sind jetzt Wissenschaftler in einer neuen Studie in der Fachzeitschrift „Science“ gekommen.
Das Team hat dazu Bilder ausgewertet, die die Raumsonde Rosetta auf ihrem Weg zum Kometen Churjumov-Gerasimenko während eines Vorbeiflugs an Lutetia im Juli 2010 aufgenommen hatte. Der Kleinplanet kreist im sogenannten Asteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen des Mars und des Jupiter um die Sonne.
Kosmische Kollisionen
Vor etwa 4,5 Milliarden Jahren sah das Sonnensystem völlig anders aus als heute: Statt der acht großen Planeten drehte sich erst eine Wolke, später eine Scheibe aus Gas und Staub um die gerade entstandene Sonne. Nach und nach ballte sich diese Materie zu unregelmäßig geformten Klumpen zusammen, den Planetesimalen.
Einige von ihnen verschmolzen zu noch größeren Brocken, den Protoplaneten – zwar noch kleiner als heutige Planeten, aber bereits kugelförmig und mit einer inneren Schichtstruktur. Doch das Weltall ist ein dynamischer Ort: Die meisten Planetesimale und Protoplaneten, die sich nicht zu echten Planeten weiterentwickelten, zerbrachen als Folge heftiger Zusammenstöße wieder.
Volumen und Dichte von Lutetia bestimmt
„Lutetia ist für uns ein Glücksfall“, sagt Holger Sierks, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Leiter des OSIRIS-Kamerateams. „Denn es gibt nur wenige Himmelskörper, die aus einer solch frühen Entwicklungsphase erhalten geblieben sind. Sie erlauben uns, einen Blick zurück in die Vergangenheit zu werfen.“
Ein weiteres Beispiel ist der Asteroid Vesta, den die NASA-Raumsonde Dawn seit Juli dieses Jahres umkreist. Forscher vermuten, dass auch Vesta einer der wenigen verbleibenden Protoplaneten ist. Lutetia könnte nun einen noch weiteren Blick ermöglichen – bis zu den Wurzeln des Sonnensystems. Ihre geringere Größe, unregelmäßige Form und vor allem ihre hohe Dichte deuten darauf hin, dass es sich hier um einen Planetesimal handelt.
„Aus den Aufnahmen konnten wir jetzt sehr genau das Volumen von Lutetia und dann in einem zweiten Schritt ihre Dichte bestimmen“, erklärt Sierks. Mit 3,4 Gramm pro Kubikzentimeter ist diese deutlich höher als jene von Granit.
Kompakter Aufbau
„Die meisten anderen Kleinplaneten, die wir genauer kennen, haben eine viel geringere Dichte“, so Sierks. „Wir halten diese Asteroiden für eine Art kosmische Bruchstücke – also relativ lose, poröse Ansammlungen von Körpern aus jüngeren Zusammenstößen.“ Lutetia hingegen scheint deutlich kompakter – und somit älter – zu sein.
Auch die Verteilung der Krater auf Lutetias Oberfläche, die durch spätere Einschläge entstanden sind, spricht für einen kompakten Aufbau. Denn im Vergleich zu anderen Asteroiden treten besonders kleinere Krater mit einem Durchmesser von weniger als zehn Kilometern erstaunlich selten auf. Die Situation ähnelt dem Experiment mit einer Stahlkugel, die man mit großer Wucht entweder auf Beton oder in eine Sandkiste wirft. Da der lose Sand einen großen Teil der Aufprallenergie absorbieren kann, entsteht im Sand nur eine kleine Mulde. Im deutlich kompakteren Beton hingegen erzeugt derselbe Wurf einen großen Einschlag.
Kleine Welt mit einer komplexen Geografie
Die insgesamt sehr hohe Anzahl von Kratern ergab zudem, dass Teile der Oberfläche des Asteroiden bis zu 3,6 Milliarden Jahre alt sind. Denn je länger eine Oberfläche dem ständigen kosmischen Bombardement ausgesetzt war, desto mehr Krater weist sie auf. „Ob Lutetia auch erste Ansätze einer inneren Schichtstruktur besitzt, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit Sicherheit sagen“, meint Holger Sierks. Es spreche zwar einiges dafür, doch erst weitere Untersuchungen der gewonnenen Daten könnten hier Gewissheit bringen.
„Lutetia hat uns völlig überrascht“, so der Max-Planck-Forscher. „Anstelle eines einheitlichen, vergleichsweise unauffälligen Asteroiden haben wir eine eigene kleine Welt vorgefunden – mit einer komplexen Geografie.“ So entdeckten die Wissenschaftler auf den Bildern nicht nur riesige Krater mit Durchmessern von mehr als 55 Kilometern, sondern auch Anzeichen für Erdrutsche, tiefe Rillen und Bergketten. Insgesamt konnten die Experten sieben Regionen identifizieren, die sich aufgrund ihrer morphologischen Merkmale deutlich voneinander unterscheiden. (Science, 2011)
(MPG, 31.10.2011 – DLO)