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Geowissen

Arktis: Ohne Flut kein Eis

Auch der Meeresspiegel bestimmt, ob sich Meereis bildet oder nicht

Die Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen vom deutschen Forschungsschiff MARIA S. MERIAN aus gesehen © N. van Nieuwenhove, GEOMAR

Nach der letzten Eiszeit war das arktische Meer stellenweise sogar wärmer und eisfreier als heute – obwohl die Lufttemperaturen niedriger waren. Das zeigt eine Untersuchung deutscher Geoforscher in der Framstraße. Der Grund für diese Anomalie: Der vor 9.000 Jahren zunächst noch niedrige Meeresspiegel bremste die Bildung von Meereis, da die flachen, leicht vereisenden Küstengebiete noch trockenes Land waren. Dieser Fund zeige, dass nicht nur die Temperatur dafür entscheidend sei, ob und wie viel Meereis entstehe, so die Forscher im Fachmagazin “ Paleoceanography“.

In kaum einer anderen Region der Erde ist der aktuelle Klimawandel so deutlich mess- und sichtbar wie in der Arktis. Deshalb konzentrieren sich viele Wissenschaftler auf die nördlichen Polarregionen, wenn sie die derzeitigen Entwicklungen untersuchen und mögliche Folgen abschätzen wollen. Dazu müssen sie sich auch die komplexe Vergangenheit der Polarregionen näher ansehen. Denn die Art, wie das Nordpolarmeer in früheren Epochen der Erdgeschichte auf Klimaveränderungen reagiert hat, verrät möglicherweise auch Details über zukünftige Reaktionen.

Unter anderem deshalb haben Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel mit Hilfe von Sedimentbohrkernen untersucht, wie sich das Klima in der Framstraße in den letzten zehntausend Jahren verändert hat. Dieser Wasserweg zwischen Spitzbergen und Grönland ist die einzige Tiefwasserverbindung zwischen dem Atlantik und dem Arktischen Ozean. Damit ist sie auch der wichtigste Transportweg für den Wasser- und Wärmeaustausch zwischen den beiden Weltmeeren. „Daran, wie sich Wassertemperaturen und andere Umweltfaktoren in der Framstraße entwickelt haben, lässt sich viel über den Hintergrund der jüngsten und zukünftigen Entwicklungen von Meereisbildung im Arktischen Ozeans und den Eis-Export Richtung Atlantik lernen“, erklärt Erstautorin Kirstin Werner vom GEOMAR.

Meerwasser nach der Eiszeit wärmer als heute

Ein Indikator für vergangene Umweltbedingungen sind die Kalkschalen winziger Meeresorganismen, der Foraminiferen. „Sowohl die Menge, also wie viele Kalkschalen von welcher Art in einer bestimmten Schicht vorhanden sind, als auch die chemische Zusammensetzung der einzelnen Schalen sagt uns etwas über die Wassertemperaturen zu Lebzeiten der jeweiligen Organismen“, erklärt Werner. Auch die Häufigkeit von größeren, eistransportierten Sandkörnern in den Sedimenten und deren Beschaffenheit lassen Rückschlüsse auf die Eisbedeckung des Meeres und andere Umweltparameter zu.

Als die Forscher diese Daten auswerteten, stellten sie Überraschendes fest: Vor rund 9.000 Jahren, kurz nach der letzten Eiszeit, waren die Wassertemperaturen in der arktischen Meeresstraße sogar noch höher als heute. „Die starke Eisbildung, die noch vor wenigen Jahrzehnten typisch war, war daher kein Überbleibsel der letzten Eiszeit“, so Werner. Erst rund viertausend Jahre später wurde es abrupt kalt und die östliche Framstraße fror zu – und blieb bis in die allerjüngste Vergangenheit vereist.

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Karte der Grönlandsee und des Arktischen Ozeans. Die weiß abgetönten Flächen zeigen die durchschnittliche sommerliche Eisbedeckung, die weißen Pfeile markieren die heutige Eisdrift. Die roten Pfeile zeigen den Transportweg für warmes Atlantikwasser in den Arktischen Ozean. Der gelbe Punkt markiert die Probenentnahmestelle für die aktuelle Studie. © R. Spielhagen, AdWMainz/GEOMAR

Niedriger Wasserstand bremste Eisbildung

„Eine Erklärung für die jähe Abkühlung haben wir im Meeresspiegel gefunden“ sagt Werner. Denn vor 9.000 Jahren war der Wasserstand der Arktis deutlich niedriger als heute, da immer noch viel Wasser in Gletschern gebunden war. Die flachen Meeresgebiete entlang der Küsten, an denen heute das meiste Meereis entsteht, waren damals noch trockenes Land. Der Ozean begann erst am steil abfallenden Kontinentalhang – einem Gebiet, das für die Eisbildung weniger günstig ist. „Als es keine flachen Schelfmeere in der Arktis gab, entstand so wenig Meereis, dass es kaum bis in die östliche Framstraße gelangte“, erklärt Co-Autor Robert Spielhagen.

Mit diesem Ergebnis habe man erstmals Hinweise auf einen direkten Zusammenhang zwischen Meeresspiegel und Eisbildung gefunden, so die Forscher. Die Eisbildung in der Arktis hängt demnach von mehr Faktoren ab als nur von der Temperatur. „Weitere Studien müssen jetzt zeigen, wie ein zukünftiger Anstieg des Meeresspiegels in Zusammenhang mit der aktuell zu beobachtenden Erwärmung der arktischen Wassermassen auf die Eisbildung wirkt. Unter Umständen hätten wir damit einen verstärkenden Faktor, der die Veränderungen in der Arktis noch beschleunigen könnte“, sagt Werner. (Paleoceanography, 2013; doi: 10.1002/palo.20028)

(GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, 07.06.2013 – NPO)

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