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Klima

Arktis ist schuld am Wetterchaos

Schwindendes Meereis in der Barentssee begünstigt Frühjahrs-Schneefälle in Europa

Barentssee
Wenn die Barentssee im Spätwinter wenig Meereis hat, verdunstet sie die Feuchtigkeit, die wenig später bei uns als Schnee fällt. © Alun Hubbard

Klimatischer Ferneffekt: Der Rohstoff für die anomalen Frühlings-Schneefälle bei uns stammt größtenteils aus der Barentssee. Weil dort das Meereis fehlt, verdunstet mehr Feuchtigkeit und wird mit den Luftströmungen nach Europa transportiert. Dieser eisige „Import“ aus dem Nordpolarmeer könnte mit zunehmendem Klimawandel noch häufiger vorkommen, wie Forscher im Fachmagazin „Nature Geoscience“ berichten.

Es scheint paradox: Die globale Erwärmung lässt nicht nur Temperaturen steigen und fördert Hitzewellen, auch anomale Kälteeinbrüche im Winter und Frühjahr gehen auf das Konto des Klimawandels. Ein Grund dafür ist der schwächere Temperaturgegensatz zwischen Arktis und mittleren Breiten, der immer häufiger Einströme polarer Luft zu uns erlaubt. Diese Schwächung des Polarwirbels war beispielsweise für die extreme Kälte im Januar und Februar 2021 verantwortlich und leitet auch zurzeit kalte Luft zu uns.

Das „Beast from the East“

Warum es bei solchen Kälteeinbrüchen auch immer wieder zu heftigen Schneefällen und Hagelstürmen kommt, haben nun Hannah Bailey von der Universität Oulu in Finnland und ihre Kollegen untersucht. Als Fallbeispiel nutzten sie den Schnee- und Kälteeinbruch vom Februar 2018, der halb Westeuropa mit Blizzards und Frost überzog. Durch Ausfälle der Infrastruktur entstanden bei diesem „Beast from the East“ getauften Ereignis bis zu einer Milliarde Euro an Kosten pro Tag.

Woher dabei die Feuchtigkeit und damit das „Rohmaterial“ für die Unmengen an Schnee kamen, haben Bailey und ihr Team anhand des Anteils des schweren Wasserstoff-Isotops Deuterium in damals gesammelten Proben untersucht. Zusammen mit meteorologischen Daten zur Wetterlage und den Luftströmen erlaubte ihnen dies, die Herkunft der Feuchtigkeit zu rekonstruieren.

Schnee-Rohstoff kommt aus der Barentssee

Das Ergebnis: Das Wasser, dass sich bei solchen Frühjahrs-Kälteeinbrüchen bei uns als Schnee niederschlägt, stammt aus dem arktischen Meer – genauer aus der Barentssee. „Mithilfe unserer Zurückverfolgung identifizierten wir für den Frühjahr 2018 drei konkrete Pulse von Feuchtigkeit aus der Barentssee: vom 19.Februar – 4. März, vom 14.-20. März und vom 23.-28. März“, berichten die Forschenden. „Jeder dieser Schübe brachte vermehrten kontinentalen Schneefall und hohe Überschüsse an Wasserdampf und Niederschlägen.“

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Barentssee
Die Barentsee liegt nördlich der russischen und norwegischen Nordküste.© NASA

Allein während des „Beast oft he East“ strömten dadurch mehr als 140 Gigatonnen Feuchtigkeit von der Barentssee nach Europa. Bis zu 88 Prozent des Neuschnees, der in jenem Frühjahr fiel, ging allein auf diesen Wasserdampf-Einstrom aus dem Nordpolarmeer zurück, wie die Analysen ergaben. Satellitenaufnahmen aus dieser Zeit zeigen deutlich, wie sich über den eisfreien Flächen der Barentssee vermehrt Wolken bildeten, die dann südwärts getrieben wurden.

70 Kilogramm Wasserdampf für jeden Quadratmeter fehlendes Meereis

Und dieses Ereignis war kein Einzelfall: Ursache dieser arktischen Schneebringer sind nicht nur die Luftströmungen, sondern auch die veränderte Eisbedeckung der Barentssee. Denn dieser Teil des Nordpolarmeers hat durch den Klimawandel überproportional viel Meereis verloren. 95 Prozent des gesamten Winter-Meereisschwunds der Arktis geht auf die Barentssee zurück, wie Bailey und ihr Team erklären.

Die Folge: Weil in der Barentssee im Winter mehr wärmeres, offenen Wasser freiliegt, kann dort auch mehr Wasser verdunsten. „Meereis wirkt wie ein Deckel für den Ozean“, erklärt Bailey. Fehlt dieser, kann mehr Wasserdampf aus dem Meer in die Atmosphäre entweichen. Nach Berechnungen des Forschungsteams steigt pro verschwundenem Quadratmeter Meereis in der Barentssee die Verdunstung um rund 70 Kilogramm Wasserdampf an.

„Ein zunehmend offener, eisfreier arktischer Ozean ist demnach ein wichtiger Lieferant für die Luftfeuchtigkeit, die Kontinentaleuropa die winterlichen Niederschläge bringt“, konstatieren Bailey und ihr Team.

Trend zu mehr Frühjahrs-Schneeschüben

Das aber bedeutet: Wenn das arktische Meereis in Zukunft noch weiter zurückgeht, müssen wir in Europa auch häufiger mit solche Schnee-Importen aus der Arktis rechnen. Tatsächlich belegen Wetterdaten, dass zwar die Gesamtschneemenge in Europa seit 1979 stetig abgenommen hat. Der maximale Schneefall im März jedoch – dem Monat, in dem solche Frühjahres-Einbrüche oft passieren – hat um 16 Millimeter pro Jahrzehnt zugenommen, wie die Forschenden berichten.

„Der Klimawandel manifestiert sich nicht nur auf die offensichtliche Weise“, sagt Bailey. Die Erwärmung der Arktis könne durchaus auch Kälteeinbrüche und Schneeschübe in Europa mit sich bringen. „Das scheint paradox, aber die Natur ist eben komplex und was in der Arktis geschieht bleibt nicht in der Arktis.“ (Nature Geoscience, 2021; doi: 10.1038/s41561-021-00719-y)

Quelle: UiT The Arctic University of Norway

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